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Jede Meile zählt. Mach mit und spende für den Neubau des Jugendhospiz Löwenherz in Syke bei Bremen.
Meer erfahren...

Videos

Trailer DVD Wir Hauen Ab! - 05.03.2013
Auf dem Pazifik vor Galapagos - Äquatorüberquerung mit der Nis Randers. 
05.03.2013
Mit der Nis Randers im Sturm auf dem Pazifik - 06.02.2013
Weltumsegelung 2004 - 2006. Auf dem Pazifik gerieten wir in einen schweren Sturm. Diese Aufnahmen entstanden, nachdem sich der Sturm etwas gelegt hatte.
Erster Testflug - 06.02.2013
Für Luftbildaufnahmen in Grönland kommen Modellflugzeuge und Quadrokopter in Einsatz. Dieser kurze Film zeigt den ersten Testflug. Verwendet wurde die Gopro Hero2 auf dem Easyglider von Multiplex

Meer erleben...

Logbuch am 26.01.15

Mitsegler gesucht!

Ich kann`s scheinbar nicht lassen: Gesucht werden vier Mitsegler für einen kurzen, aber hoffentlich intensiven Frühsommertörn von der Nord- in die Ostsee.
Der Start ist am 7. Mai 2015 in Bremerhaven in der Marina Neuer Hafen mit der "Nis Randers". Ziel ist die ca. 500 Meilen entfernte dänische Hauptstadt Kopenhagen, die wir nach ca. fünf bis sieben Tagen erreichen werden.

Das Besondere an dem Törn ist, dass er nonstop und bei allen Wetterbedingungen durch ein anspruchsvolles und nicht uninteressantes Seegebiet stattfinden soll.

Die Kosten betragen 400 Euro plus Lebensmittel plus evtl. Diesel. Für die Rückreise von Kopenhagen sorgt jeder selbst.

Interesse geweckt? info@mansholt.de oder tagsüber 0441 9608880

Logbuch am 29.09.14

Die Ziele haben sich geändert, die Reise geht getrennt weiter.

Zu verkaufen:

Beneteau Oceanis 373 Clipper, Baujahr 2006, 11,25 Meter lang, 3,75 Meter breit, 1,90 Meter Tiefgang, 6,5 Tonnen Verdrängung. In sehr gutem Zustand und überkomplett mit Windfahnensteuerung, Radar, Rettungsinsel und Windgenerator für 78.000 Euro abzugeben. Für weitere Informationen: E-Mail an info@mansholt.de oder tagsüber unter 0441 9608880

 

Logbuch am 19.09.14

Der Veröffentlichungstermin von dem Buch zur Grönlandreise wurde verschoben auf den 9. Oktober 2014

Der Termin von der Live-Bildershow am 4. Dezember im PFL Oldenburg bleibt unverändert:
4. Dezember 2014 - Bildershow, Kulturzentrum PFL in Oldenburg, Peterstraße 3, 26121 Oldenburg, Eintritt 9 Euro an der Abendkasse und im Vorverkauf. Kartenvorverkauf telefonisch unter 0441 9608880 oder per Mail unter info@mansholt.de oder in der Goldschmiede Mansholt, Mottenstraße 5, 26122 Oldenburg

Logbuch am 28.05.14

Blind Date nach Grönland

Das Buch zur Reise ist fertig geschrieben und lektoriert - der Text kam vor zwei Tagen zu mir zurück. Seit Januar hatte ich mich nicht mehr damit beschäftigt und war überrascht, wie viel ich von dem Text schon wieder vergessen hatte.


Photo von Scott Flanders, USA

Hier der Verlagstext zu dem Werk:

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Blind Date nach Grönland - Ein Segelabenteuer

Zwei sind einer zu viel

Fernweh ist wie Heimweh – nur umgekehrt. Sechs Jahre nach einer Weltumsegelung zieht es Bernd Mansholt wieder in die Ferne. Allerdings, so die Bedingung seiner zu Hause bleibenden Frau: keine Einhandreise! Und maximal drei Monate Dauer. Das Schiff ist ein 11-Meter-Kunststoffboot aus Serienproduktion, die Segler zwei Männer, die Vater und Sohn sein könnten, sich über das Internet kennengelernt haben und letztendlich noch nie miteinander gesegelt sind. Das Ziel: von Deutschland nach Grönland und zurück, fünftausend Meilen über den Nordatlantik ins Eismeer zur größten Insel der Welt.

Am Ende ist es weit mehr als die Geschichte einer Segelexpedition, geht es nicht nur um Naivität in der Planung, Irrfahrten auf dem Atlantik, Ideen, Fehler, Taktiken.

Am Ende wird nicht nur von Stürmen auf dem Nordatlantik, Menschen, die auf Grönland leben und von denen einige zu echten Freunden wurden, Schönheit der arktischen Natur und Faszination der Abgeschiedenheit berichtet.

Nein, am Ende ist es auch die Darstellung eines sozialen Experiments: Zwei Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, segeln und leben wochenlang unter teilweise extremen Bedingungen. Anfang Juni starten sie als gefeiertes Team auf der „Nis Randers“ – und nur wenige Tage später glaubt Bernd Mansholt an einen richtig guten Scherz, als sein Mitsegler von Aufgeben und Aussteigen spricht ... Doch es war kein Witz. Drei Monate später kehrt Mansholt als Einhandsegler nach Deutschland zurück. Bereichert durch die unglaubliche vielfältige Welt des Eises, gereift an seinem Erfolg als Alleinsegler und um weit mehr als eine Erfahrung reicher, beschenkt er den Leser nicht nur mit seiner Geschichte und seinem Humor, sondern vor allem auch mit beeindruckenden Fotos einer grandiosen Reise.

Grönland unter Segeln: ein modernes Abenteuer. Exotisch, aber machbar!

224 Seiten, 80 Farbfotos, QR-Codes, Format 15 x 22,5 cm, flexibel gebunden, Delius Klasing

Das Buch erscheint am 18.09.2014

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An dieser Ankündigung kann man schon erkennen, dass es in dem Buch nicht nur um Friede, Freude und Eierkuchen geht, sondern Klartext gesprochen wird. Man kann gespannt sein.

Logbuch am 08.05.14

Ein neues Buch ist auf dem Markt - soeben ist im Delius-Klasing-Verlag erschienen: 

Segeln mit Kindern von Nils Theurer. Ich habe neben anderen Autoren an dem Buch mitgewirkt und wünsche dem Verfasser viel, viel Erfolg mit der Veröffentlichung.

Logbuch am 18.04.14

Nach vier Auflagen der Hardcoverausgabe erscheint das Buch zur Weltumsegelung jetzt als Taschenbuch.

Produktinformation

  • Broschiert: 286 Seiten
  • Verlag: Delius Klasing; Auflage: 1. Auflage 2014 (10. März 2014)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 376883770X
  • ISBN-13: 978-3768837705
  • Größe und/oder Gewicht: 21,4 x 13,6 x 2,6 cm
  • Durchschnittliche Kundenbewertung: Geben Sie die erste Bewertung für diesen Artikel ab

Tatsächlich würde ich mich über Bewertungen sehr freuen...

Logbuch am 14.01.14

Eine Tastatur und ein Monitor

Der Abgabetermin Ende Januar ist fix. Bis dahin sind es nur noch siebzehn Tage. Mindestens 250.000 Zeichen sind einzutippen und 100 Fotos zu bearbeiten. Ich kenne keinen, der am Ende seines Buches keinen Stress hat. Das ist das Gute an einem Abgabetermin, der vom Verlag vorgegeben ist: Man schreibt sein Buch wirklich fertig. Wenn gut, dann gut. Anderenfalls läuft man Gefahr, nie zufrieden zu sein und somit auch nie fertig zu werden.
Der Inhalt meines Buches über die Grönlandexpedition wird im Wesentlichen aus drei Hauptquellen gespeist: Dem Blog auf dieser Website, meiner persönlichen Erinnerung und meiner wichtigsten Quelle: dem privatem Tagebuch, das ich schon lange vor der Reise begonnen und auch während der Expedition täglich akribisch geführt habe. Seit Wochen besteht meine Welt nur aus einer Tastatur und einem Monitor.

Vor einigen Wochen habe ich einen Artikel für die Zeitschrift Yacht geschrieben. Dieser erscheint aller Voraussicht nach am 5. Februar 2014

An einem der letzten Tage auf Grönland habe ich in Nanortalik die Amerikaner Mary und Scott Flanders von dem Motorboot EGRET kennen gelernt. Wir veranstalteten einen Tag lang ein Fotoshooting zwischen den Eisbergen, die in der Bucht vor den kleinem Örtchen lagen. Während wir um die kalten Kolosse steuerten, habe ich sie, und sie mich fotografiert. Das Foto oben ist von Scott Flanders. Die EGRET liegt jetzt in Island und wird zum Verkauf angeboten. Hier der Link zum Angebot: youtu.be/AAR5wK-sWRs

Logbuch am 05.12.13

Xaver kommt

Xaver kommt und macht mich nervös. Er hat sich vor Tagen über Grönland zusammengebraut und zog über den Nordatlantik auf Schottland zu. Gestern erreichte das Tief die nordliche Nordsee und trifft heute auf die deutsche Küste. Xaver trägt kalte Luft heran, die in der deutschen Bucht auf Warmzonen trifft. Das bedeutet schweren Sturm und lang anhaltende Böen in Orkanstärke. Windstärke zwölf - 140 kmh werden erwartet. Das bedeutet mindestens drei Sturmfluten an der Küste. Das bedeutet mindestens Nervosität und Sorge ums Schiff, das noch immer im Wasser am Steg liegt.

Um sechs Uhr morgens ist von dem bevorstehenden Unwetter noch nicht viel zu spüren; es ist die Ruhe vor dem Sturm. Nis Randers liegt allein am Fingersteg in Bremerhaven. Ich prüfe die Leinen und Fender, lege zwei zusätzliche Leinen aus, um den Druck auch den Steg etwas abzufedern. 

Die Reise nach Grönland habe ich mit einem Spendelauf verbunden. Wer sich beteiligen wollte, konnte einen beliebigen Betrag pro gesegelter Meile an das Kinder- und Jugendhospiz Löwenherz in Syke bei Bremen spenden. 5.370 Meilen durch Flauten, Eis und Stürme habe ich mit nach Hause gebracht und anschließend zur Kasse gebeten. Laut Information vom Kinderhospiz sind bislang 1.579 Euro und 50 Cent auf das Spendenkonto mit dem Betreff "Grönland" eingegangen.
Ich möchte mich an dieser Stelle im Namen der Kinder und Jugendlichen und deren Familien bei allen Spendern herzlich für die Unterstützung bedanken.

Zur Zeit bearbeite ich Fotos und Videoclips von der Expedition für die DVD, die, wie das Buch, im Herbst 2014 erscheinen wird. Hier ein Sceenshot von einer Kreuzsee im Nordatlantik bei Windstärke 9:

Logbuch am 15.11.13

Barse Lyberth Svendsen ist Goldschmied und Künstler. Er lebt in Sisimiut auf Grönland und fertigt Figuren aus Rentierhorn, Knochen, Leder und Horn. Ich besuchte ihn in seiner Werkstatt, die in einem alten Holzhaus in der Nähe des Hafens untergebracht ist. Zum Abschied überreicht er mir einen Ring, den er aus Rentierhorn hergestellt hat und einen Eisbären darstellt. Geld möchte er nicht annehmen. Er gibt mir die Erlaubnis diesen in meiner Werkstatt  in Deutschland abzuformen und in Gold oder Silber herzustellen. Kontakt zu ihm halte ich über facebook

Gestern treffe ich in der Kneipe nebenan zufällig auf Namenvetter Bernd. Wie sich herausstellt, ist er seit vielen Jahren Kapitän und war schon überall auf der Welt im Einsatz. Auch in der Arktis. Eisfahrer ohne Eisklasse. Stückgut. Meistens in Buchten vor Anker gelegen. Er hat in der Goosebay das Militär versorgt, kennt sich gut aus.
Er erzählt mir von einem Sturm, den er mal in seiner Zeit als Matrose vor langer Zeit miterlebte. Das Schiff lag vor Grönland vor Anker als in der Nacht plötzlich Fallwinde in Sturmstärke von der Eiskappe herabfegten. Im Sturm zerrte das Schiff am Anker, der bald ausbrach - das Schiff fing an zu slippen.
"Das kenn ich doch irgendwo her", dachte ich und hörte weiter zu.
"Beinahe hätten wir den Anker samt Kette verloren, weil der Steuermann versehentlich mehrfach über die Ankerkette gefahren ist", erzählte er weiter.
"Wieso versehentlich?", fragte ich nach, "macht man das in der Berufsschifffahrt denn nicht absichtlich so?"
"Kein vernünftiger Mensch macht das absichtlich, wie kommst du denn auf so etwas?", fragte er und schaute mich an, als ob ich ihn veralbern wolle.
Tja, das wurde mir so gesagt - aber ich kann das ja nicht wissen, ich hab`s ja nicht studiert.

Logbuch am 06.11.13

Maximilian ist das Maskottchen vom Kinderhospiz Löwenherz in Syke bei Bremen. Maximilian war aber auch das Maskottchen der Grönlandreise und wurde am 2. Juni, den Tag der Abreise, übergeben von Gaby Letzing. Sie ist die Leiterin vom Jugendhospiz und lud uns im September zum Tag der offenen Tür und dem 10jährigen Bestehen des Hospizes ein.


Gaby Letzing, Andrea, Mathilda mit Maximilian, Maria, Bernd, Mike

Viele Zimmer im Hospiz wurden im maritimen Stil dekoriert und bekamen zum Teil Namen, die mit Segeln und Reisen zusammen hängen. So gibt es zum Beispiel ein Leuchtturmzimmer und ein Logbuch, in dem sich Besucher eintragen können Bilder zum Thema Segeln sind ausgestellt und schmücken die Wände. Ich war ziemlich überrascht, als ich erfuhr, dass das Thema Segeln bei der Innenarchitektur wegen der Grönlandreise aufgegriffen wurde.
Bei der Gelegenheit übergab ich Maximilian wieder an Gaby. Er hat mir an Bord oft geholfen, schwierige Situationen besser zu überstehen. Er war mein Krafttier und hat so manches Mal Trost und Kraft gespendet. Ich möchte, dass er jetzt anderen Trost und Kraft gibt. Maximilian hat nun einen Platz im Eingangsbereich gleich neben dem Logbuch und neben einem Modellsegelschiff gefunden. Er begrüßt Besucher und Patienten. Machs gut, kleiner Freund.

Der Trailer (auf dem die Nis Randers übrigens nie stand) ist verkauft. Für 50 Euro wechselte er den Besitzer.

"Kannst du mir nicht einen Artikel über das Segeln mit Kindern schreiben? Du kennst dich doch aus. Wie ist das denn so, wie sind deine Erfahrungen? 3000 Zeichen würden mir schon reichen, das wäre echt nett; und leg bitte ein Foto bei, danke."
Im nächsten Jahr erscheint ein Buch über das Segeln als Familie und speziell das Segeln mit Kindern. Der Autor hätte gern meine Erfahrungen mit eingearbeit. Tatsächlich kann ich sagen, dass ich mit Kindern ab einem Alter von 3 Monaten (Mathilda) bis in das Erwachsenenalter hinein gesegelt bin. Daniel wurde auf dem Pazifik volljährig und Mike und Maria sind noch immer bei (fast) jedem Törn an Bord. Grund genug zuzusagen und zu schreiben.

Apropos schreiben: Über die Grönlandreise erscheint in der Zeitschrift Yacht ein längerer Artikel, den ich just heute fertiggestellt und die Fotos auf DVD gebrannt habe. Genauer Zeitpunkt der Veröffentlichung ist noch nicht bekannt - irgendwann in ein paar Wochen.

Weltumsegler, Weltumradler, Kajakfahrer, Flieger. Der Bielefelder Verlag Delius-Klasing veröffentlicht (nicht nur) Bücher zum dem Thema "Was Menschen bewegt". Da passt das Thema Segeln und das Reisen auf dem Wasser natürlich gut ins Programm. Rekord-Weltumsegler Wilfried Erdmann z.B. schreibt für den Verlag. Delius-Klasing hat auch mein Buch über die Weltumsegelung verlegt, das im Frühjahr 2014 als Taschenbuch neu aufgelegt wird. Vergangene Woche wurden die Verlagsverträge unterschrieben. Ende Januar 2014 ist der Abgabetermin für mein neues Buch über eine Grönlandreise mit den Segelschiff "Nis Randers". Als Erscheinungstermin ist der Herbst 2014 angepeilt.

Dem Schiff gehts gut. Nachdem in der letzten Woche ein Orkan über die Region zog, bin ich gestern kurz zur Kontrolle dort gewesen und fand das Schiff unversehrt vor. Bei Regen und kaltem Wind hat ein für den Winter vorbereitetes Schiff etwas Verlorenes und Einsames an sich. Besonders wenn es noch im Wasser liegt und die Steganlage leerer und leerer wird. Es fühlt sich an Bord fremd und unpersönlich an. Ich war nur kurz da, kontrollierte die Festmacher und die Alarmanlage und machte mich wieder auf den Heimweg.

Logbuch am 28.10.13

Trailer zu verkaufen

Zwillingsreifen aus Vollgummi, tonnenschwere Stahlkonstruktion und schöne grüne Farbe. In Elsfleth, dort wo die Hunte in die Weser mündet, steht mein Trailer zum Verkauf. 50 Euro und er wechselt den Besitzer. Telefon 0441 9608880

 

Logbuch am 22.10.13

Ausgeräumt

Fallen, Schoten und Vorsegel abschlagen. Backskisten ausräumen, Salon und Kojen aufräumen und sauber machen. Und vor allem Lebensmittel rausschleppen - immer wieder finde ich in irgendwelchen Ecken und Winkeln JaKa-Dosenfleisch. Das Zeugs verfolgt mich, wie viel hatten wir davon an Bord und wo kam das alles her? Weg damit! Ausfegen, auswischen, auslüften.
Beim Aufräumen habe ich noch so einiges gefunden. Zum Beispiel E-Mail-Adressen von Grönländern und Dänen, die ich unterwegs kennen gelernt habe. Mit Karl Boas Adolfson, dem Jungen, der mich am ersten Tag in Nanortalik begrüßte und den ich zum Essen einlud, stehe schon seit meiner Abfahrt in Grönland in engem Kontakt

Das Schiff liegt schon seit über einem Monat wieder in Bremerhaven. In der Zwischenzeit habe ich an Bord Folgendes getan: Nichts.
Entsprechend sieht es an Bord aus. Als ich am Montag in aller Frühe in Bremerhaven eintreffe, fühlte es sich wieder an, als wäre ich wieder auf reisen. Doch es hilft alles nichts, die Sachen müssen von Bord. Gefühlte dreißig Mal bin ich zum Auto gelaufen, um das Schiff von allem zu befreien, was über den Winter an Bord nichts verloren hat. Wie zum Beispiel: Tauchausrüstung, Überlebensanzug, Beiboot, (Segel)Klamotten, Lebensmittel, Modellflugzeuge, Seekarten und Führer, Leergut und Werkzeug, Ersatzsegel und - natürlich - ein Kajak, welches von einem Inuit in Handarbeit gefertigt wurde. Mit jedem Gang zum Auto stieg der Wasserpass immer mehr an, wurde das Schiff immer leichter. Wenn mich die Polizei auf dem Rückweg nach Oldenburg angehalten und auf die Waage geschickt hätte, müsste ich wohl noch einmal die Tour machen.

Das Buch "Wir hauen ab! - Eine Familie unter Segeln" ist seit einiger Zeit vergriffen. Es verkaufte sich ganz gut, drei Auflagen hat es erreicht. Jetzt plant der Verlag Delius-Klasing eine Neuauflage als Taschenbuch. Erscheinungsdatum Frühjahr 2014.



Apropos Buch: als die Nis Randers am 2. Juni in Oldenburg ablegte, war ein Kamerateam vom NDR am Oldenburger Stadthafen vor Ort. Für ihren Bericht hatten sich die Kameraleute ein Buch von mir ausgeliehen und es nach dem Dreh einer Frau in die Hand gedrückt, mit der Bitte, es mir zurück zu geben. Sie meinte, es wäre eine Freundin.
Ich hätte das Buch tatsächlich gern zurück. Vielleicht vergessen? Würde mich sehr freuen.

 

Logbuch am 08.10.13

Es geht noch ein wenig weiter

Ob ich denn wieder segeln wolle und was das nächste Ziel ist. Wann ich wieder aufbreche und wie lange ich dann fort bleiben werde. Ob ich Vorträge über die Grönland-Reise halten werde und wenn ja, wo und wann. Was jetzt mit dem Schiff passiert und ob ich ein Buch schreiben werde. Ob ich schon wieder richtig angekommen wäre und ob sich denn meine Erwartungen erfüllt haben. Warum ich um Himmels willen Einhand von Grönland nach Deutschland zurück gesegelt bin und ob ich diese Reise noch einmal machen würde. Zu wem in Grönland ich noch Kontakt habe und - natürlich - welcher Ort mir denn am besten gefallen hat.

Das und noch mehr werde ich seit meiner Rückkehr gefragt und deshalb habe ich mich entschlossen, diesen Blog für eine Zeitlang weiter zu führen um diese Fragen zu beantworten. Von jetzt an wird das Tagebuch mindestens einmal wöchentlich aktualisiert, mit Bildern versehen und die Nachbereitung einer solchen Reise auf den neuesten Stand gebracht.

Es geht also noch ein wenig weiter...

Logbuch am 28.08.13

Rückkehr nach Oldenburg



Die Reise zur größten Insel der Welt geht heute nach 87 Tagen und gesegelten 5.370 Meilen zu Ende.

Hier ein paar Daten:

·         Die Vorbereitungen der Grönlandexpedition mit dem 11 Meter langen Segelschiff „Nis Randers“ dauerten zwei Jahre.

·         Start der Expedition war am Sonntag, den 2.06.2013 in Oldenburg i.O. und dauerte 87 Tage, in denen insgesamt 5.370 Meilen oder 9.945 Kilometer segelnd zurückgelegt wurden.

·         Das Ziel war, mit einem Segelschiff aus Serienproduktion durch das Eis so weit wie möglich nach Norden zu segeln.

·         Vier Zeitzonen wurden auf dem Weg nach Westgrönland überschritten.

·         Längste Zeit auf See waren drei Wochen: Über den Nordatlantik von Schottland nach Nanortalik in Südgrönland.

·         Während der Reise erlebte ich sechs Stürme, davon zwei mit Windstärke 10. In einem Sturm vor Grönland habe ich in einer kleinen Bucht meinen Anker samt Kette verloren.

·         Den ersten Eisberg sah ich am Kap Farvel – der Südspitze Grönlands. Danach fuhr das Schiff an die grönländische Packeisgrenze und passierte tausende, zum Teil gewaltige Eisberge.

·         Insgesamt 2.131 Seemeilen legte ich Einhand als Solosegler zurück. Dabei durchfuhr ich das Eis in Südgrönland und dem Prinz-Christian-Sund, überquerte den Atlantik und segelte über die gesamte Nordsee bis nach Oldenburg.

·         Die Schäden am Schiff hielten sich in Grenzen: eine Relingsverkleidung wurde im Sturm abgerissen und die elektrische Ankerwinsch wurde – ebenfalls im Sturm – beschädigt.

·         Begleitet wurde die Reise auf dem Meer von Buckelwalen, Pottwalen, Pilot- oder Grindwalen, Delfinen und Tümmlern, sowie einem Weißkopf-Seeadler.

·         Wichtigste Souvenirs sind die, aus Rentierhorn geschnitzten, Tupilaks – kleine furchterregend, aussehende Figuren, die in Grönland eine lange Tradition haben. Außerdem habe ich ein originales, von einem Inuit in Handarbeit gefertigtes Kajak samt Paddel und Speer mit nach Deutschland gebracht, welches im Jahre 2012 an der grönländischen Meisterschaft am Kajakfahren teilgenommen hatte.


Insgesamt sind 23.714 Fotos und als Videos über 40 Stunden bewegte Bilder entstanden.

·         Der nördlichste Punkt der Reise war in der Arktis auf der Disko-Insel auf 69°18,2 Nord. Weitere wichtige Stationen waren die Hauptstadt Nuuk, Ilulissat, der Ort wurde durch das Buch „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ von Peter Høeg, sowie durch das UNSECO-Weltkulturerbe Kangia-Gletscher-Fjord weltberühmt.

·         Das Buch und eine DVD zur Reise erscheinen im Herbst 2014. Titel: „Grönland unter Segeln – Sturmfahrt ins Eis“

·         Live-Vorträge und eine Multivisions-Bildershow über die größte Insel der Welt präsentiere ich ab Dezember 2013.

 

Die Expedition war und ist eine Benefiz-Reise zu Gunsten des Kinder- und Jungendhospizes Löwenherz in Syke bei Bremen. Jeder war aufgerufen, sich an der Spendenaktion zu beteiligen, indem man Meilen „kaufen“ konnte: für jede gesegelte Meile spendet man einen beliebigen Betrag. 5.370 Meilen sind nunmehr ersegelt – jeder, der mitmacht, kann sich seinen Spendenbetrag selbst errechnen und auf folgendes Konto überweisen:

Kinderhospiz Löwenherz e.V.
Kreissparkasse Syke
Betreff: GRÖNLAND
BLZ: 29151700
KtoNr.: 1110099999

In einigen Wochen gebe ich an dieser Stelle den Gesamtbetrag dieser Spendenaktion bekannt. Ich bedanke mich ganz herzlich im Namen der Verantwortlichen von Löwenherz.

In möchte mich an dieser Stelle noch bei allen Unterstützern und Interessierten bedanken.

CU@C

14:23 • 53°08,4N / 008°13,2E
Stadthafen am Stau • Oldenburg
22 °C • 2 Bft • 5.370 Meilen gesamt

Logbuch am 27.08.13

Planänderung vor Helgoland

 

 

04:32 Das Feuer von Helgoland weist mir den Weg

06:27 Unsere Sonne erscheint am Horizont

07:08 Land in Sicht. Ich steuere Helgoland von Westen an

08:01 Planänderung. Die Tide ist günstig und ich bin früher dran als gedacht. Obwohl (oder weil?) ich seit mehr als dreißig Stunden nicht geschlafen habe, drehe ich auf Kurs 145 Grad ab – neuer Kurs Ansteuerung Neue Weser. Helgoland bleibt links liegen. Ich entscheide durchzufahren nach Bremerhaven. Dort werde ich ein paar Stunden schlafen, um morgen gegen 16:00 Uhr in Oldenburg einzulaufen.

Für die Ansteuerung navigiere ich ab sofort mit dem Sextanten. Nach meinen ersten Berechnungen befinde ich mich im Augenblick im Roten Meer vor der Insel Java/Indonesien. Weitere gründlichere Berechnungen bestätigen diese Position. Das bedeutet, das GPS und alle anderen elektronischen Navigationsgeräte sind defekt und müssen umgehend ersetzt werden.

 

Der alte (leider erloschene) Leuchtturm „Roter Sand“ ist in meinem Revier der Hausleuchtturm. Möchte man von Oldenburg oder Bremerhaven in die Welt hinaus oder wieder zurück, kommt man an ihm nicht vorbei. Für mich ist er der Archetyp einer Seeleuchte und einer der schönsten Leuchttürme dieser Welt. Ich nehme mir heute die Zeit für eine 360°-Umrundung fürs Fotografieren. Starke Strömungen und der Ostwind machen`s schwierig aber letztlich hab ich die Bilder im Kasten.

17:33 Schleuse Neuer Hafen in Bremerhaven. Einhand An- und Ablegen in der Schleuse stellt kein so großes Problem dar, wie gedacht. Allerdings ist es fast windstill und die Schokoladenseite (backbord) ist frei. Im Yachthafen Im Jaich lege ich mich an einen Stegkopf, skype mit Zuhause und… schlafe.

Morgen bin ich wieder zu Hause.

53°32,9N
008°34,1E
Neuer Hafen
Bremerhaven
22
0 Bft
5.327 Meilen gesamt

 

11:25 • 53°32,9N / 008°34,1E
Neuer Hafen Bremerhaven • Norddeutschland
22 °C • 0 Bft • 5.327 Meilen gesamt

Logbuch am 26.08.13

Glück und Phantasie

Das Zickzackfahren geht durch die ganze Nacht und den ganzen Tag weiter. Ich muss achtzig Meilen segeln, damit ich meinem Ziel Helgoland fünfzehn Meilen näher komme. Strammer Ostwind, der nicht weichen möchte, weht mir ins Gesicht. Dazu kommt dichter Schiffsverkehr, der sich von der holländischen Küste auf die Nordsee verteilt. Einmal muss ich wieder ausweichen, weil der Dicke keine Anstalten macht den Kurs zu ändern, ein anderes Mal liege ich bei, um einem manövrierbehinderten Fahrzeug Raum zu schaffen. Um 5:30 Uhr morgens habe ich meinen „Schlafkurs“ gefunden, einen Kurs, der auf mindestens zwanzig Meilen frei von Plattformen oder Bojen ist. Den Schiffsverkehr halte ich mit dem Radar im Auge.

 

Ich sag`s ganz offen: Lieber dreimal einhand über den Atlantik, als einmal allein über die Nordsee. Nicht, dass es auf dem Atlantik immer ruhig und angenehm war (auch wenn sich das manchmal so angelesen hat), aber das hier ist einfach eine ganz andere Sportstätte. Viel härter. Ich segel grad an dem Windmühlenpark vorbei, durch das wir vor zweieinhalb Monaten versehentlich gefahren sind. Rechts von mir Verkehrstrennungsgebiet, links der Windpark, und der Wind mit einer glatten Fünf von vorn. Da ist nichts mit Brotbacken oder lesen oder rumgammeln; da ist Sport angesagt: Wende?, jupp, los, hol över dat Ding und lass back stehen, los die Schot, hol die Schot uuuund kurbeln, mach dicht den Fetzen! Verklicker? Check. Windfahne? Ist eingestellt. Na denn, mok voftein.

Ich geb´s ja zu, ich hab´s heute Vormittag kurz versucht mit dem Motor gegenan. Drei Minuten. Da stand plötzlich Erdmann neben mir im Cockpit und brüllt mich zusammen: „Ist das ein Segelboot oder ein Motorboot, Mann?“ Ist ja gut, reg dich nicht mal so auf. Im Ernst, es geht nicht, die Nordseewelle hier ist einfach zu steil. Ich hack` mich mit 1,3 Knoten und Materialgeschrei ein.

Ich habe mir heute unseren Hinreise-Track der Reise noch einmal auf den GPS angesehen. Wir haben damals an dem Windpark nicht nur eine Tonne „etwas geschnitten“ - wir sind durch die ganze Anlage gekachelt. Genau mitten durch. Kein Wunder, dass der Typ auf der Bounty II sich so aufgeregt hatte.

Maximilian ist es unten in der Höhle zu warm geworden. Er will Sonne und frische Luft. Wann wir denn endlich da sind, fragt er mich. Es war sehr schön unterwegs, sagt er, aber jetzt möchte er nach Hause. Bald, sage ich zu ihm, bald sind wir da.

Um 17:06 Uhr habe ich die Grenze Niederlande/Deutschland übersegelt.

Mit ein bisschen Glück (und vielleicht auch ein wenig Phantasie), kann ich heute Nacht das Feuer von Helgoland sehen.

15:32 • 54°15,3N / 006°05,1E
Nordsee • Deutschland
21 °C • 5 Bft • 5.217 Meilen gesamt

Logbuch am 25.08.13

Termindruck

Noch immer Windstärke fünf bis sechs gegenan. Die Wellen sind jedoch viel weicher geworden und auch höher. Sie haben eine schöne Form angenommen und die Farbe des Wassers ist beim Sonnenschein dunkelblau. Der Wind streicht jetzt schon seit Tagen in beständiger Richtung und Stärke über hunderte Kilometer über das Wasser und die Wellen haben sich angepasst. Für mich heißt das, ich kann etwas höher an den Wind gehen und das enervierende Krachen lässt etwas nach. Meine Lebensgeister und die Zuversicht sind zurückgekehrt. Eiswolken bilden sich und kündigen eine mögliche Wetteränderung an. Ich begrüße das, denn alles – selbst Flaute - wäre jetzt besser, als die herrschenden Windbedingungen. Meine Laune ist deutlich besser, ich nehme an, dass ich das Krachen beim Segeln gegen den Wind nicht vertrage, das macht mich fertig.

 

 

Im Prinzip ist die Nordsee groß genug, um auf ihr relativ frei zu segeln. Es sind die Rahmenbedingungen, die es beschwerlich machen: Erdöl- und Gasbohrinseln, Schifffahrtsrouten für Frachtschiffe und Personenfähren, Ankergebiete für die Dicken, die britische Insel, das Wattenmeer mit seinen Untiefen, riesige Windparks, die in den vergangenen Jahren entstanden sind, sowie Verkehrstrennungsgebiete (VTG`s) vor den holländischen und deutschen Küsten. Und auf ein solches Trennungsgebiet vor der niederländischen Küste fahre ich gerade mit einem Kurs von 130 Grad zu. Ich kann schon die Schiffe am Horizont sehen. Ich bräuchte 90 Grad um Helgoland frei anzuliegen, aber das ist nicht drin. Ne, ich komme hier um das Kreuzen nicht herum.

Kurz vor dem VTG mache ich die Wende – 355 Grad, das heißt, ich segel zurück. Noch 121 Meilen bis Helgoland. RRZ 99 S 59 M. Am Wochenende habe ich einen wichtigen Termin, den ich nicht verpassen möchte…

07:46 • 54°19,9N / 004°22,3E
Nordsee • Niederlande
22 °C • 5 Bft • 5.126 Meilen gesamt

Logbuch am 24.08.13

Kollisionskurs

Das Radar sieht ihn schon vor mir. Kommt auf mich zu. Nach zwanzig Minuten erblicke ich das Schiff immer dann als kleinen Punkt am Horizont, wenn ich auf einem Wellenkamm stehe. Weitere fünfzehn Minuten später erkenne ich die Aufbauten und dass es direkt auf mich zusteuert, Kollisionskurs. Auch der Frachter hat mit der Nordsee zu kämpfen, teilweise stampft das Schiff tief in der See. Gischt spritzt über das ganze Schiff. Es rollt und giert, zeigt mir abwechselnd einen Teil seiner Backbord- und seiner Steuerbordseite. Als Segelfahrzeug bin ich grundsätzlich verpflichtet Kurs und Geschwindigkeit zu halten; er muss ausweichen. Aber ich würde nicht bis zuletzt drauf bestehen. Er kommt näher, immer noch direkt auf mich zu. Das gefällt mir nicht, gefällt mir gar nicht. Hat der mich jetzt gesehen, oder nicht? Ich hole das Funkgerät, rufe ihn an. Keine Antwort. Er kommt ohne Kursänderung weiter auf mich zu. Ich rufe erneut, gebe seine und meine Position durch, die praktisch identisch sind. Keine Antwort. Ich überlege meinerseits eine Kursänderung, habe die Schot und das Ruder für „Das Manöver des letzten Augenblicks“ schon in der Hand – aber in welche Richtung soll ich ausweichen? Der Dicke schlingert mal hierher, mal dorthin. Motor an und weg? Zuviel Wind, zu raue See, da bin ich mit Segeln schneller. Jetzt wird’s aber mal knapp hier, mein Freund. Das Schiff ist jetzt so nah, dass ich seinen Namen mit bloßen Augen am Bug erkennen kann. Ich stehe im Cockpit, schaue auf die Brücke des Frachters und rufe erneut ins Handfunkgerät: „Krempcrtor, Krempcrtor! Sailing Vessel ahaed, sailing vessel ahaed!“ Obwohl ich mir sicher bin, dass ich den Schiffnamen falsch ausgesprochen habe, reagiert er jetzt endlich und legt hart Backbordruder. Dabei neigt sich das Schiff bedenklich auf die Seite. Es passiert mich in einer Entfernung von ca. 200 Metern. Als er vorbei ist, rufe ich ihn nochmal über Funk – keine Antwort. Ja, ich würd mich auch schämen, aber trotzdem würd ich mich entschuldigen. Warum sind da Fenster auf der Brücke, wenn er nicht durchschaut?

 

 

Die Wellenforscher W. Elle und B. Recher aus Überkomm an der Nass haben empirisch ermittelt, dass jede tausendste Welle signifikant höher ist, als die anderen Wellen. Kavensmänner, freak waves, Riesenwellen oder auch WOW-schau-dir-die-mal-an-da-Wellen. Bei mir heißen die dicken Dinger Brecher des Tages. Mein BdT kommt am Vormittag, überspült das Deck ordentlich und hinterlässt mich klitschnass im Cockpit. Ist nicht schlimm, es ist warm und ich hab nur Unterwäsche an.
Am Abend dann aber kommt DER Brecher der Reise: Ich bin im Salon und mache Essen, als ich merke, dass das Schiff sich weiter als sonst ins Wellental neigt. Ich halte inne, weil ich ahne, was da gleich kommt und schon knallt es durch das Schiff wie doll. Es folgt eine halbe Sekunde in der gar nichts passiert und dann kommt das Wasser. Es ergießt sich ein gewaltiger Schwall Nordseewasser über das Schiff, der mit einem infernalischen Lärm einhergeht. Obwohl Wind und Wellen von vorn kommen, fließt eimerweise Salzasser durch den geschützten Niedergang ins Schiffinnere und spritzt bis in die Naviecke.

Der Wind beginnt mit sechs, geht zeitweise auf acht Windstärken hoch und bleibt schließlich den Tag über in Stärke und Richtung wie festgenagelt bei sechs Windstärken. Er kommt direkt aus der Richtung, in die ich möchte - Ost. Gegen die steile Nordseewelle komme ich nur mäßig an, meinen Wendewinkel möchte ich an dieser Stelle lieber nicht nennen – nur so viel: er liegt genau in der Mitte zwischen 100 und 200 minus 15. Ich habe freien Seeraum und suche mir daher die bequemste Lage mit dem geringsten Hacken aus. Nur noch 152 Seemeilen bis Helgoland, aber der Navigationscomputer steht mit einer Restreiszeit von 99 S 59 M am Anschlag. Für die Strecke braucht man normalerweise zwischen 1 bis 3 Tage. Keine Musik mehr, der I-Pod ist seit Tagen defekt. Meine Laune ist heute auf einem Tiefpunkt, ich bin gereizt, lustlos, träge und unausgeglichen. Natürlich auch übermüdet. Dann wieder ist mir langweilig, lese viel auf dem Kindle-App und versuche das Krachen im Schiff, wenn es in der steilen Nordseewelle ins Tal fällt, zu ignorieren. Der Rest ist Segelarbeit. Das Ziel: nichts verschenken.

Heute habe ich die 5.000er-Seemeilen-Marke überschritten.

07:44 • 54°56,9N / 003°45,9E
Nordsee • Niederlande
18 °C • 6 Bft • 5.042 Meilen gesamt

Logbuch am 23.08.13

Ein ruhiger Tag auf See

Im Prinzip weiche ich heute nur aus. Östlich von mir liegen die Bohrinseln, also mache ich Süd, um dann morgen nach Osten zu kreuzen. Die Vorhersagen sind nicht günstig, die Wetterlage stabil – da wird sich so schnell nichts ändern.

Es ist ruhig, keine Schiffe, keine Plattformen.

Plötzlich meldet sich mein Handy: „Willkommen in Norwegen!“ Blick in die Seekarte, wie kann ich mich nur derart verfahren haben? Entwarnung, das Signal kam wohl von einer Bohrinsel.

Es ist sehr diesig, später Sonne und blauer Himmel, Wind zwischen 3 und 4, ab und zu ist der Motor an um die Batterie für das Radargerät zu laden und mehr Höhe zu machen.

07:41 • 55°22,8 N / 002°52,3E
Nordsee • Ausweichland
18 °C • 4 Bft • 4.962 Meilen gesamt

Logbuch am 22.08.13

Spatzen und Bohrinseln

Obwohl ständig hoch am Wind, bin ich zu weit nach Osten und damit in die Bohrfelder geraten.

Andauernd werde ich angerufen, keep distance, halte Abstand. Ich halte zwei Meilen Abstand, wie weit soll ich denn noch weg? Die Bohrinseln sind überall, das Radarbild ist voll davon. Aber nicht nur die Bohrinseln sind im Weg, auch die Versorger, die Materialschlepper und die Kräne, die immer noch wieder neue Türme errichten. 

Ich such mir über Seekarte, Plotter und Radar einen vermeintlich freien Korridor, in den ich noch einigermaßen segeln kann. Dann die Funke:

„Sailing vessel auf position soundso, this is guard vessel Natascha, can you copy me?“ „Ja, Natascha, ich höre dich laut und deutlich, go ahead.“ „Hinter mir ist ein Forschungsschiff und schleppt seismisches Equipment an Bojen hinter sich her. Keep distance, please.“ „Klar, mach ich. Wie weit soll ich denn weg?“ „Ten Miles.“ Bitte? 10 Meilen, das sind fast 18 Kilometer! Ich frage nach, warum ich so weit ausweichen soll. Die Trossen, an denen die Bojen hängen sind 10 Kilometer lang. Geht’s eigentlich noch? Gehört die ganze Nordsee euch jetzt allein? Hunderte Bohrplattformen für Öl und Gas stehen hier rum. Und die sind nicht klein. Manche haben die Größe einer Kleinstadt. Um einer Plattform auszuweichen, falle ich meist nach Lee ab, das heißt, ich muss die Meilen später wieder gegenanhacken. So geht das die Nacht und den Tag über. Am Abend setzte ich mich endgültig selbst schachmatt, indem ich in einen Trichter von Plattformen fuhr, aus dem ich nur noch mit gestrichenen Segeln unter Motor und schlechter Laune herauskam. Natürlich immer unter den wachsamen Augen der Guard-Vessels, die sich zwischen mich und den Plattformen positionierten.

 

Die Spatzen hatten sich letzte Nacht wieder verzogen. Heute Morgen waren sie alle wieder da. Sechs Stück habe ich gezählt. Immer wieder wollten sie in die Kajüte, aber das möchte ich nicht. Ihr könnt gern ein Stück mitfahren, aber gekackt wird draußen. Ich befinde mich grad genau in der Mitte der Nordsee. Schottland, Großbritannien, Dänemark, Norwegen, Deutschland und die Niederlande sind alle in etwa gleich weit entfernt. Zum Land sind es fast 300 Kilometer. Kann es sein, dass die Vögel auf den Bohrinseln leben? Oder mit den Versorgern auf See kommen?

Den ganzen Tag über Sonnenschein und blauer Himmel. Mit über 20°C im Schiff, wärmster Tag seit Monaten. Delfine tummeln sich im tiefblauen Nordseewasser um das Schiff herum.

Noch 239 Meilen bis nach Helgoland. Unter guten Bedingungen brauche ich dafür zwei Tage, aber die Windvorhersagen sind ungünstig.

23:00 Uhr. Soeben habe ich die letzte Bohrinsel passiert. Jedenfalls sind keine mehr in meinen Karten verzeichnet. Das muss nicht viel heißen, weil sehr schnell neue Bohrinseln errichtet werden. Aber auch das Radar sagt, frei Fahrt voraus.

Der Wind kommt auf die Nase, das Beste, was ich anliegen kann, ist die holländische Küste.

13:35 • 56°31,2N / 002°13,2E
Nordsee • Plattformland
18 °C • 4 Bft • 4.867 Meilen gesamt

Logbuch am 21.08.13

Es piept

In der dämmrigen Mondnacht huscht ein Schatten flatterig über das Deck. Fledermaus? Wohl kaum, ich bin auf Hoher See. Aber was sonst? Ich hole die Taschenlampe und sehe einen Spatz auf dem Deck sitzen. Na, weiter Weg mein Freund. Oder war er schon die ganze Zeit, möglicherweise ungewollt als blinder Passagier an Bord, hat sich quasi selbst shanghait?

 

Am Morgen sitzt er im Cockpit und kackert mir alles voll. Anfangs flattert er noch erschrocken auf, wenn er mich sieht, aber nach einer Weile bleibt er cool. Er sitzt mal hier, mal dort, mehr als einmal wäre ich fast auf ihn getreten. So geht das nicht, in der Nacht mache ich ihn versehentlich platt. Ich hole einen Pappkarton, stelle eine Schale Wasser hinein und warte bis der Kleine schläft. Kurzes Piepen beim Zugriff, sein neues Zuhause wird bald irgendwo an der deutschen Küste sein.
Zehn Minuten später sitzt der Spatz im Salon auf dem Tisch. Wie ist er aus dem Karton gekommen? Ist er nicht, es ist ein zweiter Spatz. Ich versuche ihn zu fangen, aber er ist viel scheuer, als der erste. Dann warte ich halt. Er fliegt erst aus und dann um das Schiff und landet auf dem Vordeck. Dort kann er sich nicht halten und wird durch die Düse zwischen Vor- und Großsegel regelrecht nach achtern geblasen. Ich fahre hoch am Wind, er schafft es nicht zurück an Bord, fällt ab, landet im Wasser. Neuer Versuch, er schafft es nicht, landet wieder im Wasser. Tja, da haben wir wohl eine Spatz-über-Bord-Situation: Ich kuppel die Selbsteuerung aus und fahre einen Aufschießer, bis das Vorsegel back steht. Der Wind treibt mich in Richtung Piepmatz. Neuer Versuch, er schafft es an Bord. Herrje, jetzt bleib aber hier. Kurze Zeit später, ich bin schon wieder auf Kurs, sehe ich ihn schon wieder um das Schiff hecheln. Nein, das ist noch wieder ein anderer. Was ist das hier, die Vogel-Arche?

Ich liege grad auf der Koje, döse vor mich hin. Von draußen plötzlich ein Motorengeräusch. Was ist, hab ich geschlafen und das Radar überhört? Das Geräusch wird schnell lauter, kommt näher. Entspannung: ein Hubschrauber, der Personen zu oder von den Bohrinseln transportiert.

Dann kommen die Delfine. Es sind viele, sie kommen aus allen Richtungen. Sie sind ungewöhnlich aktiv, springen und toben herum. Außer einer, der ist nicht normal. Er taucht immer wieder halb aus dem Wasser, dreht und krümmt seinen Körper, um seinen Kopf mit Wucht auf die Wasseroberfläche zu schlagen. 

Ein Schiff kommt näher, ein riesiger Versorger. Er hält direkt auf mich zu. Ich funke ihn an, ob er mich auch gesehen hat. Er: Ja, hat er, aber er möchte das Segelboot aus der Nähe sehen.

Segeln geht heute nur hart am Wind und 30 Grad ab vom Kurs oder motoren in der Flaute. Ist nicht viel drin.

Dann sind plötzlich fünf oder sechs Spatzen auf dem Schiff. Wo kommen die her? Jetzt machen die es sich im Salon bequem, raus hier! Ich lasse den Vogel aus dem Karton frei; scheint ja normal hier zu sein, dass die so weit draußen sind.

15:46 • 58°00,2N / 00°00,0EW
Nordsee • Auf dem Nullmeridian
17 °C • 0-4 Bft • 4.748 Meilen gesamt

Logbuch am 20.08.13

rolling home

Der Sturm ist vorbei. Ich verlasse Scrabster kurz vor Niedrigwasser. Unter Motor fahre ich in den Pentland Firth. Starke Strömungen kommen mir entgegen, ich bin etwas zu früh aufgebrochen. Teilweise mache ich nur 0,6 Knoten über Grund.

 

 

Der Firth hat zwei Gesichter, er ist Fuchur und Der Gmork in einem, je nachdem, aus welcher Richtung die Strömung und der Wind kommt. Als ich vor zwei Monaten hier durch fuhr, lag der Firth ruhig da. Heute ist er ganz anders, heute ist er sehr unruhig. Obwohl kein Wind weht, stellen sich steile Wellen auf. Einige von diesen Tidenwellen brechen tosend. Das Boot holt mehrfach schwer über, legt sich fast auf die Seite. Eddies, Strudel, mit Durchmessern von 50 und mehr Metern bilden sich. Sie bringen das Schiff aus der Bahn. Es ist fast Vollmondzeit, da geht besonders viel Wasser durch die berüchtigte Meerenge. Ich hatte auf dieser Reise einige Stürme. Bei zweien schloss ich die Niedergangsluken, weil ich fürchtete, Wasser könnte ins Schiff eintreten. Heute schloss ich zum dritten Mal die Luken. Nach einer Weile beruhigt sich das Wasser allmählich, die Strömung blieb stehen und wendet sich innerhalb von nur wenigen Minuten auf meine Seite. Aus dem finsteren Gmork wird in kürzester Zeit der Glücksdrache Fuchur. Wie schon auf der Herfahrt stoppe ich im Firth kurz den Motor und ziehe die Segel hoch, damit ich sagen kann, ich bin im Firth gesegelt. Am Ende des Pentland Firths habe ich einen Speed von 12,2 Knoten (!) über Grund auf dem GPS.
Jetzt geht es unter Segeln in die erste Nacht auf der Nordsee.

Lichter wohin ich sehe. Fischer, Versorger, Gas- und Ölbohrplattformen, Kreuzfahrer und auch Segler.  Das Display vom Radar ist voll mit Echos. Die Nordsee ist kein Vergleich zum Atlantik. Dort war kein Verkehr, keine Plattformen. Ich hätte höchstens Island rammen können, aber das muss man sich schon sehr viel Mühe geben. Mit Andrea habe ich vereinbart, dass wenn ich die ersten Tage auf der Nordsee nicht sicher hinter mich bringe, drehe ich nach Großbritannien ab und hole das Schiff später mit ihr oder mit einem erfahrenen Mitsegler nach Deutschland zurück.
Ich döse ein wenig im Cockpit. Danach geht es wieder einigermaßen mit der Müdigkeit. Ich rieche etwas Besonderes auf der Nordsee. Es ist Stallgeruch. Ich möchte jetzt nach Hause.

 

Logbuch am 19.08.13

Thurso

Thurso wurde von Wikingern gegründet. Der Name kommt von „Thors-A“ – Thors River. Es ist der nördlichste Ort Festlandschottlands. Aber kann man bei Schottland überhaupt von Festland reden? Ist doch eine Insel. Ich gehe den viktoria walk von Scrabster entlang den Klippen die zweieinhalb Kilometer in die Stadt. Alte Geschützstellungen säumen den steinigen Weg. Im Supermarkt suche ich nach Heringsfilet in Tomatensoße – auch hier nichts. Ich hatte vergessen dieses Lebensmittel in Deutschland einzukaufen und jetzt habe ich seit mehr als zwei Monaten einen Jieper eben auf Heringsfilet in Tomatensoße.

 

15:44 • 58°36,6N / 003°32,9W
Scrabster • Schottland
15 °C • 0 - 5 Bft • 4617 Meilen gesamt

Logbuch am 18.08.13

Sturm im Pentland Firth

Der angekündigte Sturm zieht heute über Nordschottland. Ich stehe auf den Klippen des Victoryas Walk und schaue in den 30 Kilometer entfernten Firth. Selbst aus dieser Entfernung kann ich die Brecher erkennen, die dort entstehen. Die Orkney-Inseln, die sich gestern noch deutlich am Horizont abzeichneten, sind heute im Spray der Wellen verborgen.
Ich habe nach langer Zeit wieder W-Lan im Schiff und elektrischen Strom. Ich nutze diesen Service und skype stundenlang mit Zuhause.

15:41 • 58°36,6N / 003°32,9W
Scrabster • Schottland
15 °C • 0 - 5 Bft • 4617 Meilen gesamt

Logbuch am 17.08.13

Scrabster

3:00 Uhr. Über Funk kündige ich dem Hafenmeister mein Einlaufen an. Sein Name ist George. Er wartet schon an einer Pier bei der Eisfabrik auf mich, nimmt die Leinen an und will mich an eine grobe Spundwand legen. Der Hafen liegt sehr geschützt inmitten dreißig Meter hohen Cliffs. Hier ist es windstill, die Tide beträgt knapp drei Meter, klar, hier kann ich liegen bleiben und den Sturm abwarten. „Oder willst du an einen Steg?“, fragt er mit breitem schottischen Akzent. Ja, Steg wäre mir lieber, dann habe ich keine Sorgen wegen der Leinen. Wir fuhren mit seinem Wagen zu einem anderen Hafenbecken. Dort suchte ich mir einen Platz an einer schottischen Yacht aus. Dort würde ich längseits gehen.
Der Hafenmeister nimmt von dem schottischen Boot aus die Leinen an. Da öffnet sich die Luke und ein Mann schaut verschlafen den Niedergang hoch. Wir haben ihn beim Festmachen geweckt. Wo kommst du her?, wo willst hin?, möchtest du einen Whiskey?, komm an Bord. Er hat das gleiche Boot wie ich, nur jünger. Wir saßen bis sechs Uhr morgens bei ihm im Schiff und redeten. So lernte ich Dave aus der Stadt Oban in Schottland kennen www.findafishingboat.com ist sein Baby.

 

 

Ich schlafe traumlos bis in den frühen Nachmittag. Scrabster ist im Grunde nur der Hafen von Thurso, einer 2,5 Kilometer entfernten 9.000-Seelen-Stadt. Ich brauche Geld, englische Pfund, wenn ich etwas bei Popeyes, einem Bistro/Bar/Kneipe essen möchte. In Scrabster gibt es keinen Cash-Automaten, niemand kann tauschen. Ich frage eine Frau, die an einem alten Holzboot herumwerkelt, wo denn der nächste Automat zu finden wäre. „In Thurso, bei der Post“, sagt sie. „Komm, ich fahr dich eben hin.“ So lerne ich Sue aus Thurso kennen.

 

15:40 • 58°36,6N / 003°32,9W
Scrabster • Schottland
15 °C • 0 - 5 Bft • 4.617 Meilen gesamt

Logbuch am 16.08.13

Schottland und Ein Sturm zieht auf

Vier Stunden lief der Motor in der Nacht, dann setzte wieder Wind ein. Erst zögerlich, dann zog es wieder. Die Nacht war schwierig. Immer wieder alarmierten mich Echos auf dem Radar: Schiffe, die aus dem Pentland Firth zu kommen schienen, Regengebiete und Winddrehungen. In Segelklamotten lagsaß ich auf der Salonkoje. Das Radargerät hatte ich von der Decke montiert und direkt neben meinen Kopf gelegt, damit ich den Alarm nicht versehentlich im Halbschlaf überhörte. Das war letztendlich unnötig, ich hatte kein Auge zumachen können. Die Nacht war so warm, dass ich es mir im Cockpit bequem machte und durch Wolkenlücken den Sternehimmel schaute. Die Milchstraße lag zum Greifen nah vor mir. Der Sonnenaufgang war ebenso schön. Es ist hier nicht immer alles grau, dass stimmt heute nicht. Heute scheint eine warme Sonne aus einem mit Haufenwolken übersäten Himmel. Die Wassertemperatur steigt auf 18,2°Celsius, im Schiff sind es 18 Grad.

 

10:17 Uhr Land in Sicht, es sind die Hebriden, ich runde das Kap Butt of Lewis. Der Atlantik ist überquert. Am Morgen des 5. August verließ ich Grönland. Elf Tage hat der Atlantik mich ausgehalten. 1.200 Meilen oder 2.222 Kilometer. Ich hatte einen Sturm mit Windstärke neun, der mich seitlich versetzte und insgesamt zweiunddreißig Stunden musste ich gegenan. Der Dieselverbrauch geht gegen Null. Die Navigation war sauber, das Wetter gnädig. Bei anfälligen Segelmanövern habe ich keine Minute gezögert. Keine Verletzungen, keine Materialschäden. An dem einen oder anderen Text konnte man wohl erkennen, dass ich unterwegs ziemlich aggressiv war; übermüdet und vollgepumpt mit Koffein, Testosteron und Adrenalin – ich hätte mir auf diesem Törn von nichts und niemanden irgendetwas gefallen lassen. Die Zeit auf See ist vergangen wie im Fluge.

14:25 Uhr Cape Wrath kommt in Sicht – die bergige Küste Schottlands.

Dann kamen dunkle, dicke, fette Unwetterzellen und sie schütteten alles was sie mit sich brachten, über mich aus. In den Unwettern steckten Winddrehungen, Starkwinde und auch Flaute. Zwanzig Minuten später wieder eitler Sonnenschein. So ging das stundenlang. Ich hatte gerade ein Interview über das Satellitentelefon mit Axel P. Sommerfeld von Radio Bremen 4 für die Sendung „Weltweit“ (am Sonntag), für das ich, wegen der besseren Verbindung draußen stehen musste, als ein Regenschauer über mich kam. Schmerzlichen Dank auch.

 

Die Sturmwarnung kam am Vormittag über Funk auf Kanal 16 von der Coastguard. Gale warning. Coming soon and later. Was ist das denn für eine Aussage? Keine Windrichtung angegeben, keine Windstärke, nichts – einfach nur: Vorsicht, früher und/oder später zieht ein Sturm auf. Den Pentland Firth, die Meerenge, die den Atlantik von der Nordsee trennt und auf den ich es insgeheim abgesehen hatte, schmink ich mir für heute ab, der ist schon ab Gegenwind mit Stärke 6 unpassierbar. Ehrlich gesagt, ist mir das auch ganz recht, denn mein Schlafdefizit ist mittlerweile im roten Bereich. Ich such mir einen Hafen vor dem Firth heraus und finde Scrabster in Nordschottland. Scrabster liegt direkt vor dem Firth. Anschließend fordere ich Wetterberichte von Webmaster Udo an. So wie es aussieht, dreht der Wind im Laufe des Tages und wird mir am Abend ordentlich ins Gesicht blasen, wenn ich nicht rechtzeitig Scrabster erreiche.

 

Als ich mich um Mitternacht Scrabster näherte, überlegte ich ernsthaft, ob ich nicht einfach weiter durch den Pentland Fith segeln sollte. Grönland – Deutschland nonstop; wenn schon sportlich, dann richtig. Die See war ruhig, der Wind moderat. Von Sturm keine Spur. Warum nicht? Wenn ich den Motor mitlaufen lassen würde, könnte ich in fünf bis sechs Stunden durch die Meerenge hindurch schlüpfen. Ich ließ es drauf ankommen: Wenn ich vom Strom angesogen werde, versuche ich es. Falls nicht – Scrabster.

2:00Uhr morgens, also schon der 17. August. Die Entscheidung, ob Scrabster oder Firth wurde mir nicht von der Tidenströmung, sondern vom Wind abgenommen. Er drehte auf Ost und blies mir auf den Bug, so dass ich die letzten acht Meilen nach Scrabster gegenan hacken musste.

Nachtrag: Tatsächlich ließ der Wind noch kurz vor dem Hafen etwas noch und ich war drauf und dran, weiter zu fahren. Kopf oder Zahl? Am Ende siegte die Vernunft: Selbst wenn ich durch den Firth gekommen wäre, hätte ich spätestens in der Nordsee für 20 Stunden Sturm von vorn bekommen. So tastete ich mich also vorsichtig hinein, in den Hafen von Scrabster.

 

15:28 • 58°36,6N / 003°32,9W
Scabster • Schottland
15 °C • 0 - 5 Bft • 4.617 Meilen gesamt

Logbuch am 15.08.13

Mir reicht das nicht, ich will noch mehr

Piep,piep,piep,piep, das Radar meldet sich. Da kommt mir was an Steuerbord entgegen. 12 Meilen entfernt und mit 11,4 Knoten mehr als doppelt so schnell wie ich. Westkurs 271°Grad. Ich überlege ihn anzufunken, entscheide mich dann aber dagegen. Am Ende gibt er mir noch Wettermeldungen, die ich gar nicht hören will.

 



 

Sehen kann ich das Schiff zunächst nicht, denn es liegt dichter Nebel über dem Meer. Erst als dieser sich auflöst, kommt das Schiff in Sicht. Warmfront und Regen sind in der Nacht durchgezogen. Sie hinterließen 17° Celsius im Schiff, Schichtwolken und… Flaute. Ich motore also mal ein bisschen vor mich hin. Der Dieseltank ist noch voll bis zum Rand. Seit Grönland lief der Motor auf See nur neun Stunden. Das war die Zeit, als ich durch das Eis musste. Den Strom für Radar, Licht und Computer lieferte bis heute zuverlässig der Windgenerator, an den ich mich mittlerweile gewöhnt habe. Nur im Sturm, der vor ein paar Tagen über mich hinweg zog, band ich ihn etwas aus den Wind.

Die See hat heute eine hässliche kleine Dünung, die das Schiff schwer rollig macht und mir auf die Nerven geht. Auf Stützsegel verzichte ich trotzdem gerne, denn das Geräusch schlagender Segel ertrage ich noch viel weniger.

Wenn es hier am Himmel immer grau ist (und es ist immer alles grau), dann frage ich mich, wie man früher, also in der Zeit vor Richtfunk, Decca, Loran und GPS, in diesem Seegebiet navigiert hat. Mit dem Sextanten ja wohl nicht. Um mit dem Sextanten seine Position zu bestimmen, benötigt man freie Sicht zum Himmel, damit man die Sterne oder den Mond „schießen“ kann. Ich warte seit Tagen auf eine Gelegenheit, um mit dem Sextanten zu üben – keine Chance. Aber vielleicht wurde gerade so früher neue Länder und Inseln „entdeckt“.



 

Es haben sich zwar schon viele Leser dieser Website dazu entschlossen, sich der Benefizfahrt zugunsten des Kinder- und Jugendhospizes Löwenherz anzuschließen, aber um es ganz offen zu sagen: Mir ist das nicht genug. Mir reicht das einfach noch nicht, noch längst nicht. Ich will noch mehr. Ich möchte, dass jetzt die, die schon mal darüber nachgedacht haben, ob sie dabei sein wollen oder nicht, aufhören, darüber nachzudenken und es endlich tun.

Darüber hinaus möchte ich, dass all die, die sich bis jetzt in irgendeiner Weise von dieser Website unterhalten gefühlt haben – und da ist es mir völlig egal, ob es euch gefallen hat oder ihr euch aufgeregt habt – oder etwas über Grönland, das Segeln und Einhandsegeln erfahren haben, das sie vorher nicht wussten, dass diese Personen jetzt mitmachen. Ich warte noch auf so einige, von denen ich das schon längst erwartet habe.

DENN MITMACHEN GEHT JA SO EINFACH!

1.           E-Mail an:   HYPERLINK "mailto:info@mansholt.de"

2.           Betreff: Löwenherz

3.           DAS WARS SCHON, MEHR BRAUCH ICH NICHT

Ist das denn jetzt so schwer? Ihr könnt natürlich noch Text dazugeben, aber das muss nicht sein. Wenn ihr auf der Website genannt werden wollt, brauche ich eure (Vor)Namen und den Ort.

Nach der Rückkehr sende ich euch dann eine E-Mail, mit den Kontodaten von Löwenherz. Ihr überweist direkt dorthin. Für jede Meile, die ich bis dahin zurückgelegt habe, könnt ihr einen beliebigen Betrag spenden. Ihr müsst mir auch nicht sagen, wie viel ihr überweist, das liegt ganz bei euch. Also: Ich habe bei meiner Rückkehr z.B. 5.120 Meilen auf dem „Tacho“. Dann entscheidet ihr hinterher, wie viel pro Meile ihr Spenden wollt. Wenn ihr mit einem Cent dabei seid, macht das 51Euro und 20 Cent. Wollt ihr 4 Cent pro Meile Spenden, überweist ihr… ähm, halt das Vierfache davon. Wollt ihr einen Euro pro Meile, dann 5.120 Euro usw. Diesen Betrag, den ihr selbst festlegt, überweist ihr einfach an das Konto, welches ich euch in der E-Mail zugesendet habe. Die bisher gesegelten Meilen stehen immer am Ende eines jeden Tagesberichtes.

Das kann ja wohl nicht sein, ich racker mir hier einen ab und ihr sitzt schön bequem im Büro oder auf dem Sofa und guckt Bilderchen und macht nichts?

So geht das nicht mehr.

Schreibt jetzt die E-Mail!

……bitte.

18:22 • 58°55,5N / 009°09,7W
Atlantischer Ozean • Spendenland
17 °C • 1 Bft • 4.436 Meilen gesamt

Logbuch am 14.08.13

Sportlich

Es ist ja nicht so, dass ich hier besonders viel Wind hätte. Meist sind es so um drei bis vier Windstärken. Um aus diesem Wind ein Etmal, also die von Schiffsmittag zu Schiffsmittag zurückgelegte Strecke, von mindestens einhundert Meilen herauszufahren, darf man nicht nachlässig in der Segelführung sein. Ich bin noch immer sportlich unterwegs, verschenke nichts, sondern nehme mit, woraus sich was machen lässt. Zum Glück zieht die See am gleichen Strang. Es liegt ruhig unter mir.

Wie auf der Anreise ist die Welt um mich herum grau. Stratuswolken, stabile Schichtung. Wind leicht rückdrehend, das bedeutet Warmfront im Anmarsch. Doch der dazugehörige Regen bleibt zunächst aus, stattdessen kommt dichter Seenebel, der sich über das Schiff legt.

 

 

Körperlich geht’s mir gut, bin hellwach, motiviert und konzentriert. Ich warte allerdings darauf, dass sich der Körper die Erholung holt, die er gewöhnt ist. Ich schlafe häppchenweise, maximal zwei Stunden am Stück und höchstens sechs Stunden am Tag.

Es gab da mal ein Experiment, ein Versuch. Es ging ums Tauziehen. Man wollte die persönliche Leistung messen, mit der die jeweiligen Versuchsteilnehmer sich einbrachten.

Tauziehen Versuch Nr.1: An jedem Seilende zog jeweils eine Person. Ausschöpfung der Maximalleistung jeder Person: nahezu 100% Tauziehen Versuch Nr.2: An jedem Seilende zogen jeweils zwei Personen. Ausschöpfung der Maximalleistung jeder Person: nur noch knapp 75% Tauziehen Versuch Nr.3: Es zogen jeweils drei Personen an jedem Ende: Jede Person hat nur noch 67% seiner maximal möglichen Kräfte eingesetzt.

Ich lass das mal so stehen.

Wenn mir der Wind einschlafen sollte, werfe ich den Anker und hüpfe einfach von Wal zu Wal an Land. Wann immer ich einen Rundumblick über den Ozean mache, sehe ich Wale blasen. Manche ziehen allein durchs Meer, andere sind in Gruppen unterwegs. Dem Wal, der hier gerade abtaucht, wäre ich um ein Haar ins Hinterteil gefahren.

 

 

ODAS K5 macht mich nervös, ODAS K5 lässt mich nicht schlafen. ODAS K5 ist der Name einer special purpose bouy, einer Boje, die hier in meiner Nähe auf dem Meeresboden verankert ist. Die Position dieser (Wetterdaten?)-Boje ist sowohl in meiner Papier-Seekarte eingetragen, als auch in den elektronischen Seekarten vermerkt. Das ist gut. Schlecht ist, dass die beiden angegebenen Positionen um mehr als zwanzig Meilen voneinander abweichen. Da ich nicht weiß, wie groß diese Boje ist und ob das Radar diese erkennen wird, halte ich den Tag und die Nacht über stärker als sonst Ausschau. Um fünf Uhr morgens erkläre ich schließlich das vor mir liegende Seegebiet für Bojenfrei und schlafe bis zum nächsten Segelwechsel.

18:20 • 58°57,7N / 011°54,4W
011°54,4W • Rosemary Bank
16 °C • 4 Bft • 4351 Meilen gesamt

Logbuch am 13.08.13

Verschwendung

Ich segelte in die Nacht mit allem was das Boot an Tüchern aufzubieten hatte. Schmetterling mit Ausbaumer und Bullenstander. Obwohl ich mit den Schlaf- und Aufwachphasen bereits gut zurecht komme, war es mir zu riskant, mich hinzulegen. Im Dunkeln kann ich die Wolken und Fronten nicht erkennen und wer weiß, was da von achtern angeschlichen kommt. Ich möchte auf keinen Fall riskieren auf den letzten Meilen den Bambusstab-Ausbaumer zu verlieren oder den Großbaum. Also machte ich es mir gemütlich und las bis in den Morgen hinein.

 

 

15°Celsius im Schiff. Es wird zwar wärmer, aber dadurch, dass die Luftfeuchtigkeit deutlich zunimmt, fühlt es sich kälter an, als 6°Celsius in Grönland.

Ich hatte in Grönland am letzten Tag noch die Wassertanks voll machen lassen. Es kam ein Tankwagen an die Pier, der Fahrer stieg aus, guckte auf das Schiff, wies mich darauf hin, dass es aber so was von keine gute Idee wäre, die Dieselkanister direkt über den Wassereinfüllstutzen zu lagern, rollte mit den Augen als ich mit den Schultern zuckend „pff“ machte, trollte sich zurück zum Tankwagen, rollte seinen feuerwehrschlauchgroßen Schlauch raus, öffnete den Hahn und ließ laufen. Innerhalb von zwanzig Sekunden war der erste Tank voll. Ich brauchte länger zum Aufschrauben der Tankdeckel, als der Schlauch zum Füllen der Tanks.
Mit einem Rest Wasser (Mindestabnahmemenge Wasser bei Rollauge ist eine Tonne), spülte ich kurz durch das Cockpit. Leider sah ich dabei die Farbe des Wassers und die war definitiv nicht durchsichtig und klar. Die war anders. Irgendwie gelb. Jetzt habe ich das nicht durchsichtige und unklare Wasser im Tank und höchstwahrscheinlich ist es auch gutes Wasser, und wer mich kennt, weiß, dass ich in dieser Hinsicht absolut unempfindlich bin, aber Scheiße nochmal, ich hab`s nun mal gesehen und es sah echt komisch aus. Und jetzt schmeckt der Kaffee irgendwie nicht mehr so richtig, `n bisschen muffig.

 

Aus diesem Grund und zur Gewichtsreduzierung rufe ich den heutigen Tag zum Tag der Wasserverschwendung aus. Ich wasche Wäsche, sitzdusche, putze und wische so lange durch das Schiff, bis die Wassertanks fast leer sind. Den Rest lasse ich durch die Abflüsse laufen. Den nächsten Hafen werde ich in vier oder fünf Tagen erreichen. Bis dahin habe ich mehr als genug sauberes Wasser aus Flaschen und Getränke in PET-Flaschen und Tetra-Packs.
Die Ironie dabei: Ich lasse also Trinkwasser ab, auch um Gewicht zu sparen. Wie gerne würde ich auch braune Flüssigkeit ablassen! Denn seit einiger Zeit ist der Fäkalientank wieder verstopft und voll bis über den Rand. Auch durch die Schiffsbewegungen lässt er sich und seinen Inhalt nicht erweichen, durch die Öffnung zu entweichen.

18:18 • 58°53,0N / 015°23,1W
Atlantischer Ozean • George Bligh Bank
15 °C • 4 Bft • 4239 Meilen gesamt

Logbuch am 12.08.13

Good hunting oder Im Einklang mit der Natur Wann immer ich nach oben zum Ausschau halten ins Cockpit gehe, sehe ich entweder Wale oder Delfine. Das Meer hier ist voller Leben. Merkwürdig finde ich nur, dass die Wale immer an der Steuerbordseite auftauchen und NIE an der Backbordseite. Die Delfine sind eine kleine Art, die ausdauernd mit der Bugwelle spielen, sich irgendwann abfallen lassen und mit Anlauf und Luftsprüngen zurückkehren. Eine neue Möwenart, die ich auf dem Herweg vor zwei Monaten noch nicht sah, gesellt sich zu mir. Sie hat mich anfangs etwas irritiert, weil sie, im Gegensatz zu den anderen Möwen, kreischt (ich dachte, da pfeift jemand).

 

 

Vor einiger Zeit hatte ich ein paar Zeilen über das Geocaching geschrieben. Es geht dabei um eine Art moderner Schatzsuche mit Hilfe von GPS-Geräten. Die Koordinaten des Verstecks werden im Internet unter www.geocaching.com bekannt gegeben. Seit meinem Aufenthalt in Grönland ist ein weiterer Cache hinzugekommen, inklusive einer „Coin“, einer Münze, die im Idealfall von einem Versteck zum anderen um die ganze Welt wandert. Mein Cache ist versteckt auf dem Stein, auf dem ich im Bild unten stehe und sicher geschützt gegen Witterungseinflüsse. Die Koordinaten stelle ich ins Netz, sobald ich Zuhause bin. Good hunting.

 

 

Vor der Reise hatte ich keine genaue Vorstellung von dem, was sinnvolle Kleidung auf See in arktischen Gewässern betrifft.

Jetzt habe ich eine Ahnung. Als Kälterekord auf See las ich um das Kap Farvel, also im Süden Grönlands, 1,9 Grad Celsius auf dem Thermometer ab. Bei Nieselregen und Gegenwind fühlte es sich deutlich kälter an.

Ich fang mal unten an: An den Füßen zwei Paar normale dünne Socken, darüber 800-Gramm Strümpfe aus dem Outdoor-Laden. Darüber Segelstiefel von Sebago, Fußteil aus Leder, Schaft atmungsaktiv. Diese haben sich nicht bewährt. Die Verklebung der Sohle löste sich schon nach vier Wochen und sie sind nicht wirklich wasserfest. Für 200 Euro zu wenig Segelstiefel.

Über der normalen Unterhose trage ich eine lange Unterhose mit einem Anteil Merinowolle (NoStink, s.o.). Darüber noch eine lange Sportswear-Hose, die etwas dicker ist. Darüber wiederum trage ich einen Ganzkörper-Overall mit langen Beinen und Ärmeln. Der besteht aus einem Teddy/Frottee-Material und hat – ganz wichtig – die bei Seglern so beliebte Öffnung im unteren Rückenbereich. Wenn man dem Verkäufer beim Segelausrüster (AWN) diskret sagt, man braucht einen Overall mit „so einer Bärenklappe“, dann weiß der schon Bescheid. Schließlich kommt die wasserfeste, atmungsaktive Segelhose. Oben herum trage ich ein dünnes Unterhemd aus einem Anteil Merinowolle (ebenfalls NoStink), ein dünnes Sportshirt und ein Kapuzen-Sweatshirt. Alles Langarm. Dann kommen der Overall und der Latz von der Segelhose. Darüber habe ich einen dicken Rollkragenpullover gezogen und über diesen mein Lieblingsteil: eine Fleecejacke von Tatonka, ebenfalls aus dem Outdoor-Laden. Auf dem Kopf trage ich eine Pudelmütze. Das war`s und das ist gut. Aber ich kann euch sagen, es gibt Momente, da schwitz ich mich tot! Wenn man zum Beispiel stundenlang draußen auf Wache sitzt und dann plötzlich aufspringen muss, weil der Ausbaumer ausgebracht werden muss. Die dicke wasserdichte Segeljacke trage ich nur wenn es regnet oder bei Arbeiten am Schiff, bei denen Seewasser überkommt. Obendrüber kommt die Schwimmweste, die ich zum Schlafen abnehme. Damit ist mir warm und es sind noch Reserven vorhanden. Wirklich hinderlich ist meine Brille bei Nieselregen oder Segeln hart am Wind. Ich kann nicht so viel Brilleputzen, wie sie durch den Spray wieder undurchsichtig wird. Hier hätte ich mehr Kontaktlinsen mitnehmen sollen. Sehr sinnvoll war auch die Skibrille, besonders die polarisierende. Damit konnte ich das Eis bei Gegenlicht oder in der Dämmerung deutlich besser erkennen. Ein ganz großes Problem waren die Handschuhe. Ich will hier nicht noch einmal alle aufzählen, die versagt haben, sondern nur die Marke nennen, die sich bewährt hat. Es sind gefütterte, orangerote Fingerhandschuhe mit der Aufschrift SHOWA 460 CE 0120

 

 

Bekommt man in Grönland für 10 Euro, aber in der Verpackung war auch ein deutscher Zettel. Diese Handschuhe werden in Kühlhäusern verwendet und sind geeignet bis -20°C. Müsste es beim Arbeitsbekleidungshändler geben. Ein Paar reicht nicht aus, denn wenn die Fütterung nass wird, kommt man kaum noch hinein und sie trocknen schlecht. Ich würde beim nächsten Mal fünf Paar mitnehmen.

Eine Heizung würde ich an Bord nicht haben wollen. Das heißt, es ist zwar eine Diesel-Standheizung an Bord, aber ich schalte sie nur selten ein. Die Nachteile sind einfach zu groß: ständig muss man darauf achten, dass die Luken zu bleiben. Man kann sich doch dick anziehen oder mal ein bisschen mehr bewegen. Ich geh alle paar Minuten nach oben oder unten um dies oder das zu machen, zu holen oder zu checken. Wenn ich da jedes Mal die Luken öffnen und schließen müsste, würde ich irre werden. Außerdem kostet eine Heizung Energie. Entweder Diesel, Gas oder Petroleum. Und Strom für den Lüfter.

 

Ein Segler sollte nicht ohne Wetterberichte auf See gehen. Das ist richtig. Nun bin ich aber schon auf Hoher See und das nächste Land ist drei Kilometer entfernt und heißt Grund. Das andere, nächstgelegene Land, das nicht Grund heißt, ist rund siebenhundert Kilometer entfernt und heißt Island. Ich habe heute entschieden, meine Einhand-Überquerung des Nordatlantiks im Einklang mit der Natur und ohne weitere Wettermeldungen durchzuführen. Wozu auch? Um einem Sturm auszuweichen? Das klappt eh nicht bei einer Schiffsgeschwindigkeit von fünf Knoten. Am Ende kreuze ich hier womöglich ewig herum. Wetterberichte empfangen, um sich besser in Position für die vorhergesagten Winde zu bringen? Ja, das wäre ein Argument. Man kann aber auch eigene Wetterbeobachtungen machen oder einfach mal die Natur und den Wind so nehmen, wie`s kommt und dann versuchen das Beste draus machen. Und wenn´s denn auch vielleicht ein bisschen länger dauert, das macht mir nichts aus. Es ist nämlich sehr schön hier.

15:25 • 58°50,1N / 019°26,7W
Atlantischer Ozean • Iceland Basin
14 °C • 3 Bft • 4110 Meilen gesamt

Logbuch am 11.08.13

Grönland (was nicht in Reiseführern steht) Traditionelle Nahrung der grönländischen Inuit ist seafood, Dinge, die aus dem Meer kommen. Gelegentlich Moschus, Eisbär, Rentier. Mattak ist geröstete Walhaut, an dem noch ein Rest whale blubber, Walfett hängt. Die schwarzgelben Streifen unten auf dem Bild ist Mattak. Abgepackt in Klarsichtbeuteln wird Mattak im Supermarkt offeriert. Die Supermärkte sind dänisch und führen bis auf einige wenige Alibi-Produkte, wie zum Beispiel Mattak, ausschließlich dänische Lebensmittel.

 

 

Tiefkühlpizzen, jede Menge Süßigkeiten und Schokolade, Fertigmahlzeiten zum Aufreißen und Warmmachen. Fast- und junkfood in rauen Mengen. Die Folgen sind in den Gesichtern der Menschen zu erkennen. Ich habe kaum einen gebürtigen Grönländer gesehen, dem ich nicht dringend eine zahnärztliche Behandlung angeraten hätte. Was mich allerdings verwunderte, ist, dass es selbst in der geschäftigen Hauptstadt Nuuk keinen McDonalds, KFC oder Burger King gibt.

Der Alkohol tut sein Übriges. Den Inuit fehlt, wie allen Indianervölkern, ein Enzym zum Abbau von Alkohol. Vier Bier und sie sind sturztrunken. Aber immer noch durstig.

 

 

Weihnachten in Grönland unterscheidet sich nicht von dem in Deutschland. Heiligabend: Kirche, Familie, Essen, geschmückter Tannenbaum, singen, Geschenke. Erster Weihnachtsfeiertag: Familie, Essen (seafood), Zusammensein. Zweiter Feiertag genauso.

Sylvester genau wie bei uns. Mit einer Ausnahme: Es wird zweimal geböllert. Zum ersten Mal um 20:00 Uhr Ortszeit für Dänemark (vier Stunden Zeitverschiebung) und zum zweiten Mal um Mitternacht für Grönland.

 

 

Tupilaks wurden in früheren Zeiten den Schamanen in Auftrag gegeben. Nach Fertigstellung der kleinen furchteinflößenden Figur wurde der Tupilak dem Meer übergeben, damit dieser zu den Feinden des Auftraggebers schwimmen konnte, um diese zu töten. Wenn allerdings der Feind einen noch mächtigeren Tupilak ins Meer geworfen hatte, tötet dieser den gesendeten Tupilak und den Auftraggeber.

Ein Artikel in der „ZEIT“ beschreibt die Situation der Telekommunikation in Grönland als die fortschrittlichste Europas. Das Telefon- und Handynetz, sowie die Internetanbindung wäre das Modernste, was der Technologiemarkt zu bieten hätte.

Das stimmt so nicht. Internet ist teuer, eine Flatrate kostet fast 160 Euro monatlich. Man wartet sehr lange auf den Anschluss und kommt dann nur mit einem Modem ins Netz. 3G-Handy-Verbindungen gibt es längst nicht überall, die kleineren Städte sind davon ausgenommen. 

Zurück zur See. Mein heutiger Sonnen-Segeltag ist schön aber auch anstrengend. Ich bin, was den Kurs und die Geschwindigkeit angeht, anspruchsvoll, lasse mir nichts entgehen, was ich durch Segeltrimm an Speed rausholen kann. Der Bug zeigt in Richtung Pentland Firth, ich werde versuchen, dieses Mal von West nach Ost durch die Meerenge bei den Orkney Islands im Norden Schottlands zu segeln um auf die Nordsee zu gelangen.

15:26 • 58°34,7N / 022°46,3W
Atlantischer Ozean • Iceland Basin
15 °C • 4 Bft • 4003 Meilen gesamt

Logbuch am 10.08.13

Der schönste Ort

Was macht man eigentlich so den ganzen Tag auf dem Schiff? Ich lese Bücher und Führer, koche, knete Teig, backe Brot, esse, wasche ab, navigiere, schreibe Berichte und Tagebuch, sortiere Lebensmittel aus, schlafe, erledige Segelmanöver, halte Ausschau nach Schiffen  und im Ozean lebenden Lungenatmern, fotografiere, filme, suche nachts Sternenbilder, mache sauber, schaue Bilder und auch mal eine DVD, koche Kaffee, gucke in die Wellen, halte Wolkenformationen und Fronten im Auge (vor allem die große dunkle Wolke da hinten, über die sich Eiswolken bilden),  rede mit mir selbst, höre Musik, telefoniere, lese und beantworte E-Mails.

 

Wie lange bin ich schon auf dem Atlantik unterwegs? Seit Stunden überlege ich und habe mir verboten nachzusehen. Ich komme einfach nicht drauf, kann es beim besten Willen nicht sagen. Es können drei, aber auch sieben Tage vergangen sein, seit ich Grönland verlassen habe. Mein Zeitgefühl ist völlig abhanden gekommen.

Mittlerweile habe ich mich an das Bordleben allein gewöhnt. Ich schlafe, wenn ich müde bin und esse, wenn ich Hunger verspüre. Einen Wachplan gibt es nicht, wozu auch. Wenn ich mich hinlege, sind die Alarme von GPS, AIS und Radar derart miteinander überkreuzt, dass das Schiff kaum eine andere Möglichkeit hat,  als genau das zu tun, was ich möchte. Nimmt der Wind zu, steigt auch der Speed – pieeeep, pieeeep. Werde ich zu langsam – pieeeep, pieeeep. Komme ich zu weit vom Track oder Kurs ab – pieeeep, pieeeep. Erkennt das Radar ein Target – piep,piep,piep,piep. Zusätzlich lasse ich mich alle 45 Minuten von einem Wecker rausbimmeln. Das aber nur, wenn ich den Verdacht auf eine Wetteränderung habe. Meine größten Vorbehalte galten zunächst meinem tiefen und festen Schlaf. Ich hatte Sorge, dass ich die relativ leisen Alarmsignale der Geräte überhören könnte. Aber das ist nicht der Fall, im Gegenteil. Ich springe beim ersten Anschlagen eines Alarms sofort hoch, überprüfe, und tue, was getan werden muss. Dann leg ich mich wieder hin.
Ein Problem bleibt trotzdem. An Bord träume ich viel und sehr intensiv. Und ich neige dazu, Umweltgeräusche in meine Träume mit einzubinden.

Was ist nun am Einhand-Segeln anders als mit Crew? Nehmen wir mal an, wir haben ein Schiff mit einer sechsköpfigen Besatzung. Flache Hierarchie, es gibt keinen Skipper, Chef, Kapitän oder Boss. Auf diesem Schiff gibt es dann sechs Meinungen zu allem Möglichen, die erst einmal in Deckung gebracht werden wollen. Das dauert, kostet Zeit. Selbst bei einer zahlenmäßig kleineren Crew, gibt es Diskussionen. Da treffen unterschiedliche Erfahrungen und Meinungen aufeinander, möglicherweise auch Ängste, Zeitdruck, Seekrankheit, Vorlieben oder Abneigungen. Nicht, dass Diskutieren ein Nachteil wäre, im Gegenteil, aber es kostet halt Zeit. Das ist ein Vorteil am Einhandsegeln: Man kann Entscheidungen sofort umsetzen. Ein weiter Vorteil: niemand sieht, wenn du Mist gebaut hast. Nachteil: man kann keiner anderen Person, als sich selbst die Schuld geben, wenn man mit seiner Aktion falsch lag.
Anderes Beispiel: Es ist Nacht, du hast Wache. Die Crew schläft, alles ist friedlich und ruhig. Du bist der Meinung, es ist ein bisschen zu viel Tuch draußen und würdest am liebsten die Segel etwas reffen. Aber Segelmanöver sind oft laut. Die Winschen klicken durch das ganze Schiff. Beim Reffen des Vorsegels z.B. knallen die Schotblöcke auf das Deck. Das Segel schlägt und nimmt die Schoten mit, wenn auch nur kurz; das Vorstag schwingt und rüttelt am ganzen Schiff. Da kannst du sicher sein, dass unten alle wach sind. Aus Rücksicht also verschiebst du deine Absicht und wartest noch etwas ab. Mir geht es jedenfalls so. Man kann dem entgegen halten, dass wenn gerefft werden muss, muss gerefft werden. Dann sind die anderen eben wach; das ist schließlich ein Segelschiff und keine Wellness-Oase. Das ist richtig. Aber es gibt meist einen zeitlichen Handlungsspielraum, den man ausnutzen kann. Das also  ist ein weiterer Vorteil: Ich bin so laut, wie es nötig ist und störe niemanden dabei.
Ansteuern und Festmachen habe ich Solo noch nicht gemacht. Das ist sicher einfacher mit einer Crew. Obwohl… ob mit oder ohne Besatzung, anlegen kann ich eh nicht, meist krache ich gegen den Steg. Aber irgendwo werden immer nette Leute sein, die die Leinen annehmen.

 

 

Da fällt mir noch was ein: Auf der Anreise nach Grönland, hatte ich auf hoher See einen Geruch wahrgenommen. Es roch verbrannt. Ich dachte damals, es ist der Landgeruch von Island, der über hunderte Kilometer mit dem Nordwind zu uns getragen wurde. Jetzt bin ich wieder unter Island und ich erinnere mich an diesen Tag und den Geruch. Kann es nicht sein, dass wir zur Zeit der Mittsommernacht unter Island fuhren, also genau zu der Zeit, in der die nordischen Völker ihre heidnischen Exzesse mit viel Tamtam und großen Feuern zelebrieren? Ich glaube, ja.

3.895 Meilen bisher, Luftlinie nach Helgoland noch 1.071 Meilen, macht zusammen 4.966 Meilen, plus 34 bis nach Bremerhaven = 5.000 Meilen. Punktlandung. Ich könnte Helgoland direkt ansteuern, wenn da nicht zwei Steine mitten im Weg wären, denen ich ausweichen muss: Irland und Großbritannien.

Wenn ich wieder Zuhause bin, wird mir eine Frage häufig gestellt werden: Wo war es am schönsten?
Ich versuche mein schönstes Leben im Jetzt zu leben und das schließt den Standort mit ein. Meine Antwort wird also sein: Der Ort an dem ich mich gerade befand, war der schönste. Und doch gibt es vielleicht einen Ort, der schöner ist, als alle anderen. Und der ist hier und jetzt auf See, auf dem Atlantischen Ozean.

15:24 • 58°35,8N / 026°05,5W
Atlantischer Ozean • Iceland Basin
13 °C • 4 Bft • 3895 Meilen gesamt

Logbuch am 09.08.13

Wahnsinn
Achterlicher Wind, immer noch ausgebaumtes Vorsegel. Starkes Rollen im Schiff. Großsegel raus, Winddrehung, Großsegel wieder ein. Diva will betüdelt werden – mach ich gern, dafür bin ich hier. Tolles Wetter mit schönen Wolkenformationen, immer mal Sonne, immer mal Regen. Beste Stimmung. Ich bin schnell unterwegs, erledige anstehende Manöver immer sofort und habe mehr als einmal sieben Knoten plus auf dem GPS. Das Schiff läuft wie auf Schienen.
Wenn da bloß nicht dieses Geräusch wäre, dieses Klacken, wenn das Schiff auf die Steuerbordseite rollt. Metallisch, klack……..klack……….klack. Könnte ein Schäkelbolzen sein oder ein Block, der sich gelöst hat. Ich gehe an Deck, aber dort ist das Geräusch wegen des Windes nicht mehr zu hören. Ich suche das Deck auf allen Vieren ab – nichts. Vielleicht das Radarkabel im Mast. Ich lege das Ohr an den Mast. Nichts. Ich verlege die Ankerkette anders. Nichts. Weitere Versuche die Herkunft zu orten scheitern. Ich suche drinnen weiter, nehme alle Bodenbretter hoch. Nichts. Immer wenn ich meinte, dass Geräusch kommt von dort, gehe ich dorthin und dann scheint von dort zu kommen, wo ich vorher war. Klack…………klack. Ich kann es einfach nicht eingrenzen. Sei`s drum, ich schreibe weiter an meinem Tagebuch, versuche das Geräusch zu überhören. Das gelingt mir solange, wie ein Hai den Geruch frischen Blutes im Wasser ignorieren kann. Klack….. Ich reiße alle Schapps auf, fahre mit den Händen hinein. Warte. Klack….. Ich reiße die Sitzkissen vom Klett und untersuche die Stauräume…….klack. Das Schlimmste ist, dass ich es überhaupt nicht orten kann. Ich könnte nicht einmal sagen ob es von drinnen oder draußen, von vorn oder achtern kommt. Klack….. Ich werd wahnsinnig! Ich such jetzt schon, klack, zwei Stunden. Rückenlehnen runter, klack. Konserven raus. Da! Da bewegt sich was. Ich faß es nicht an, warte auf eine Welle und da ist es: Klack. Eine Konservendose, die mit ungefähr jeder dritten Welle an die Bordwand kippt.



JaKa, was soll das denn sein, ist das Dosenfleisch!? Herrje! Wie kommt das hier her? Möchte gar nicht wissen, welche Tiere da drin verwurstet wurden. Sind die überhaupt richtig tot? Die ….klack, klackern ja immer noch mit den Hufen.
Alles läuft gut, dieser Ozean könnte sich nicht schöner präsentieren. Es ist friedlich und harmonisch - im Einklang mit der Natur. Meinen Platz an diesem Ort habe ich mir selbst ausgesucht und das was ich sehe und erlebe ist etwas ganz Besonderes.
Und trotz alldem wäre ich heut gern woanders.
Alles liebe zum Geburtstag, mein Engel.




18:51 • 58°50,8N / 030°33,4W
Atlantischer Ozean • Harmonieland
12 °C • 6 Bft • 3748 Meilen gesamt

Logbuch am 08.08.13

Diva und Schläge
Die zweite Nacht habe ich geschlafen wie ein Murmeltier. Zwei Mal weckte mich der Radaralarm wohl wegen einer besonders hohen Welle. Einen Blick auf das GPS versagte ich mir, wollte mir nicht die Laune verderben. Ich merkte schon an den Schiffsbewegungen, dass der Kurs nicht stimmte, weil das Schiff seitlich zur Welle lag.
Mit der Windfahnensteuerung kenne ich mich aus, mit diesem Modell bin ich um die Welt gesegelt. Aber das Boot ist eine Diva, die präzise getrimmt werden möchte, sonst läuft sie aus dem Ruder. Oft liegt es an weniger als zehn Zentimeter mehr oder weniger Segelfläche, die den Unterschied bedeuten zwischen starker Luvgierigkeit und segeln mit angezogener Handbremse oder sehr gut steuerbar und speed im Schiff.



Achterlicher Wind von Backbord sieben bis acht, stark böig. Bewegte See. Ich baume das Vorsegel nach Luv aus und lasse das Groß wo es ist: im Mast. Das Ergebnis ist sechs Knoten auf Kurs. Geht doch. Aber erst, nachdem ich zentimeterweise Segelfläche dazugegeben habe. Wie ich schon sagte: gutes Boot aber halt eine Diva.
Ich bin unten in der Kabine. Es ist bis auf das Heulen des Windes ruhig im Schiff. Von der Backbordseite gibt es plötzlich einen Schlag, der durch das ganze Schiff geht. Alle Sachen, die auf den seesicheren Regalen und auf dem Herd stehen, fliegen durch das Schiff, werden quasi von ihrem Platz geschleudert. Das Geräusch, das mit diesem Schlag einhergeht, ist nur mit einem Schuss zu vergleichen – laut, hart, kurz. Niemals zuvor hörte ich ein solches Geräusch oder spürte einen derart harten Schlag im Schiff (außer bei einer Strandung mit 1,5 Meter Wellen). Ich bin mir im ersten Augenblick sicher, dass es eine ramming, eine Kollision mit irgendetwas ist. Ich renne nach oben, sehe mich um, erwarte einen Schiffsrumpf, einen Container (obwohl das natürlich Blödsinn ist, denn ein in Wasser treibender Container würde ja nicht an die Backbordseite krachen) oder… tja, ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Aber da war nichts. Es muss eine Wellenwand gewesen sein, die dem Schiff eine Ohrfeige gegeben hat. Die Form der Welle hatte wohl gerade die des Rumpfes angenommen, als es zum Zusammenprall kam und Wasser kann sehr hart sein.
Ich hoffte, dass das nicht öfter passieren würde und fing an unten sauber zu machen. Zucker, Senf, Pfanne, DVD`s, Eier (zum Glück vorgekocht), Wasserkessel, Tuppersachen, Zewa, Backformen, Kochgeschirr – all diese Sachen sind so verstaut, dass sie bisher noch jeder Krängung mitgemacht haben. Nun lagen sie auf dem Boden verteilt. Dabei hatte die Welle gar keine Krängung im Schiff verursacht, sondern nur eben diesen harten Schlag.
In die Nacht gehe ich mit 4 Windstärken, der Sturm ist durchgezogen. Das Vorsegel ist ausgebaumt mit einem etwa vier Meter langen Bambusstab, den ich vor Jahren einem Häuptling der Kuna-Indianer auf der Insel Mamitupo von den San Blas Inseln vor Panama für drei Dollar abgekauft habe. Er ist eines der wichtigsten Ausrüstungsgegenstände an Bord und erledigt seit Jahren seine Arbeit.

18:48 • 58°41,6N / 032°29,3W
Atlantischer Ozean • Sturmland
11 °C • 4 Bft • 3687 Meilen gesamt

Logbuch am 07.08.13

Sturm
Das fängt ja gut an. Am Vormittag war noch nichts davon zu merken, was am Nachmittag auf mich warten würde. Ich hatte zwar die Vorhersagen, aber der Starkwind sollte erst später einsetzen. Gegen Mittag setzte eine Winddrehung ein, in deren Folge der Wind ganz nachließ und ich sogar ein Stück bei niedriger Drehzahl motorte. Die See war ruhig – lediglich eine lange Dünung hob und senkte das Boot sanft.
Dann kam der Wind. Aus Westen. Westen ist gut. Erst langsam, bald stark zunehmend. Schaumkronen bildeten sich, die Windwellen gingen gegen die Dünung. Unruhiges Wasser. Als ich gegen 21:00 Uhr mit Andrea telefonierte ging es noch einigermaßen, aber der Wind nahm immer weiter zu. Bald hatte ich beständig 8 Bft. und in Böen 43 Knoten, Windstärke neun.
Durch die Nacht ging ich nur mit einem kleinen Rest Vorsegel, im Prinzip lag ich bei. Geschlafen habe ich tief und fest, das Boot lag sehr gut in den Wellen. Nur der Speed und der Kurs waren verschenkt, denn bei 2,4 Knoten in die falsche Richtung besteht ein Handlungsbedarf, den ich in der Nacht nicht mehr leisten konnte.

18:46 • 58°38,0N / 035°33,94W
Atlantischer Ozean • Sturmland
12 °C • 9 Bft • 3594 Meilen gesamt

Logbuch am 06.08.13

Der erste Tag
Ich hatte einen unruhigen Schlaf. Immer wieder weckten mich Geräusche, deren Ursache ich auf den Grund gehen wollte. Rabenschwarze Nacht. Ich schlafe/ruhe/wache/dämmere/döse in kompletter Montur: Brille, Mütze, Stirnlampe, Segelhose und -stiefel. Meine Jacke hatte ich bereit gelegt, in der mochte ich nicht schlafen, die ist voller Salz. Ich sitze mehr in Schräglage als dass ich liege. Mein Nacken schmerzt. Der Wind blieb über Nacht beständig in Richtung und Speed. Ich maile Janek an und wir verabreden für übermorgen die ersten Wettermeldungen. Zurzeit bin ich noch versorgt mit Wetterdaten aus Nanortalik. Morgen wird wohl ordentlich Wind kommen.



Der erste Segeltag allein war im Großen und Ganzen ereignislos. Ich zottelte so dahin auf dem Rücken des Atlantiks. Die Bordzeit stellte ich von grönländischer Zeit wieder vier Stunden vor auf deutsche Zeit. Ich trimmte hier und da ein bisschen, überprüfte die Navigation und… entspannte mich langsam.  Oder, wie die Inuit sagen: Ajungilaq – alles ist gut.

18:44 • 59°06,6N / 037°18,9W
Atlantischer Ozean • Irminger Basin
11 °C • 4 Bft • 3516 Meilen gesamt

Logbuch am 05.08.13

Allein über den Nord-Atlantik
Mit der Geschwindigkeit mit der der Stern, der unseren Planeten Licht und Wärme spendet, hinter den Bergen Ostgrönlands aufging, erhöhte ich auch die Geschwindigkeit des Schiffes und steuerte durch das Eis in Richtung Osten. Zuerst ganz langsam, dann, mit zunehmendem Sonnenlicht immer schneller. Die Eisberge, denen ich begegnete waren nicht mit denen auf der Westseite Grönlands zu vergleichen – diese hier waren viel größer. Auf der Seekarte kann man die Wassertiefen ablesen. Ich fuhr an einem Eisberg vorbei, der in einer Wassertiefe von mehr als 300 Metern gestrandet war. Mehrere Vogelkolonien hatten ihn als Heimat und Transportmittel auserkoren. Dann knallte der Eisberg durch Spannungen und alle Vögel flogen gleichzeitig auf.
Mit den Eisbergen des Oststromes kommen auch die Eisbären an die Westküste. Dort können sie im offenen Wasser keine Robben mehr erwischen und gehen nervös und hungrig in die Städte.
Starke Strömung durch den Ostgrönlandstrom, auf dem Navigationscomputer lese ich 2,4 Knoten ab. Ich nutze diesen Strom und lasse mich seitlich etwas nach Süden versetzen. Wann werde ich aus dem Eis heraus sein? Ich bin jetzt schon ziemlich lange ohne Schlaf und kann nicht ewig wach bleiben.
Irgendwann am Nachmittag wurden die Eisberg nach und nach weniger. Auf dem 16-Meilen-Modus vom Radar sah ich nur noch einen kleinen Blink vor mir. Growlers hatte ich schon seit zwei Stunden nicht mehr gesehen, die Wassertemperatur stieg innerhalb von zwei Stunden von 7 auf 13 Grad Celsius an.



Blick zurück: Die Bergkette Ostgrönlands erstrahlte im Licht der untergehenden Sonne. Ich war jetzt fast achtzig Kilometer von der Küste entfernt und konnte die eisbedeckten Berge noch immer klar sehen. Die Eisberge Grönlands hatte ich am Abend hinter mir gelassen (tatsächlich war es so, dass ich dem letzten Eisberg der Grönlandreise noch ausweichen musste). Ich war sicher, dass ich jetzt eisfrei war. Ich hatte nur noch einen Gedanken: schlafen.
Aber ich konnte nicht, war zu aufgeregt. Wind kam auf, perfekter Wind. Ich setzte Segel. Der Wind kam schräg von vorn, so wie ich es am liebsten mag. Dann kann man das Wasser unter den Segeln sich kräuseln sehen. Ich schaute ins Wasser. Vielleicht doch ein Viertelstündchen die Augen zu machen?
Aber was ist, wenn der Wind dreht?
Der dreht nicht.
Und wenn er stark zunimmt?
Der nimmt nicht zu.
Wenigstens die Segel reffen?
Das musst du nicht.
Und wenn doch noch Eis kommt?
Da kommt kein Eis mehr.
Ich kann nicht schlafen, noch nicht.
Dann knete Brotteig, das beruhigt dich.
Gute Idee, das mach ich.
Mein bester Freund sagt immer: es ist kein Problem, mit sich selbst zu sprechen. Bedenklich wird es erst, wenn man antwortet.  
Dann fiel mir ein, dass ich ja gar nicht allein an Bord bin. Löwenherz-Maskottchen Maximilian ist ja noch da. Mein treuer Gefährte in einsamen Nachtwachen und Krafttier in schwierigen Situationen. Da ich mich die meiste Zeit in der Kabine aufhalte, hole ich ihn zu mir nach unten und setze ihn in die Küche, von wo aus er alles überblicken kann.
Radar im 10-Minuten-Watch-Modus, AIS-Warner eingeschaltet und Eieruhr auf eine halbe Stunde gedreht. Damit versuchte ich es erst einmal. Radar und AIS werden nichts melden, es fahren hier keine Schiffe herum. Selbst Kreuzfahrer aus Reykjavik fahren weiter nördlich in den Sund. Aber ich wollte ausprobieren, ob ich die Eieruhr höre.
Ich hörte sie. Dreimal. Dann schlief ich ein.

18:42 • 59°24,7N / 040°18,6W
Atlantischer Ozean • Krafttierland
10 °C • 4 Bft • 3416 Meilen gesamt

Logbuch am 04.08.13

Abschied nehmen, Einhand-Segler, Prinz Christian Sund, Disko-Klo, Aurora borealis und shooting stars
Ralf ist Schweizer. Er hat mit seinem Alu-Schiff „ntombifuti“ am OSTAR-Rennen von Großbritannien nach Amerika teilgenommen, einer Regatta nur für Einhandsegler, also für Segelschiffe, die mit nur einer Person gefahren werden. Er wartet hier in Nanortalik auf seinen Freund, den österreichischen Bergführer und Extremkletterer Harald. Die beiden wollen an der Ostküste Grönlands Erstbesteigungen versuchen. 

Wir unterhalten uns über das Solosegeln. Meine Einstellung dazu ist ambivalent. Ich lehnte das Einhandsegeln aus Sicherheitsgründen bisher ab. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, mich in die Koje zu legen und das Boot mit offenen Segeln laufen zu lassen, während ich schlafe. Es ist aber auch nicht so, dass mich die sportliche Herausforderung einer Einhand-Atlantiküberquerung nicht schon immer interessiert hätte. Wolfgang Hausner, ein österreichischer Solo-Segler, hat vor mehr als zwanzig Jahren mit seinem Buch „Taboo“ den Grundstein meiner seglerischen Laufbahn gelegt und ich bin seither vom Leben auf dem Wasser fasziniert.

Ich frage Ralf: „Erzähl mal, wie ist das Segeln allein, wie geht das?“
Er überlegt kurz, lacht und sagt: „Genau so, wie mit zwei Personen.“
Ich sage: „Das kann doch nicht sein. Denn wenn ich bei einer Zwei-Mann-Crew schlafen gehe, passt jemand auf das Schiff auf und hält Ausschau.“
Er fragt: „ Ausschau halten nach was?“
Ich sage: „Nach anderen Schiffen.“
Er nickt und fragt: „Hast du Radar mit Intervall-Wachfunktion?“
Ich sage: „Ja.“
Er fragt: „Hast du AIS mit Alarm?“ (zum Identifizieren von Schiffen)
Ich sage: „Ja.“
Er sagt: „Was willst du mehr?“
Im Prinzip hat er recht. Diese Geräte „sehen“ Schiffe schon lange vor dem menschlichen Auge. Und treibende Container oder Baumstämme, die im Wasser treiben, kann man in der Nacht eh nicht sehen, auch nicht auf Radar. Und selbst am Tage, hält man nicht nach Gegenständen im Wasser Ausschau, das macht man nur im Eis.
Ich sage: „Ja, aber…“ – und „Ja, aber“ sage ich noch so ungefähr zwanzig bis dreißig Mal und jedes Mal hat Ralf die Antworten und Erklärungen. Er weiht mich quasi in die Geheimnisse des Einhandsegelns ein. Er erklärt das Manövrieren in den „Steinen“, Ansteuerungen, Schlaf- und Wachphasen überstehen und wie man sicher einen Wecker hört. Wann man sich hinlegen darf und wann man besser darauf verzichten sollte. Und dass eine Einhand-Atlantiküberquerung kein Sonntagsnachmittagsspaziergang wird, kann ich mir schon selbst denken.
Danke, das war`s. Reicht mir schon. Das will ich auch. Direkt vor mir liegt ein Ozean, der nur darauf wartet, von mir überquert zu werden. Ich muss mit Janek reden. Und ich muss mit Andrea reden. Ich muss mehr als reden, ich muss überreden.

Das war übrigens Teil des vergangenen Tages. Der heutige Tag beginnt damit, dass Janek und ich uns verabschieden. Umarmung, Glückwünsche und Leinen los. Alles Gute, pick dich immer ein und fahr bloß vorsichtig. Janek fliegt zurück nach Festland-Europa und bleibt von dort aus der Grönland-Expedition erhalten. Er hat angeboten, weiterhin das Wetter „zu machen“: Ich teile ihm per Mail meine Position, Kurs, Strömungen und Wetterbedingungen mit und er gibt Tipps, Informationen und plant das beste Routing. Das, was ich von ihm gelernt habe, insbesondere beim perfekten Segeltrimm, werde ich in den kommenden Wochen bei meiner Einhand-Atlantiküberquerung gut gebrauchen können.



„ntombifuti“ ist Zulu und bedeutet „Zweitgeborene“. Es war das zweite Schiff des Voreigners von Ralfs Aluschiff. Wir fahren im Konvoi von Nonortalik zur Einfahrt des Prinz Christian Sunds, einer der spektakulärsten Wasserstraßen der Welt, wie der Revierführer berichtet. Spektakulär, weil der relativ schmale Sund von bis zu 1800 Metern hohen Bergen mit steil abfallenden Hängen gesäumt wird. Gletscher produzieren Eisberge, die im Wasser treiben. Wasserfälle, gespeist vom Schmelzwasser auf den Bergkuppen, fallen kilometerweit senkrecht in die Tiefe.
Vor dem Sund lagen so viele Eisberge, dass ich erst dachte, wir könnten nicht einfahren. Wir bahnten uns durch ein Eislabyrinth, immer auf der Suche nach dem besten und sichersten Weg.

 


Mein Plan ist folgender: Ich will heute bis zum Ende des Sunds kommen. Das wird knapp, denn ich bin spät losgekommen. Dort mache ich wegen dem Eis noch vor Sonnenuntergang an der Wetterstation fest, schlafe bis zum Morgengrauen und fahre danach mit der aufgehenden Sonne durch den Ostgrönlandstrom mit seinen Eisbergen in Richtung Osten, raus aus dem Eis. Bevor morgen das Tageslicht erlischt bin ich schon auf dem eisfreien Gebiet des Nordatlantiks.
Die Fahrt durch den Sund war so, wie im Revierführer beschrieben, nein, sie war besser. Ich bin schon viel rumgekommen, aber etwas Vergleichbares habe ich noch nicht gesehen. Ich kam mir zwischen den riesigen rauen Felsmassiven winzig klein vor. Ich dachte: ein Mensch kann das, was ich hier sehe, nicht erschaffen. Diese Steine gehören zu den ältesten der Welt und waren schon hier, als der Mond noch Teil des Planten Erde war.
Im Wasser trieb viel Eis. Kleine und große Stücke, weißes und durchsichtiges. Gestrandete Eisberge, die zerbrochen waren und einer, der sich gerade drehte. Eisberge drehen sich ganz langsam, wie in Zeitlupe. Es rauscht dabei vom ablaufenden Wasser. Der, den ich heute sich drehen sah, knackte und donnerte dabei.
Strahlender Sonnenschein. Im Sund war es warm. Tatsächlich bin ich eine Zeitlang mit freiem Oberkörper im Cockpit gestanden und habe nach Eis Ausschau gehalten. Ungefähr in der Mitte des Sundes dreht die „ntombifuti“ in den Hafen des einzigen Ortes im Sund ab, um dort zu übernachten. Ich überlege, ob ich auch dort bleiben sollte, aber ich hoffe, dass ich es noch vor Sonnenuntergang bis zur Wetterstation schaffen werde. Die Bedingungen sind gut, wir haben Windstille und die Nis Randers macht knapp sechs Knoten. Wird knapp, aber es ist zu schaffen.

An den Berggipfeln bilden sich auf der Eiskappe im Laufe des Tages Kaltluftblasen, die schwerer als die Luft im Sund sind. Am Nachmittag fallen diese Kaltluftmassen regelrecht kilometerweit in die Tiefe. Diese katbatischen Winde, auch willy war genannt, erwischten mich am späten Nachmittag. Von einer Minute zur anderen ist die ruhig daliegende Wasseroberfläche mit Katzenpfötchen überzogen, eiskalter Wind bläst mir ins Gesicht. Der Speed geht auf 4,2 Knoten runter und nach einiger Zeit hackt sich das Schiff in den Wellen fest. Noch 15 Meilen bis zur Wetterstation und bis dahin keine Möglichkeit zum Ankern oder Festmachen. Ich würde es nicht vor Sonnenuntergang schaffen und im Wasser war viel Eis. Ich hielt solange es irgend möglich war Marschfahrt im Schiff und ging dann letztlich schweren Herzens mit dem Speed runter. Ich konnte einfach nichts mehr im Wasser sehen. Selbst mit dem Fernglas ließ sich das black ice nicht ausmachen. Dabei war ich schon so nahe, dass ich die Lichter der Station sehen konnte.
Mittlerweile war es völlig dunkel. Eine Strömung war mit mir. Ich fuhr Standgas, und selbst das musste ich hin und wieder drosseln. Mit 0,8 Knoten tastete ich mich durch das schwarze Wasser. Mit dieser Geschwindigkeit krache ich normalerweise beim Anlegen an den Steg, damit kenne ich mich aus. Wenn also Eis im Wege sein sollte, wird es nicht so schlimm werden.
Ich war aufs Äußerste angespannt, starrte in die Nacht vor mir, obwohl ich wusste, dass ich kein Eis im Wasser erkennen würde. Plötzlich neben mir ein lautes Krachen. Ich erschrak so heftig, dass ich beinahe ins Wasser gehüpft wäre. Dann ein Donnergrollen. Was ist das? Ich starre ins Dunkel, sehe aber natürlich nichts. Ein Blick in die Karte gibt die Erklärung: ich bin an einem Gletscher vorbei gefahren und der hat wohl grad einen Eisberg entlassen.
In rabenschwarzer Nacht durch die Steine zu fahren ist speziell. Die Anspannung ist durch den kalbenden Gletscher nicht eben weniger geworden. Ich brauche einen Kaffee, kann eh nicht ruhig stehen. Das Schiff treibt mehr, als das es fährt. Ich mache jetzt zwischen 0,2 und 0,5 Knoten. Das entspricht in etwa der Geschwindigkeit einer Wanderdüne. Die Fallwinde haben sich verzogen, es ist völlig ruhig. Nur der Motor tuckert gleichmäßig vor sich hin. Dann plötzlich ein sehr lautes Rauschen und Knacken direkt unter mir. Ich bin derart erschrocken, dass mein Kaffee im hohen Bogen aus dem Becher fliegt. Was ist das nun wieder? Die Außenlautsprecher vom Funkgerät. Ich hatte die Funke noch an und die Lautstärke voll aufgedreht, weil ich vorhin Musik anhatte. MENSCH! Meine Nerven.
Dann im Heckwasser Lichter. Was ist das schon wieder? Eis? Ich schau noch einmal. Leuchtviecher im Wasser, die durch das Schiff zum Leuchten gebracht werden. Wie schön! Ich runter in die Toilette, pumpe Seewasser zum Spülen – Disco-Klo, so viel Zeit muss sein
Dann, als die Nacht nicht mehr dunkler werden konnte, zogen flüchtige farbige Schleier über den Himmel. Zuerst zart, fast zurückhaltend, dann kräftiger und beständiger. Ich wusste sofort, was es war, denn ich hatte sie schon einmal vor zehn Jahren auf der Nordsee vor der schottischen Küste gesehen und den Anblick bis heute nicht vergessen. Aurora borealis. Nordlichter. Sonnenteilchen, die in die Erdatmosphäre eindringen. Ihr Vorkommen ist abhängig vom solaren flux, der Aktivität der Sonnenflecken. Alle elf Jahre erreichen sie ihren Höhepunkt um dann langsam wieder abzunehmen. Die Nordlichter sind in ständiger Bewegung und am ehesten mit einer Aquarellzeichnung zu vergleichen, die gerade angefertigt wird – wie, als wenn jemand oder etwas mit einem großen Pinsel den Nachthimmel koloriert. 




Das Schauspiel wurde immer intensiver, der ganze Himmel war voll mit leuchtenden Schleiern. Ich nahm alle Fahrt aus dem Schiff und besoff mich am Anblick. Dann kamen noch die shooting stars, die Sternschnuppen, die inmitten der Lichterscheinungen verglühten und ihren Teil zur nächtlichen Illumination beitrugen.



Es hätte mich in diesem Augenblick nicht im Geringsten mehr gewundert, wenn hinter den Bergkuppen eine Fee erschienen wäre, die mir mild lächelnd mit einer Tranfunzel den Weg gewiesen hätte.
Und Achtung - jetzt wird es richtig kitschig: Im Licht der Polarlichter, die sich in der Wasseroberfläche spiegelten, sah ich keine dreißig Meter vom Bug entfernt einen Buckelwal blasen und abtauchen. Einen Film, der mir solche Bilder zeigen würde, hätte ich als Hollywoodschmonzette abgetan und müsste ihn wegen Unglaubwürdigkeit ablehnen (und gleichzeitig wegen der gelungenen Spezialeffekte loben).



Ich tastete mich zwar noch vorsichtig in den winzigen Naturhafen der Wetterstation, aber das war mir alles zu heikel. Unbekannt und stockduster. Am Ende laufe ich hier noch auf Grund oder krache gegen die steilen Felsen. Ne, ne, das lass ich mal bleiben, nichts wie raus hier. Da lasse ich mich lieber im Prinz Christian Sund im Eis treiben und genieße die Nacht und den Sonnenaufgang. Schlafen kann ich später.

19:13 • 60°03,9N / 043°09,6W
Prinz Christian Sund • Lichterland
5 °C • 0 Bft • 3317 Meilen gesamt

Logbuch am 03.08.13

Stand by

 

Liebes Reisetagebuch. Heute bekommst du eine Pause von mir. Ruh dich ruhig mal ein bisschen aus. Ich werde dich nicht brauchen, um mich an den heutigen Tag zu erinnern, denn ich werde sicherlich auch ohne dich an ihn denken.

 

Logbuch am 02.08.13

Fotoshooting

 

In die Bucht von Nanortaltik wurden durch den Wind große Eisberge getrieben. Einer von ihnen hatte ein „hole“, ein großes Loch in der Mitte, und wenn ein Segler, der in der Arktis unterwegs ist, von einem Foto von sich und von seinem Boot träumt, dann träumt er von einem, das durch das Loch von solch einem Eisberg geschossen wurde.
Mit drei Booten fahren wir raus und knipsen uns gegenseitig in den unterschiedlichsten Posen und Perspektiven. Gute Fotos entstehen nicht durch Zufall, meistens steckt harte Arbeit dahinter. Immer und immer wieder fuhren wir zwischen den Eisbergen herum, auf der Suche nach der besten Perspektive, den besten Einstellungen. Über Funk auf Kanal 17 sprechen wir die Posen und Positionen ab. Faustdicke Stücke brachen von dem Eisberg ab und krachten aufs Wasser. Es entstanden Spalten und Risse. Erst als der Torbogen des Eisberges drohte augenblicklich zu kollabieren, nahmen wir etwas Abstand.

 

 

Auch an die anderen Eisberge fuhren wir heran und ich dabei filmte eine Fahrt durch Trümmerstücke, die ich noch vor einer Woche, aus Furcht vor Schäden am Rümpf, nicht gewagt hätte. Den „Schienenbeinschoner“, den ein guter Freund und Unterstützer dieser Reise noch kurz der Abfahrt angefertigt hatte, haben wir bisher nicht an der Bugnase angebracht, weil er wahrscheinlich eh nicht gebracht hätte. Ganz im Gegenteil: Er hätte uns in Sicherheit gewiegt und wir wären weniger Ausguck gegangen. Mit möglicherweise fatalen Folgen. Es darf einfach nicht passieren, dass man gegen Eis fährt.

 

 

Drei Monate im Jahre 2013 waren geplant für unsere Grönlandexpedition: einen Monat Anreise über den Nordatlantik, einen Monat Aufenthalt an der Westküste Grönlands und einen Monat Abreise mit verschiedenen Stationen an der Küste und Zurücksegeln über den Atlantik. Es ging nicht nur um Grönland allein, das hätte man preiswerter, schneller und vor allem bequemer mit dem Flieger haben können – es ging um die Reise an sich, um das Erleben um das Ablegen und das Ankommen. Heute sind wir auf den Tag genau seit zwei Monaten unterwegs. Jeder Reiseabschnitt für sich stellte einen bisherigen Höhepunkt dar.

19:58 • 60°43,2N / 046°02,4W
Nanortalik • Grönland
7 °C • 0 Bft • 3239 Meilen gesamt

Logbuch am 01.08.13

Back to the roots oder Ajungilaq - alles ist gut

 

Trinkwasser konnten wir nicht bunkern in der Stadt Qaqortoq, in der tatsächlich einige Bäume, nein, das zu sagen wäre übertrieben, denn eigentlich sind es Bäumchen, angepflanzt werden. Aber, wie man auf grönländisch sagt: Ajungilaq – alles ist gut. Am Ende des Tages werden wir Nanortalik erreichen, den Ort, an dem wir von einem Monat zum ersten Mal grönländischen Boden betreten haben und der uns so herzlich aufgenommen hat. Dort werden wir unsere Wasser- und Dieseltanks aufgefüllt bekommen.
Wir fahren aus der Stadt und durch den Fjord an „unseren“ Eisbergen vorbei und gehen hinaus auf See. Unter Motor bei leichtem bis mäßigem Gegenwind fahren wir die Küste hinunter. Mittlerweile kennen wir das Revier und sind vertraut mit den Gegebenheiten, nehmen Abkürzungen durch die „Steine“, wie Felseninseln bei uns an Bord genannt werden, und versuchen uns so auch gegen den Schwell, der von See kommt, zu schützen. Das gelingt uns mal mehr, mal weniger gut aber insgesamt kommen wir gut voran.

Nanortalik ist eine Insel. Auf der Anreise haben wir sie vom Süden seewärts angesteuert,heute gehen wir vom Norden im Uhrzeigersinn in den Hafen. Das ist zwar ein bisschen spannend, weil einige „Steine“ und Eisberge im Weg liegen, aber mit dem Restlicht des Tages  fahren wir in dem uns vertrauen Hafen mit fast unverminderter Fahrt ein.
Es ist schon merkwürdig: Segelst du das erste Mal irgendwo, bist du vorsichtig und misstrauisch wie eine Robbe beim Geruch eines Eisbären. Fährst du das zweite Mal in einen Hafen, meinst du, es handelt sich um dein Heimatrevier und du bist hier zu Hause. Wir jedenfalls fühlten uns wie zu Hause.
Gegen Mitternacht legten wir an einem amerikanischen Motorboot an, das, wie sich herausstellte, ein Weltumsegler, pardon, Weltummotorer, ist. Noch bevor die Leinen der Nis Randers richtig belegt waren, wurden wir zum Wein eingeladen: „Red or withe, wath`s your favorite?“, fragt Marie, das einzige weibliche Besatzungsmitglied der dreiköpfigen Crew, noch über die Reling.

19:35 • 60°43,2N / 046°02,4W
Nanortalik • Grönland
2 °C • 7 Bft • 3239 Meilen gesamt

Logbuch am 31.07.13

Qaqortoq oder Julianehab (mit ° auf dem zweiten a)

 

In der Einfahrt von Qaqortoq wird scharf geschossen. Von allen Seiten knallt es zwischen den Eisbergen. Eine Robbe hat es auf einem Eisklumpen erwischt. Die großkalibrige Jagdmunition hat eine fächerförmige Blutspur auf dem weißen Eis hinterlassen. Drei Jäger warten im offenen Motorboot hinter dem Eisberg auf weitere Robben, die ihren Kopf über der Wasseroberfläche halten. Üblicherweise werden alle Teile der Robbe verwendet: das Fell für Kleidung, Handschuhe, Handtaschen. Das Fleisch wird gegessen - seafood. Das Fett der Robbe wird zum Braten verwendet und aus den Knochen wird traditioneller Schmuck angefertigt (Letzeres sicher nicht konsequent, denn man findet oft Rippenknochen von der Robbe im Müll oder in der Natur).
Leider auch hier und immer noch: Ein Inuit sagte mir, dass es einige Leute gibt, die mit Booten in den Fjord rausfahren und die Robben nur zum Spaß schießen.

Wenn man eine Reise macht, hat man im Vorfeld gewisse Erwartungen. Man möchte sich oder anderen Wünsche erfüllen, Aufgaben und vielleicht auch Aufträge erledigen, Lebensscripte abarbeiten oder sich einen Kindheitstraum erfüllen. Auf einer von diesen Listen stand bei Janek: Ich möchte einen Eisberg besteigen. Warum nicht, das Wetter ist gut, kein Schwell, die Sonne scheint, lass uns mal ranfahren und wir gucken uns einen schönen Eisberg für dich aus. Gemacht, getan. Es war eine schöne Scholle. Groß. Flach. Vom Bugkorb aus gut zu erreichen. Im Gepäck: ein Eispickel, ein Glas und eine Whiskeyflasche.

 

 

Ich umfuhr den Eisberg und machte dabei unabsichtlich Wellen mit dem Schiff. Janek hackte sich Eisstückchen aus dem vielleicht Jahrtausende altem Eisberg und genoss seinen Whiskey on the rocks. Dann knackte es plötzlich in der Scholle und wir waren beide der Meinung, dass es jetzt Zeit wäre für ihn, wieder an Bord zu kommen.

Auch ich hatte einen Wunsch, den ich mir in Grönland erfüllen wollte aber bis heute noch keine Gelegenheit dazu hatte: ich wollte einmal im Leben an einem Eisberg lecken. Ein bisschen infantil für mein Alter? Ist mir egal, das Verlangen ist nun mal einfach da. Diesen Wunsch konnte ich mir heute erfüllen. Janek fuhr die Nis Randers ganz langsam und gefühlvoll an einen großen Eisberg. Es war definitiv der schönste in der Bucht, das war mir wichtig, denn ich würde nicht an jedem Eisberg lecken wollen, da bin ich eigen.
Früher dachte ich, man würde mit der Zunge an dem Eisberg hängen bleiben, wenn man dran leckt, aber die mit sieben Grad relativ hohe Wassertemperatur und die gleißenden Strahlen der Polarsonne des heutigen Tages lassen die Oberfläche des Eisberges so schnell abschmelzen, dass das Wasser in Strömen an seinen Hängen hinab läuft.

 

 

Was soll ich sagen? – der Eisberg war echt lecker! Ich habe ihn sogar getrunken. Das Wasser war wunderbar frisch, die Luft extrem sauerstoffhaltig. Es war bis hierher für mich einer der schönsten Tage der Reise. Die Segelkleidung, die ich auf dem Foto oben trage, wäre gar nicht nötig gewesen, T-Shirt und Socken hätten wohl auch gereicht. Es waren ja schließlich 12 Grad! Wir haben uns schon sehr an Kälte gewöhnt.

 

 

 

Nach der Kür kam die Pflicht. „Boot vor Eisberg“ hieß die Aufgabe. Schutzumschlag vom Buch und DVD-Hülle wollen angemessen gekleidet sein. Der Arbeitstitel: „Grönland unter Segeln – Sturmfahrt ins Eis“ muss wohl, bis auf die Stürme überarbeitet werden.
Trotzdem: Polarer Himmel, polares Eis, polares Wasser, polare Stimmung. Immer wieder steuerten wir mit Kajak und Dickschiff um einen Eisberg mit bizarren Formen herum. Dieser ist auf Grund gelaufen und hat eine Trümmerlandschaft von kleineren Eisstücken auf der Wasseroberfläche hinterlassen.
Nach traumhaften Stunden im Eisbergfeld fuhren wir ein, in die – laut Reiseführer – schönste Stadt Grönlands. Aber „schön“ ist ein subjektiver Begriff, der von jedem selbst definiert werden muss. Man muss auch in der richtigen Stimmung sein, um aufzunehmen. Für mich war Qaqortoq ein Ort, an dem wir festmachen, um zu essen, zu schlafen, versuchen Trinkwasser zu bunkern und der eine Station auf unserem Heimweg ist. An diesem Abend in Qaqortoq ging es mir nicht so gut, war nicht in Stimmung, konnte oder wollte nichts mehr aufnehmen, die Kamera blieb im Schiff.
An diesem Abend  telefonierte ich lange mit Andrea und hatte Heimweh.

19:33 • 60°43,2N / 046°02,4W
Qaqortoq • Wunschland
15 °C • 1 Bft • 3153 Meilen gesamt

Logbuch am 30.07.13

Reise, Reise

 

Um fünf Uhr klingelt der Wecker, Reise, Reise. Fünf Uhr zwanzig ist er ausgeschaltet. Klar, wir sind Segler, aber das Aufstehen fällt uns um diese Uhrzeit genauso schwer wie jedem anderen auch. Sechs Uhr zwanzig legen wir in Paamiut mit Ziel Arsuk ab. Kein Wind. Unter Motor tuckern wir die grönländische Küste entlang in Richtung Süden, passieren riesige Treibeisfelder und Eisberge, die von einem Gletscher stammen und uns in der Strömung entgegenkommen.

 

 

Erstmals kam auch immer öfter das so genannte black ice oder glass ice in Sicht, welches erst im letzten Augenblick zu erkennen ist, weil es keine Luftbläschen eingeschlossen hat und dadurch nicht so strahlend weiß wie andere growlers erscheinen, sondern die Farbe des Wassers annimmt und somit bis auf sehr kurze Distanz praktisch unsichtbar sind. Vieleblack-ice-Eisbrocken sah ich erst, als sie neben dem Bug waren. Das heißt, vielleicht war das black ice auch immer schon während unserer Grönlandexpedition vor unserem Kiel im Wasser, wir waren nur nicht ausreichend informiert und sensibilisiert.

 

 

Das Eis von einem Eisberg kann viele tausende Jahre alt sein, es ist stark komprimiert und hart wie Beton. Ein Eisstück von nur einem Meter Durchmesser wiegt eine Tonne und gibt bei einem Kunststoffschiff unserer Größe kein bisschen nach - im Gegenteil es weicht keinen Zentimeter zur Seite und ist bei einer Kollision potentiell lebensgefährlich. Ein Eisberg hat keine Positionslampen, beachtet keine Kollisionsvorschriften und das „Manöver des letzten Augenblicks“ kennt oder beachtet er nicht. „Backbordbug vor Steuerbordbug“ und „Lee vor Luv“, lässt ihn buchstäblich kalt. Er bläst kein Nebelhorn, antwortet auf keiner UKW-Frequenz, hält sich an keine Flaggengebräuche und zieht im Notfall immer den Joker: bitte ausweichen, ich bin tiefgangbehindert oder manövrierunfähig. Das Ausschauhalten während der Fahrt ist für mich mindestens ebenso anstrengend wie Autofahren und je länger wir unterwegs sind, desto mehr Respekt bekomme ich vor dem Eis.
 Das ist das Dumme an den Eisbergen.
 Aber das Schöne an den Eisbergen ist, und das überwiegt deutlich: sie sind wirklich, wirklich absolut atemberaubend und einfach nur wunderschön in ihrer Größe, in ihrer Form, ihrer Farbe, ihren Geräuschen und in ihrem stoischen Dasein. Und ich bin sehr glücklich, dass ich sie erleben darf.

Irgendwann im Laufe des Tages entscheiden wir Arsuk links liegen zu lassen, um durch die Nacht weiter Süden zu machen. Neues Ziel soll sein Julianehab (mit ° auf dem zweiten a), der Ort, den wir vor einem Monat aus Wettergründen nicht anlaufen konnten. Anstrengend zwar, aber die Natur spielt mit: spiegelglatte See, Mondaufgang um Mitternacht hinter den zerklüfteten Bergen am Kap Desolation bei sternenklarem Himmel. Wunderschön.
Dann vor mir eine grüne Leuchtrakete. Grün? Oh, oh, wofür stand das doch gleich? Dann noch eine: Weiß. Und noch eine und noch weitere. Dann wurde mir klar, dass ich einen Sternschnuppenregen erlebe, der nur mit einem Feuerwerk zu vergleichen ist – wünsch dir was. Und ich wünsch mir was. Der Anblick dieses Naturspektakels entschädigt für die nasskalten Nachtstunden im Cockpit des Schiffes mehr als ausreichend. Der Sonnenuntergang ist eigentlich keiner, denn er ist in diesen Breiten auch gleich sein Aufgang. Er ist so schön, dass ich lange dasitze und mir überlege, trotz der Aufmerksamkeit, die ich der sicheren Fahrt schulde, die Kamera zu holen, um zu knipsen, zu knipsen, zu knipsen. Ich bin wie besoffen von dem Anblick. Aber selbst als Janek mich ablöst, hole ich die Kamera nicht aus der Kabine. Diese Nacht behalte ich für mich allein - in meiner Erinnerung.

19:31 • 60°40,8N / 048°23,4W
Cap Desolation • Wunschland
6 °C • 2 Bft • 3093 Meilen gesamt

Logbuch am 29.07.13

Jäger und Gejagte, Alte und Kajaks

Vergangenes Jahr lief ein Eisbär in den Straßen der Stadt Paamiut herum. Wenn Eisbären in der Stadt oder Umgebung gesichtet werden, kommen die Jäger und töten die Bären. Das Fleisch der Bären wird von den Jägern gegessen.



Gejagt und geschossen wird in und um Paamiut außer Menschen alles, was sich bewegt: Rentiere, Killerwale, Eisbären, Polarfüchse, Robben, Schneehasen, Moschus-Ochsen und Schneehühner. Die Krähen werden mit Schrot abgeknallt, weil sie die Brut der Schneehasen fressen, der Rest wird mit großkalibriger Munition mit bis zum Kaliber 50, oder Durchmessern von bis zu 12,7mm, die auf eine Entfernung von 1,7 Kilometern noch tödlich treffen, erschossen. Kurios: In der Umgebung der Hauptstadt Nuuk darf jedermann Robben frei schießen, zum Angeln benötigt man jedoch eine Berechtigungskarte. Im Fjord vor Nuuk sind so viele Jäger in Booten unterwegs, dass es klingt, als führe man an einer Schießbude vorbei.



Die Gewehre und die Munition kann man völlig frei und ohne Angaben von Personalien im Supermarkt, im ShipShop oder neben der Eistruhe an der Tanke kaufen und werden offen auf den Straßen transportiert. Ich habe zehnjährige Jungen mit Gewehren an den Bootsstegen herumhantieren sehen. Waffenunfälle und Verbrechen, in denen Waffen verwendet werden, sind sehr selten.
Es wird dringend davon abgeraten, allein und unbewaffnet in die Wildnis zu gehen, die im Prinzip schon hinter jedem Haus beginnt. Die Warnungen zielen nicht nur auf Eisbären ab, sondern auch auf gefährliche Sümpfe und Verletzungen durch Knochenbrüche. Viele Grönländer haben ein Gewehr und ein Satellitentelefon, einen Sender oder ein UKW-Funkgerät dabei, wenn sie in die Wildnis gehen.



Wenn ein Hund einen Menschen beißt, darf er nach grönländischem Gesetz getötet werden. Schlittenhunde, die ihre Besitzer angegangen sind, werden von ihnen oft nicht mehr gefüttert, bis sie so weit abgemagert und schwach sind, dass der Rest des Rudels sie auffrisst.

Holger hat seine Zahnarztpraxis im örtlichen Krankenhaus. Unter seinen Patienten sind auch Kinder, von denen zukünftig einige zum Trost einen kleinen Schmusebären mit der Aufschrift „Spiekeroog“ erhalten werden.



Ich übergebe Holger die Mitbringsel, die die weite Reise von Deutschland-Grönland auf der Nis Randers tapfer überstanden haben.

 

In einem Gemischtwarenladen, der neben Möbeln, Lampen, Gewehren und Haushaltsartikeln auch Bootszubehör feilbietet, finde ich einen Anker und ein Stück Kette. Größe und Gewicht vom Anker ist für unser Schiff ideal, die Kette ist ein wenig dünn und ziemlich kurz. Besser als nichts, ich nehme beides und schleppe es zum Schiff.



Als wir gestern früh in Begleitung von Holger das Schiff verließen und durch den Fischerhafen in die Stadt gingen, sahen wir sie auf einem Holzgestell vor einer Bretterbude liegen. Sie waren aus Holzleisten gefertigt, mit Stoff bespannt und relativ schmal und sehr flach. Sie sind wichtiger Bestandteil der Inuit-Kultur, Jagdutensil und Transportmittel und sie sind nicht wegzudenken, wenn man sich ein wenig mit der Geschichte Grönlands beschäftigt: das Kajak. Als ich sie dort liegen sah, war mir sofort klar, dass ich hier nicht wieder ablegen würde, ohne ein solches Kajak an Bord zu haben. Ich suchte schon seit unserer Ankunft in Grönland nach einem Souvenir und für mich dürfen die Andenken, der von mir besuchten Länder immer gern ein wenig größer sein. Das bisher ansehnlichste Stück an Bord ist eine künstlerisch gestaltete Eskimo-Maske aus Holz, die mit Haaren vom Moschus-Ochsen und Zähnen aus dem Horn des Rentieres verziert ist. Sie ist wunderbar gestaltet und sehr dekorativ, aber ein von Inuit handgefertigtes Kajak aus Grönland wäre halt etwas ganz Besonderes.



Wir sprechen Männer an, die am Hafen auf dem Rumpf eines umgedrehten offenen Holzbootes sitzen und sich unterhalten. Wir fragen, ob sie wissen, wer für diese Kajaks zuständig sei und einer nannte uns den Namen Karl Sörenson. Die Wegbeschreibung zu seinem Haus war eher vage, aber bei einer solch kleinen Stadt dürfte es wohl kein Problem werden, sich durchzufragen. Nach einiger Zeit wurden wir von einem Arbeiter zu Karls Haus geführt. Ich klingelte. Nichts. Ich klingelte noch einmal, diesmal länger. Wieder nichts. Wir wollten schon umkehren, da öffnete sich die Haustür einen Spalt breit und es blickte mich ein alter, gebrechlich erscheinender kleiner Mann an. Das heißt, ich war mir erst nicht sicher, ob es sich bei der Person um einen Mann oder eine Frau mit ausgeprägtem Damenbart handelte. Ich fragte auf Deutsch, ob hier Karl wohnen würde. Unbestimmtes Kopfnicken. Karl Sörenson?, fragte ich, mit dem Finger auf ihn zeigend. Unbestimmtes Kopfnicken. Er schaute mich nur an oder durch mich hindurch. Schließlich drehte er sich um und ging langsam schlurfend zurück in das Haus, ließ die Tür aber einen Spalt breit offen.

 

Ich öffnete die Tür ganz und ging hinterher, keine Ahnung, vielleicht war das eine grönländische Einladung einzutreten!? Mein Mitsegler folgte mir nach und nachdem wir durch einen winzigen Flur gingen, waren wir in einem winzigen Wohnzimmer, an dem ein winziges Schlafzimmer grenzte. Im Wohnzimmer stand ein winziger Tisch, an dem eine Frau saß, die auch nicht eben groß war und mich auf eine Art anlächelte, als ob wir uns gut kennen würden und sie unseren Besuch schon seit Längerem ersehnt hätte.



An den Wänden grönländischer Nippes: Dekoteller mit Motiven aus Nuuk, stilisierter Inuit-Schmuck, Miniaturwaffen der frühen Eskimos und das ultimative 10.000-Teile-Puzzle mit schneebedeckten Bergen.
Vor der Haustür hatte ich einen Rollstuhl gesehen, im Wohnzimmer stand eine dieser Gehilfen mit Rollen. Ob wir hier richtig waren, bezweifelte ich stark. Ich sprach ihn auch englisch an. Müdes Kopfnicken. Janek sprach ihn auf dänisch an. Kopfnicken. Scheinbar sprach er nur grönländisch und Körpersprache.
Wir verabschiedeten uns von den beiden und verließen die Wohnung. Wir brauchten einen Dolmetscher, der grönländisch spricht. Mir fiel ein, dass bei Holger Sprechstundenhilfen arbeiten, von denen uns eine vielleicht weiterhelfen konnte. Und tatsächlich begleitete sie uns zu Karl und wie sich herausstellte war Karl tatsächlich unser Kajak-Karl. Brjida, seine Frau strahlte mich an, wie den wiederkehrenden, verloren geglaubten Sohn.

Wir erfuhren, dass Kajak-Karl in der örtlichen Schule Kajaks im Werkunterricht herstellt und im Verein tätig ist. Wohl eher „war“ dachte ich. Passives Mitglied.
„Die beiden würden gern ein Kajak von dir kaufen“, übersetzte die Sprechstundenhilfe für uns.
„Ich habe noch eins im Bootschuppen liegen.  Das können die vielleicht haben“ antwortete Kajak-Karl. “ Wenn die sich das leisten können“, schob er hinterher. Okay, geht doch. Und wie kommen wir jetzt zum Hafen. Sollen wir ihn tragen? Mit seinem Rolator würde der Alte ewig brauchen, wir müssen ja auch irgendwann mal weiter.
Er zog sich die Schuhe an, setzte sich ein Käppi auf und schickte sich an, die Wohnung zu verlassen. Das hieß dann wohl für uns, wir sollten ihm folgen.
Die Sprechstundenhilfe verabschiedete sich, sie musste noch in der Klinik arbeiten. Also führte Karl uns zum Hafen. Er ging vor, wir folgten. Das heißt, wir versuchten zu folgen. Karl hatte einen Schritt drauf, bei dem wir kaum mithalten konnten. Auf halben Weg fing er fast noch an zu joggen! Janek und ich schauten uns verwundert an – von wegen wir ihn tragen. Das hätten wir dem Alten nicht zugetraut.
Beim Bootshaus trafen wir noch Christian, der den Bootshausschlüssel brachte und dänisch sprach. Im Bootshaus lagen mehrere Kajaks, einige fertig gebaut, andere noch in der Herstellung. Karl zog behände eines der Kajaks aus dem Regal und legte es auf den Boden vor dem Schuppen. Er bedeutete mir hineinzusteigen. Ich versuchte es, blieb aber mit meinem Po hängen. Der Alte lachte, schnappte sich das Kajak und ging damit zum Bootssteg am Hafen und warf es ins Wasser, zog seine Schuhe aus und hüpfte fast ins Kajak (ich möchte hier ausdrücklich darauf hinweisen, dass auch er mit seinem Po wackeln musste um durch das Loch in das Kajak zu gelangen).
Er schnappte sich das Holzpaddel, stieß sich lächelnd vom Steg ab und drehte eine Runde durch das Hafenbecken. In ein Kajak ein- und wieder auszusteigen ist nicht so einfach, dass muss man üben. Kajak-Karl hatte damit überhaupt keine Probleme.



Wir guckten uns zwei Kajaks aus, die uns besonders gefielen. Eines wurde von Kajak-Karl, das andere von Christian selbst gefertigt. Beide Kajaks haben bei den grönländischen Meisterschaften im Kajakfahren teilgenommen, das, welches meinem Mitsegler besonders gefiel, hat im vergangenen Jahr sogar die Meisterschaft gewonnen.
Diese beiden Kajaks liegen jetzt auf dem Deck der Nis Randers und werden uns zusammen mit originalen Paddeln und Wurfspeeren nach Deutschland begleiten.

 

22:19 • 61°59,8N / 61°59,8N
Paamiut • Kajakland
15 °C • 2 Bft • 3008 Meilen gesamt

Logbuch am 28.07.13

Nichts gebrochen

Paamiut hat etwa 1600 Einwohner. Seit 1996 ist hier die grönländische Seefahrtsschule stationiert. Es gibt eine Fischfabrik, über die der größte Teil der grönländischen Krabbenfischerei abgewickelt wird. Und Paamiut hat einen Baum, eine fünfundachtzig Zentimeter kleine Lärche, sowie Weißkopfseeadler, die hier leben.

Die Gewässer vor Paamiut sind besonders reich an Walen. Ich kann das bestätigen: ich sah vier Buckelwale vor der Hafeneinfahrt.

Nach vier Jahren hat Paamiut auch endlich wieder einen von den siebzehn in Grönland praktizierenden Zahnärzten. Er heißt Holger, kommt aus Deutschland und sieht sich meine Nase an, die ich mir vor ein paar Tagen angestoßen habe.

Ist nicht schlimm, sagt er, nichts gebrochen, vielleicht bleibt eine kleine Narbe – weitermachen.
Holger lädt uns zu einer Stadtbesichtigung ein. Er zeigt und erklärt uns die kleinen Ort bei strahlendem Sonnenschein und wir verabreden, uns am Abend bei ihm Zuhause zum Essen bei ihm zu treffen.
Vorher müssen wir noch ein paar Sachen erledigen. Wasser schleppen zum Beispiel.

Wir haben seit Tagen leere Wassertanks an Bord. In Nuuk konnten wir wegen unseres Tiefganges kein Wasser aufnehmen und bisher bot sich keine Gelegenheit zum Nachfassen. Wir leihen uns von Drake, dem Amerikaner, an dem die Nis Randers liegt, zwei 20-Liter-Kanister und einen Trolley und gehen zur öffentlichen Wasserstelle, um zu tanken. Drake hasst die Fliegen, die an sonnigen, windfreien Tagen vermehrt aufkommen und trägt zu diesen Zeiten ein Mücken/Fliegennetz.

Das Wasser kommt direkt aus einem fischfreien Stausee, der in Sichtweite hinter dem Ort liegt. Dieser wird vom Schmelzwasser gespeist und das  Wasser schmeckt wunderbar frisch und natürlich. Die Wasserleitungen, die die Häuser und Wasserstellen versorgen, sind oberirdisch, in elektrisch beheizten Leitungen verlegt. Der Permafrost, der schon nach einem Meter Tiefe beginnt, lässt keine unterirdische Verlegung zu.

Holger lädt uns nicht nur zu sich zum Essen ein, er bietet uns auch an, bei ihm zu Duschen. Und er hat Internet. Und Telefon.

18:30 • 61°59,8N / 049°40,4W
Paamiut • Grönland
15 °C • 2 Bft • 3008 Meilen gesamt

Logbuch am 27.07.13

Paamiut

Geweckt wurden wir von beiden Ankeralarmen, die wir auf sehr kurze Distanz geschaltet haben – nicht schon wieder, bitte. Es stellte sich jedoch heraus, dass über Nacht der Wind gedreht hatte. Auf Nord, was sehr günstig für uns ist. Der Wind hatte auch die Wolken vertrieben und die Sonne lachte uns strahlend an. Das Wasser in unserer Bucht leuchtete im Sonnenschein milchig türkisfarben wie in der Karibik, was durch das abschmelzende Wasser des Inlandeises vom Eisblink verursacht wurde. Beste Wetterbedingungen also um weiter in Richtung Süden zu segeln.

 

 

Mir fiel ein, dass ich beim gestrigen Ausflug mein Metallsuchgerät an Land vergessen hatte. Bei der Gelegenheit konnten wir gleich noch ein bisschen nach Überbleibsel der Vergangenheit suchen.

 

 

Und Schießübungen mit dem Gewehr zu machen.

 

 

Und Fotos vom Schiff im türkisen Wasser der Bucht zu machen.

 

 

Schließlich lösten wir uns dankbar von der Boje und segelten unter besten Bedingungen circa fünfzig Meilen in Richtung Süden mit Ziel Paamiut die grönländische Küste entlang. Der achterliche Wind nahm auf dreißig Knoten zu und trotz der brechenden Wellen waren die Growlers im Sonnenlicht gut zu erkennen, weil sie im Wasser deutlich heller leuchteten, als die Schaumkronen der Brecher.

 

 

Gegen Mitternacht fuhren wir in den Hafen von Paamiut und legten an einem Segelboot mit amerikanischer Flagge.

 

 

Als ich auf der Disko-Insel war, habe ich auf einem Berg in eintausend Metern Höhe, dieses schöne Stück bewachsenes Moos entdeckt. Und da ich ja weiß, dass du diese Berichte liest, habe ich es fotografiert und dieses Foto nur für dich hochgeladen, mein Schatz.

 


21:30 • 61°59,8N / 049°40,4W
Paamiut • Grönland
6 °C • 7 Bft • 3008 Meilen gesamt

Logbuch am 26.07.13

Ankerverlust und Raven`s Store

6:00 Uhr morgens, wir liegen noch in den Kojen. Janek merkte es zuerst an der Schieflage des Schiffes und dann an dem Rucken in der Ankerkette. Er raus aus der Koje, Blick nach draußen, heftiger Wind und Regen – in dem Moment heulten beide GPS-Ankeralarme gleichzeitig los. Wir trieben ab, der Anker hält nicht mehr. Er weckt mich, und startet danach den Motor. Ich rein in die Klamotten und ins Cockpit, wo Janek schon bei dem starken Wind in die Ankerkette eindampft. Mit fast 1,5 Knoten Fahrt viel das Schiff seitlich ab. Ich Er versuchte gegen zu steuern, aber der Wind war einfach zu stark. Der Anker schlurte in der kleinen Ankerbucht – um uns herum nur Felsen. Ich nach vorn zum Bugkorb, der Anker musste hoch, wir mussten hier weg. Janek versuchte mit Motorunterstützung die Last von der Ankerkette zu nehmen und fuhr dabei über die Kette. Ich gab ihm Zeichen, die Fahrt zu stoppen, aber unsere Verständigung war für solche Situationen nicht eingeübt und abgesprochen. Mit der Ankerwinsch holte ich zwar Meter für Meter Kette ein aber nach einiger Zeit blieb die elektrisch angetriebene Winsch einfach stehen, weil sie wahrscheinlich überlastet war. Ich versuchte schließlich von Hand die Kette aufzuholen, aber durch die seitlichen Bewegungen des Schiffes, kam immer wieder so starker Zug auf die Kette, dass sie mir aus der Hand glitt und ich sie gehen lassen musste. Dann eben Plan D: Die Ankerwinsch kann auch von Hand mit der Winschkurbel betätigt werden. Aber als ich Bremse der Winsch löste, um das Kurbeln zu ermöglichen, rauschte ein großer Teil der zwanzig Meter langen Kette aus. Es folgte das Ankerseil, eine etwa zwanzig Millimeter dicke Trosse. Diese konnte ich mit der Winsch nicht mehr hochbekommen, geschweige denn mit der Hand. Der Druck auf die Ankertrosse war einfach zu stark – Game over. Im immer noch peitschenden Regen lief ich zurück zum Cockpit und schaute auf den Tiefenmesser: 21 Meter unter dem Kiel, geankert hatten wir auf acht Metern. Jetzt wurde es höchste Eisenbahn. Die kleine Felseninsel hinter uns kam unserem Heck immer näher und näher. Ich sagte Janek, dass ich jetzt keine andere Möglichkeit mehr sehe, als die Trosse durchzuschneiden, damit wir frei sind. Das große Brotmesser mit dem Wellenschliff und dem roten Griff aus der Bordküche schien mir geeignet. Mit drei beherzten Schnitten trennte ich das Schiff von Anker du Kette. Zurück blieb ein echt saublödes Gefühl und ein aufgedröslter Tampen, der zurück an Deck sprang und sich dort noch kurz wand, wie ein an Land geworfener sterbender Aal.
Ich gab Janek ein Zeichen, dass wir frei waren und endlich konnte er gegen den Wind zurück in die Bucht und weg von dem Felsen fahren. Kurze Entspannung. Nachdenken, während wir immer wieder in die Bucht fuhren und uns zurück treiben ließen. Wir befanden uns inmitten zwischen kleinen Felseninseln im starkem Wind und hatten durch den starken Regen sehr schlechte Sicht. Und das Schlimmste war, wir hatten keinen Anker mehr.
Janek erinnerte sich an eine kleine Bucht, die wir passiert hatten, als wir vom Meer in die Inselwelt der Küste gefahren sind. Raven`s Store hieß das Nest, war eine verlassene Station der Walfänger und Fischer der Färöer-Inseln. Obwohl es mehrere Untiefen auf dem Weg dorthin zurück gab, erschien uns der Weg recht sicher, weil wir jetzt Hochwasser hatten und ihn schon kannten. Die Alternative war, hier zu warten und immer wieder in die Bucht zu fahren, um sich zurück treiben zu lassen. Also fuhren wir los.
Als wir nach Stunden hundemüde und pitschnass in die verlassene Fischerbucht einfuhren, wurde mir klar, dass wir hier im Prinzip genau das würden tun müssen wie in der kleinen Felsenbucht: solange unter Motor gegen den Wind dampfen und zurücktreiben lassen, bis der Wind irgendwann nachlassen oder drehen würde, denn die im Grönlandsegelführer beschriebene Holzpier lag völlig zerstört im Wasser.
Dann sah ich mitten in der Bucht einen gelben Ball im Wasser. Als wir näher fuhren, erkannten wir, dass es sich um eine Boje handelte, an der ein Seil befestigt war. Obwohl die Boje und das Seil recht neu und im guten Zustand erschienen, waren wir skeptisch: wie war denn das Seil auf dem Grund befestigt? War es vielleicht nur um einen dicken Stein gebunden oder war es an einem Metallring befestigt, der schon kurz vorm Durchrosten war? Das würden wir nur herausbekommen, wenn wir es versuchen würden.
Zwanzig Minuten später hingen wir am Seil der Boje. Der Wind hatte noch mehr zugelegt, der Regen fiel ohne Unterlass. Um das Seil auf seine Festigkeit zu prüfen, gab ich Vollgas zurück – es hielt, offensichtlich lagen wir gut und sicher (außer natürlich, es würde ein Eisberg in die Bucht getrieben werden, der uns dann rammt, und ganz offen gesprochen, hätte mich es mehr gewundert, wenn es nicht passieren würde, als umgekehrt).
Ich weiß nicht mehr wie spät es war, als wir den Motor ausschalteten. Ich weiß nur noch, dass wir so nass wie vorher noch nie auf der Reise waren und ich vorher noch nie so durchgefroren war. Ich pulte meine Kontaktlinsen aus den Augen, die ich eingesetzt hatte, weil meine Brille ständig mit Regen und Spray so benetzt war, dass ich nichts mehr sehen konnte.
Während wir in den Kojen lagen, um ein wenig Schlaf nachzuholen, nahm der Wind noch einmal heftig zu und blies in Sturmstärke derart über das Schiff, dass es an dem Bojenseil zerrte und sich fast wie auf See auf die Seite legte.

 

 

Nach einigen Stunden – der Wind hatte wieder etwas abgenommen, der Regen leider nicht -  entschieden wir, dass das Schiff sicher an der Boje liegt und wir einen Ausflug mit dem Beiboot zu den verlassenen Hütten am Rande der Felsenbucht wagen könnten. Das Beiboot U96 war innerhalb weniger Minuten aufgebaut im Wasser und beladen mit Metallsuchgeräten, Kameras, Gewehr, Eispickel, Paddel und zwei Typen, deren Energie und Abenteuerdrang scheinbar noch immer nicht erschöpft war.

 

 

Im nicht nachlassenden Regen untersuchten wir die verfallenen Hütten und Häuser der alten Fischersiedlung der alten Fischerbucht Raven`s Store. Viele Fragmente der Ruinen waren dicht mit weichem Moos überzogen. Als ich auf ein solches Patch trat, bohrte sich mir ein alter rostiger Nagel durch meinen Schuh und durch den ersten Socken, dann durch den zweiten Socken, dann durch den dritten Socken, dann durch meine Haut in meinen Fuß. War nicht schlimm, weiter geht`s.

 

 

Wir entdeckten folgendes: Nichts Besonderes.
Nur einen alten Kohlenherd, den Janek gern restauriert und für sein Wohnzimmer gehabt hätte, aber auf den er aufgrund der an Bord herrschenden Platz- und Gewichtsprobleme verzichtete. Und viel Feuerholz, das wir auch gern verwendet hätten, wenn es denn Lagerfeuerwetter gewesen wäre. Und wir fanden den alten, halb verwitterten Steg, der in dem Führer als Anlegestelle beschrieben war und in dem ich mit einem Fuß (jetzt nicht der mit dem Nagel drin) einbrach, weil eine Bohle morsch und verwittert war.

 

 

Schließlich fanden wir in einer der Hütten eine Art Schatzkarte, deren Beschreibung wir folgten und wir fanden ein altes handgeschnitztes Kästchen, welches wohl noch aus der Zeit von vor der Thule-Kultur zu stammen schien und darin fanden wir ein zusammengerolltes Stück Leder und auf dem Stand mit roter Schrift geschrieben: „Reisender, wenn du Grönland besuchst und es regnet und stürmt – dann gräme dich nicht, denn dann gibt es wenigstens keine Mücken“. Und der Autor dieser Zeilen hatte recht.

 

 

 


21:29 • 63°02,2N / 050°55,9W
Raven`s Store • Grönland
8 °C • 6-7 Bft • 2956 Meilen gesamt

Logbuch am 25.07.13

Der Eisblink

Der Grund in der Bucht ist derart mit Gemüse bedeckt, dass wir den Anker kaum an Bord bekamen – so viel hatte sich daran verfangen. Janek musste mit einem Messer den Kelp lösen. Unser Weg führte uns tiefer zwischen die Felsen und Inseln vor der Küste. In den Seekarten befinden sich keine Tiefenangaben mehr, wir befinden uns in unsureyed areas, in den Gebieten, die nie kartiert wurden. Ganz langsam tasteten wir uns weiter in Richtung Süden. Janek hält im Bugkorb Ausschau nach Steinbrocken, die unsere Fahrt stoppen könnten. Auf See soll es heute Starkwind bis fünfunddreißig Knoten aus Süd geben, da können wir nicht segeln. Also versuchen wir es tagsüber innerhalb der Küste.


 

Dieses Naturphänomen erkannten schon die alten Dänen, die diese Gegend besiedelten. Nein, nicht dass der Himmel wieder einmal grau ist, ist das Besondere, denn das ist kein Naturphänomen, sondern scheinbar ein Naturgesetz, nein, das Licht, welches an einer bestimmten Stelle an der Küste leuchtet, ist das Phänomen. Es ist nämlich nicht die Sonne, die dort leuchtet, sondern es ist der sogenannte Eisblink. Grönland ist fast komplett mit Eis bedeckt. Im Sommer geht das Festlandeis jedoch zurück und lässt einen etwa zwanzig Kilometer breiten, teils  grünen Küstenstreifen zurück. Diesen grünen Streifen sah auch Erich der Rote, als er von Island aus mit seinen Mannen zur Insel kam und nannte das Land, das er betrat, entsprechend „Grünes Land“ - Greeenland.
An einer Stelle geht das Festlandeis im Sommer aber nicht zurück. Es wird zwar dünner, aber es schmilzt nicht vollständig. An diesem Ort entsteht kein grüner Küstenstreifen, das Eis reicht bis an das Meer heran. Vor dieser Stelle werfen wir in einer Bucht vor einer kleinen Insel den Anker und besteigen die Kajaks.


 

Von dem starken Südwind, vor dem in den Vorhersagen gewarnt wurde, merken wir nichts – die Gastlandflagge Grönlands unter der Steuerbordsaling hängt schlaff herunter, der Windgenerator steht still.
Nach fast zwei Stunden Kajakfahrt müssen wir trotzdem wegen schlechter Bedingungen die Rückfahrt antreten. Regen, starke Strömungen und diesige Sicht behindern die Weiterfahrt zum Eisblink.


 

Wir kehren um und beschließen, die Reise, trotz der unguten Windvorhersagen, die wahrscheinlich, wie so oft auf unserer Expedition, wieder einmal nicht zutreffen werden, weiter mit der Nis Randers in Richtung Süden zu fahren. Die Kajaks verlaschen wir an Deck, das Schiff wird seeklar gemacht. Anker auf und durchgetastet durch die Felsen. Beim Kajakfahren haben wir gemerkt, dass das Schauen nach Steinen im Bug keinen Sinn macht, denn man sieht in dem milchigen Brackwasser nicht einmal das Paddel, wenn es vierzig Zentimeter unterhalb der Wasseroberfläche ist.
Wir sind also wieder unterwegs. Dann, innerhalb von fünf Minuten 
- Janek hat sich nicht einmal richtig den Trockenanzug ausziehen können  - kam Wind in Sturmstärke auf, der uns auch in dem Dickschiff zum Umkehren zwang. In einem eisigen Regen und in einem Wasser, das noch vor einigen Minuten topfeben vor uns lag, aber jetzt brechende Wellen mit sich brachte, mussten wir wenden, um zu versuchen, unseren alten Ankerplatz wieder anzulaufen. Das Schiff legte sich schief wie auf hoher See unter Segeln und es war schwer den Kurs zu halten. Auf dem Weg zurück zu unserem alten Ankerplatz lachten wir nur noch; lachten über das Heulen im Rigg und schüttelten den Kopf über den Regen, der uns ins Gesicht schlug und über den Wind, der uns auf die auf die Nase wehte. Es scheint ein Bestandteil dieser Reise zu sein, Wetterpech zu haben. Aber wir sind guten Mutes und sagten uns, es könnte Schlimmeres geben.

Wieder vorm eingefahrenen Anker in der geschützten Bucht, ließ der Wind immer weiter nach, der Regen verebbte und das Inlandseis war bei klarer Sicht gut zu erkennen. Und dann lachten wir noch mehr. Aber ohne Faust in der Tasche, alles war gut. Wir werden hier geduldig warten und Ankerwache gehen, bis der Wind nachlässt oder zu unseren Gunsten dreht.

Ich hab mir gestern ein bisschen die Nase angestoßen. Ist nichts Schlimmes, aber ich könnte mir vorstellen, dass sich das besser mal ein Arzt ansieht. In Paamiut soll es ja ganz ausgezeichnete Ärzte geben, wie ich hörte. Wir werden versuchen, in den nächsten Tagen den Küstenort Paamiut anzulaufen.

21:44 • 62°37,2N / 050°18,5W
Eisblinkland • Grönland
10 °C • 0 Bft • 2946 Meilen gesamt

Logbuch am 24.07.13

Eine einsame Insel

Das erste, was uns in der Ankerbucht der unbewohnten Insel auffiel, war die Farbe des Wassers. Türkis-Gletscherfarben und sehr milchig. Ich trank etwas von dem Wasser: salzig zwar, aber nicht so salzig wie gewöhnliches Meerwasser. Brackwasser – eine Mischung aus Süß- und Salzwasser

 

 

Keine zwanzig Minuten nach dem Ankerwerfen, waren die Kajaks im Wasser und bemannt. Wir fuhren zur Küste und suchten Feuerholz für den Abend. Den Fisch zum Grillen würden wir aus der Bucht holen.
Die Feuerholzsuche gestaltete sich schwierig, denn außer im äußersten Süden der Insel, wachsen keine Bäume auf Grönland. Das Holz für zum Beispiel die Häuser, muss importiert werden. Wir fanden ein wenig Strandholz und sogar einen angeschwemmten Baumstamm, den wir allerdings nicht bewegen konnten.
Bei der Suche nach Feuerholz war uns unwohl. In der Gegend um Nuuk wurden in den letzten vier Jahren pro Jahr mindestens zwei Eisbären gesichtet. Eisbären laufen schneller als der Mensch, schwimmen schneller und ausdauernder als der Mensch und sind sehr neugierig. Und sie sind gefährlich. Was sie nicht mögen, ist der Knall von Schüssen. Ab morgen werden wir zur Sicherheit nur noch mit Signalpistole und einem geladenem Gewehr an Land unterwegs sein. 

 


21:42 • 62°43,8N / 050°21,9W
Ankerland • Grönland
8 °C • 0-6 Bft • 2907 Meilen gesamt

Logbuch am 23.07.13

Nach Süden

Die Nacht habe ich wieder auf dem Deck der Bummelfahre verbracht. Mein Schnarchhahn ist zwar unterwegs irgendwo ausgestiegen, aber dafür ist in der kleinen Kabine jetzt jede Koje belegt. Es riecht sehr nach Mensch und ist viel zu warm dort drinnen. Draußen auf dem Deck gehörten die Nacht und der Mond wieder mir allein. Am Ende hätte ich meine Station Nuuk beinahe verschlafen, weil ich mich irgendwann dann doch „nur für ein Viertelstündchen“ hingelegt habe. Gerade noch rechtzeitig wachte ich auf und verließ mit meinem Seesack die Fähre.

Janek hatte während der Zeit, in der ich in der Arktis war, das Schiff in den Kutterhafen verlegt. Hier liegt man kostenlos und bekommt sogar – ebenfalls kostenlos – Strom. Das habe ich noch nirgends auf der Welt erlebt. „Grönland ist vielleicht das letzte Land mit noch funktionierendem Sozialismus“, meint ein Nachbarlieger. „Aber bei den Millionen von dänischen Subventionen, die Jahr für Jahr in das Land gepumpt werden, fällt das Teilen auch etwas leichter“, fügt er hinzu.

Ich bin gespannt auf die weitere Entwicklung im Lande. Grönland will sich frei machen von Dänemark und plant Geschäfte mit den Chinesen, die, im Zuge des Eisrückganges, Bohrungen machen wollen, um an Bodenschätze zu gelangen.

Janek und ich wollen Nuuk sofort verlassen, obwohl wir beide und unabhängig voneinander, Wetter mit schlechten Meldungen gezogen hatten. Ich mag Nuuk nicht so gern und Janek war jetzt schon ziemlich lange hier – also Abflug. Wir packen unseren Krempel zusammen, machen das Schiff seefest und werfen die Leinen los. Vorher noch bitte ein bisschen Diesel vom Tanksteg um die Ecke und Wasser. Das heißt: Wasser blieb beim Versuch. Wir hatten Ebbe kurz vorm Niedrigwasser und das bei Vollmond – nicht genügend Wasser unter dem Kiel, wir kamen nicht an den Wasserhahn ran. Dann eben nicht, wir fahren trotzdem raus.

Schon bei der Hafenausfahrt mit Blick auf den Fjord, sehe ich auf dem Kompass die Himmelsrichtung, der wir in der nächsten Zeit hauptsächlich folgen werden: Süden

 

Wir haben dicke und wir haben dünne. Wir haben welche aus Gummi, aus Wolle, aus Neopren und wir haben welche aus Seide. Ich habe welche aus dem Fell und dem Leder eines toten Tieres. Wir haben welche für die Finger und für die Faust. Wir haben enge und welche, in denen man mit den Fingern drinnen rumspielen kann. Wir haben schicke und bequeme, sportliche und legere. Aber eines haben wir nicht: Handschuhe mit denen wir wirklich zufrieden sind. Die Kälte ist nicht das Problem - das Wasser und die Feuchtigkeit machen den Handschuhen auf Dauer Probleme. In der Tankstelle kauften wir gefütterte Fischerhandschuhe aus Gummi. Für jeden zwei Paar. Mal sehen, ob es mit denen besser geht.

 

Die Wettervorhersagen trafen wieder einmal nicht zu. Wir sollten Starkwind von vorn bekommen, hatten aber Flaute. Erst als der Wind in den frühen Morgenstunden auffrischte und die ersten Katzenpfötchen auf dem Wasser sich bildeten, fuhren wir in die Felsen an der Küste, um dort Schutz in einer Bucht vor einer unbewohnten Insel zu suchen.

21:40 • 62°43,8N / 050°21,9W
Ankerland • Grönland
8 °C • 0-6 Bft • 2907 Meilen gesamt

Logbuch am 22.07.13

Tupilak

In der grönländischen Sprache bezeichnet man mit dem Wort „Tupilak“ die Seele oder den Geist eines Ahnen. Und man gebrauchte diesen Ausdruck wenn man etwas Mystisches oder Unheimliches ausdrücken wollte. Bei diesem Wort denkt man heute an kleine Figuren aus Knochen, Horn, Bein, Zähnen oder Stein.
Den Geist eines Tupilaks kann man sich zu Hilfe rufen, um sich vor Feinden zu schützen.

 

In Sisimiut besuchte ich eine Künstlerwerkstatt in der Tupilaks hergestellt werden. Mir ging das Herz auf, als ich die Männer an Goldschmiedetischen mit Goldschmiedewerkzeugen bei der Arbeit sah. Und tatsächlich waren einige der etwa zehn hier arbeitenden Männer ausgebildete Goldschmiede. Tupilaks werden überall angeboten: im Touristenbüro, in Souvenirläden und sogar in Glasvitrinen im Supermarkt. Gekauft hatte ich bisher nicht, ich wollte auch sehen wie sie hergestellt werden und vor allem wer sie macht. Ich war bei der Ausführung dabei, als der Tupilak oben auf dem Foto fertiggestellt wurde. Er besteht, wie die meisten Tupilaks, aus Rentierhorn und wurde mit normalem Goldschmiedewerkzeug hergestellt.

Dass Grönland zur Zeit der Mitternachtssonne viele Mücken hat, ist hinreichend bekannt. Bislang wurden wir, bis auf wenige Male, bei denen Windstille herrschte, von den kleinen Fliegern verschont. In  Sisimiut heute was das anders: bei völliger Windstille und Sonnenschein waren die Mücken so zahlreich, dass bei jedem Atemzug ein Tier mit in den Luftstrom geriet. Die Einheimischen schützten sich mit einer Art Imkerhut gegen die Plagegeister. Mir blieb nur die Flucht in ein Geschäft. Und – so ein Zufall – es war eine Galerie, in der Künstler ihre Werke ausstellten. Hier war ich richtig.

Später fuhr die Fähre für einen kleinen Stopp zwischen eine Enge Passage durch die Felsen nahe der Küste. Ein Beiboot wurde von der Fähre zu Wasser gelassen, um aus einem kleinen Ort drei Passagiere mit viel Gepäck aufzunehmen. Vielleicht ein Umzug? Mit dem Flugzeug würde das nicht gehen und, wie gesagt, es gibt keine Straßen in Grönland.
Bei der Fahrt durch die Felsen, sah ich, wie ein Mann mit einem Messer, Fleisch aus einem Wal schnitt. Der an einem Kiesstrand liegende Kadaver war schon bis auf das Gerippe vom Fleisch befreit worden. Gedärme trieben in dem, vom Blut des Tieres rot gefärbtem Wasser.
Walfleisch kann man hier in jedem Supermarkt kaufen. Auch hier auf der Fähre wird in Plastiktüten gerötete Walhaut als Snack neben Nüssen, Äpfeln, Kaffee und Kuchen feilgeboten.

Logbuch am 21.07.13

Tingeltour

In Grönland gibt es keine Straßen oder Schienen, die die Städte miteinander verbinden. Hier ersetzen Boote, Fähren und Flugzeuge den Auto- oder Zugverkehr.  
Das Unternehmen heißt Arctic Umiiaq Line, das Schiff ist die Sarfaq Ittuk. Meine Fähre legt um 17:30 Uhr pünktlich in Ilulissat ab. Der Kapitän kommt nur langsam durch das immer mehr werdende Eis vor der Stadt. Immer wieder kracht es durch das Schiff, wenn er gegen Eisbrocken fährt. Ein vor der Küste liegendes Kreuzfahrtschiff wartet seit gestern auf eine Lücke im Eis, um die Stadt anlaufen zu können.

 

Die Schiffsreise zur Hauptstadt Nuuk wird zweieinhalb Tage dauern. Wir tingeln die Küste runter: Kurze Aufenthalte wird es in Aasiaat, Sisimiut, Kangaamiut und Maniitsoq geben. Die kleine Vierbettkabine teile ich mit zwei Grönländern, von dem der ältere ein Schnarch- und somit ich ein Schlafproblem habe. Und es ist warm an Bord, sehr warm. Wenn mich jemand sucht, ich bin draußen auf dem Achterdeck und genieße in der Polarnacht die Mitternachtssonne und – gleichzeitig - den perfekten Mond vor der phantastischen Kulisse der grönländischen Küste.

Logbuch am 20.07.13

Fototermin

 



Ich werde mich immer an das Foto oben erinnern: Achtzehn Kilometer Ausrüstung den Berg rauf und wieder zurückschleppen. Mückenschwärme, die wirklich sehr großen Hunger auf ausgewachsene Säugetiere wie mich haben und diese Gelegenheit auf keinen Fall verpassen wollen und ich mittendrin im kompletter sealskin-Montur, deren Aroma die Mücken scheinbar erst richtig wild machen. Stativ, Selbstauslöser und Aufhellblitz im 10-Sekundentakt und irgendwie bin ich nie wirklich ganz zufrieden. Stundenlang bin ich im Gange – vergesse dabei aber auch nie wo ich bin: Auf der größten Insel der Welt und gleichzeitig auch in einem der schönsten Länder, die ich je in meinem Leben gesehen habe (das Weiße links im Bild oben ist übrigens kein schneebedeckter Berg, sondern ein Eisberg).

 

 

Am Ende der Aufnahmen ist mir so warm, dass ich die Robbenkluft nicht mehr brauche. Von den Mücken lasse ich mich nicht mehr stören, sollen sie doch trinken, pff. Ich berausche mich meinerseits wieder einmal an dem Anblick und kratze später.

 

 

Morgen geht meine Fähre zurück nach Nuuk.

17:54 • 69°13,3N / 051°05,0W
Ilulissat • Grönland
8 °C • 1 Bft • 2818 Meilen gesamt

Logbuch am 19.07.13

Der Mann mit dem Hammer

Früh am Morgen geht die Fähre zur vorgelagerten Insel Disco, die ihren Namen wegen ihrer Form eines Diskusses erhalten hat. Der Sage nach wurde sie hier in die nach ihr benannten Bucht gebracht, weil sie im Süden Grönlands die Fischer bei ihrer Arbeit gestört hat. Auf Disco befindet sich ein Berg. Auf diesem Berg befindet sich ein Gletscher. Auf diesem Gletscher befinden sich Hunde und mindestens ein Schlitten. Für mich war von vornhinein klar: Kein Grönland ohne Hundeschlittenfahrt.

Die Fähre kämpft sich durch das vor Ilulissat liegende Eis aus dem Kangia-Fjord. Viereinhalb Stunden dauert die Fahrt zur Insel. Mit mir sind noch rund zwanzig Personen auf der Fähre – Einheimische, die wohl Besorgungen und Einkäufe in Ilulissat erledigt hatten.

Ich hatte mir für den Gletscheraufstieg zünftige Klamotten aus Robbenfell und Schneeboots ausgeliehen. Und wenn die hier lebenden Menschen bislang kaum Notiz von mir nahmen – als ich in der traditionellen Winterkleidung der Jäger unterwegs war, beachteten sie mich. Allerdings nicht ganz so, wie ich es mir gewünscht hätte: Die Kinder zeigten mit dem Finger auf mich und die Erwachsenen lachten sich halb schlapp. Es war an diesem Tag viel zu warm für diese Kleidung! Schon während des Weges zur Fähre war ich DIE Attraktion. Ich ließ es ostentativ über mich ergehen – diese Küken wussten ja nicht, dass ich auf den Gletscher wollte.

Auf Disko angekommen ging ich zum Büro des Veranstalters. Die Dame hinter dem Tresen, schaute mich an, lächelte süffisant und fragte, ob ich wirklich in diesen Klamotten zum Gletscher rauf möchte. Klar, sagte ich, kein Problem. Nur die Schuhe sind mir ein bisschen groß, vielleicht gibt es ein Taxi, das mich rauffahren kann? Zunächst keine Antwort, sie überlegte wohl noch. Vielleicht würde sie mich ja selbst hochfahren!? Mit einem Kopfschütteln und immer noch diesem Lächeln erklärte sie mir den Weg: Hier um den Ort herum, dann folgst du den blauen Markierungen. Und du willst wirklich noch heute Abend die Fähre zurück nehmen? Wieso, wie weit ist es denn?, fragte ich. Siebeneinhalb Kilometer, sagte sie. Mach ich mit links, antwortete ich.

Was dann kam, waren die so ziemlich anstrengendsten drei Stunden meines Lebens. Der Gletscher lag auf 1010 Metern Höhe. Es gab zunächst einen staubigen Weg. Der wurde zu einem steinigen Pfad. Dann ging es durch hüfthohes Gebüsch, über Bäche, Geröllberge, Mondlandschaften, durch die Wolken in die Sonne. Ich hatte mit einem Aufstieg von zwei Stunden gerechnet und dementsprechend meine Kräfte eingeteilt. Die Abstände zwischen den Pausen wurden immer kürzer, der Puls war mir zu hoch, die Laktatwerte mit Sicherheit jenseits von Gut und Böse. Nach jedem Grad kam ein neuer Gipfel, nach jeder Ebene, ein neuer Anstieg. Mehrfach wollte ich aufgeben und umkehren.  

 Ich bin in meinem Leben mehr als einen Marathon gelaufen, kann mit dem „Mann mit dem Hammer“ umgehen, aber ich kann mich nicht erinnern, jemals danach so fertig gewesen zu sein, wie ich es bei diesem Aufstieg war. Und ich musste auch noch wieder runter! Ich trank Wasser aus den Gletscherbächen und aß das Brot, das ich mitgenommen hatte. Nach jeder kurzen Pause war klar: Aufgeben und Umkehren ist keine Option. Außerdem habe ich einen Auftrag von meiner Tochter, den ich heute erfüllen wollte.

Einige Tode später sah ich in der Ferne die Hütten auf dem Gipfel – endlich! Ich sah aber keine Hunde und keine Menschen, auch nicht als ich näher kam. Ich klopfte, versuchte die Türen zu öffnen. Abgeschlossen, keiner da, ausgeflogen wie der Weihnachtsamann aus Nuuk. Die Verwünschen, die ich ausstieß mag ich hier nicht widergeben. Gerade, als ich mir etwas für die Grinsekatze von Veranstalterin im Tal zurechtgelegt hatte und den Abstieg beginnen wollte, kam aus einer Geröllebene ein junger Mann auf mich zu. Ich bin Knut. Bist du der Typ, der an einem Tag den Auf- und Abstieg machen möchte? Ich sagte, ja. Er sagte, cool.



Knut ist Grönländer und kümmert sich auf dem Gletscher um die Hunde. Ich begleite ihn zum snowscooter und wir fahren damit zu den Schlittenhunden, die er geschwind in die Gurte bringt. Die Hunde sind aufgeregt und scheinen sich auf die Fahrt zu freuen.

Nach der Hundeschlittenfahrt sammele ich für Maria noch Gletscherwasser ein und mache mich wieder auf den Rückweg, für den ich zwei Stunden benötigte. Danach wieder vier Stunden Fähre, um Mitternacht war ich im Hostel.

17:45 • 69°13,3N / 051°05,0W
Disco-Insel • Grönland
2 °C • 0 Bft • 2818 Meilen gesamt

Logbuch am 18.07.13

Auf dem Friedhof

 

Ich dehne meine nächtlichen Wanderungen immer weiter aus. Einige Steinhügel auf einem Berg erregen meine Aufmerksamkeit. Natürlich sind auch hier auf vielen Bergkuppen die vor allem in Skandinavien und mittlerweile auf der ganzen Welt verbreiteten Steinmännchen zu sehen, die Wanderer gebaut haben, um zu sagen: seht mal her, ich war hier und habe mich an den hier rumliegenden Steinen abgearbeitet. Aber diese Steinhügel hier sind anders. Größer. Älter. Die Steine sind mit Bewuchs überzogen und im Gelände kaum zu erkennen. Ich gehe näher. Auf den etwa einen Meter hohen Steinhügeln liegen flache Steine, die die Hügel verschießen wie mit einem Deckel. Bei einem ist der Stein verschoben. Ich blicke hinein und sehe Knochen.

 

 

Nun bin ich kein Arzt, aber dass diese Knochen nicht von einem Vogel oder Hund stammen können, erkenne selbst ich. Und Kühe gibt oder gab es hier ja wohl nicht.

 

 

Ich gehe zum nächsten Hügel und blicke durch einen Spalt hinein.  Ich sehe Beinknochen, Rippenknochen, Unterkiefer mit Zähnen und menschliche Totenschädel. Mir wird mir klar, dass es sich bei diesen Steinhügeln um Gräber handelt. Ich befinde mich auf einem Jahrhunderte alten Friedhof.

 

 

Zu Zeiten der Thule-Kultur wurden die Inuit oft sitzend, in Hockstellung begraben, der Kopf war zum Fjord gewandt. Der Fjord war Jagdrevier und Lebensgrundlage. Die etwas abseits der Siedlungen gelegenen Steingräber wurden mehrfach verwendet: Deckel auf, gucken ob noch (oder schon wieder) Platz drin war und rein damit. Oder es wurde bei Platznot ein neuer Hügel errichtet. In den Boden graben entzog sich den Überlegungen schon allein wegen dem gefrorenen Boden.

 

 

Auch heute noch schätzen die Gemeinden oder Kommunen wie viele Menschen in der Winterzeit sterben werden und heben die Anzahl der Gräber bereits in der kurzen Sommerzeit aus.  Diese Begräbnisstätten sind, ob des Permafrostes, meist sehr flach und die frischen Gräber werden mit hohen Zäunen umgeben. Die Gründe sind bekannt.

Logbuch am 17.07.13

Polarfarben und tote Kinder

 

 

Der gestrige Anblick vom Gletscherfjord Kangia kann süchtig machen. So beschwerlich der Pfad dorthin auch sein möchte, heute habe ich mich wieder auf den Weg dorthin gemacht. Bilder und Worte können die Pracht der Polarfarben und die Geräusche, die von den brechenden Eisbergen stammen sowie die friedliche Stimmung, die hier herrscht nicht beschreiben. Ich erklimme den höchsten Berg der Umgebung und berausche mich am Anblick, bleibe eine Stunde oder drei auf einem Felsen sitzen und ergötze mich an der Aussicht. DAS habe ich mir von Grönland erhofft – es war eine lange Reise, aber jetzt bin ich endlich angekommen.

 

Grönland ist vulkanisch. Die Häuser werden zum Teil in den Fels gehauen, die Fundamente mit Balken gestützt. Ein Grundstück, das direkt zum Haus gehört, gibt es oft nicht oder ist nicht zu erkennen. Selbst bei den Häusern, die auf einer Ebene Platz fanden, gibt es keine Einzäunungen. Außer bei einigen Häuser und diese Zäune sind dann meist mit fast zwei Metern Höhe nicht gerade niedrig.
4500 Einwohner und mehr als 2300 halbwilde Hunde. Die meisten sind zwar angekettet und werden in den slegde dog areas, den Hundeschlittengebieten gehalten, aber diese Ketten können brechen oder ein bislang domestiziert geglaubter Hund ändert plötzlich sein Verhalten, sieht ein Kind und beißt zu. Es hat tödliche Hundeattacken auf Kinder gegeben und zum Schutz der Kleinen werden Zäune um die Häuser gebaut.

Das Fleisch der hier erlegten Robben wird gegessen. Und zwar ausschließlich. Es gibt Rippchen, Gulasch, Rouladen und Suppe von der Robbe. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass kein Tier wegen seines Felles geschossen wird, wie das in früheren Zeiten mal der Fall war. Heuler, also die Jungtiere der Robben, die vor allem in Kanada wegen ihres weißen Felles erschlagen und teils halbtot gehäutet wurden, waren und sind hier tabu. Mit dem EU-Importverbot von Robbenfell aus dem Jahre 2011 ist ein erheblicher Preisverfall  einhergegangen. Der Preis für ein Fell eines erwachsenen Tieres (und nur diese sind frei verkäuflich) sind von vierzig auf rund fünfundzwanzig Euro gefallen. Das bereitet vielen Jägern hier große finanzielle Probleme.

17:39 • 69°13,3N / 051°05,0W
Ilulissat • Grönland
8 °C • 1 Bft • 2818 Meilen gesamt

Logbuch am 16.07.13

Wandertag

Ich verschlafe den Tag, mache die Nacht zum Tag. In Wanderstiefeln und mit der Kamera mache ich mich unter dem Licht der Mitternachtssonne auf zum Eisfjord des Ilulissat-Gletscher, quasi dem Haus-Gletscher der Stadt, auch Jakobshavns-Isfjord oder Kangia genannt.
Auf dem Weg dorthin quere ich die sledge dog areas, die Gebiete, in denen die Schlittenhunde leben und versorgt werden.

 

 

Die Hunde liegen an Ketten geleint vor Holzverhauen und beobachten mich beim Vorbeigehen genau. Hinweisschilder in mehreren Sprachen warnen davor, diese Hunde zu füttern oder gar zu streicheln.

 

 

Es sind halbwilde Tiere, die in einer streng erkämpften Hierarchie leben. Da ist für mich sicher kein Platz, also halte ich Abstand.

 

 

Auf vielen der Holzhütten stehen die Hauptverkehrsmittel des Winters: die Hundeschlitten.

 

 

Verkehrsschilder weisen unmissverständlich darauf hin, wer in der dunklen Jahreszeit hier die Vorfahrt hat.

 

 

Nicht alle Hunde sind angekettet. Welpen und junge Hunde laufen frei herum. An einige Hunde traue ich mich dann doch etwas näher heran. Sie sind sehr jung und noch klein. Bald sind es vier Welpen, die meine Aufmerksamkeit fordern und in meinen Hosensaum beißen – früh übt sich.

 

 

Bevor meine Hose Hippie-Style annehmen konnte, machte ich mich wieder auf den Weg in Richtung Gletscher. Ich kam an ein Schild, das mich darauf hinwies, dass ich mich jetzt im Gebiet des UNESCO-Weltkulturerbes befand. Vorbei ging es den Ruinen einer alten Siedlung, von der man annimmt, dass hier die ersten Menschen schon vor 4000 Jahren lebten. Die Knochen von Seehunden liegen noch heute zwischen den Steinen.
Wenig später erreiche ich die Altweiberschlucht, an deren fünfunddreißig Meter hohen Steilwand sich in früheren Zeiten vor allem die alten Frauen zu Zeiten einer Hungersnot herabstürzten, um das Fortbestehen der Siedlung zugunsten der Kinder und jungen Leute zu sichern.

 

 

Der Weg führte mich immer weiter in die Wolken hinein und schließlich war ich am Berggipfel angekommen und konnte in den Gletscherfjord sehen. Und ich sah: nicht viel. Vorn ein bisschen Eis und ansonsten Wolken und Dunst.

 

 

Ich verweilte eine Zeitlang auf dem Gipfel um Zeitrafferaufnahmen von den Wolken zu machen. Dann aber, fast unmerklich und so langsam, dass ich es zunächst nicht bemerkte, formte sich aus dem weißen Dunst eine blaue Kontur. Der Nebel lichtete sich etwas und gab den Blick frei auf einen gewaltigen Eisberg, der hier direkt vor mir lag. Ich konnte ihn zunächst nicht hören, weil der Nebel alle Geräusche schluckte, aber jetzt hörte ich ihn knacken und grummeln.
Es war einer dieser Augenblicke, die man niemals im Leben vergisst und ich war froh, den langen Weg auf mich genommen zu haben.

 

 

Ich stand auf dem Gipfel eines Berges, der 280 Meter über dem Meeresspiegel liegt und ich musste zu dem Eisberg heraufschauen. Nur 10-30% liegen über der Wasseroberfläche. Der Eisberg ist vor einigen Monaten vom Gletscher Sermeq Kujalleq abgebrochen und wird jetzt seinen Weg über eine Moräne antreten, an dem er etwas von seiner Größe einbüßen wird. Danach wird er nordwärts getrieben um später seine Reise an Neufundland und Kanada vorbei in Richtung Süd fortzusetzen. Sein Abschmelzen kann einige Jahre dauern und ihn eventuell bis auf die Höhe von New York führen.

10:53 • 69°13,3N / 051°05,0W
Ilulissat • Grönland
12 °C • 0 Bft • 2818 Meilen gesamt

Logbuch am 15.07.13

Der Gletscher

 

Achtzig Kilometer nördlich von Ilulissat fließt der Gletscher Eqi, auch Eqip Sermina vom Inlandseis ins Meer. Dort, wo er ins Meer mündet, ist er fast vier Kilometer breit und seine Abbruchkante ist über zweihundert Meter hoch, fast achtzig Meter davon ragen aus dem Wasser. Der Gletscher ist einer der größten Sehenswürdigkeiten in der Gegend. Da zum Wandern zu weit, spreche ich Aspen an.

 

 

Aspen ist gebürtiger Däne, lebt der Liebe wegen seit fünfzehn Jahren in Grönland, ist nett und sein schickes gelbes Wassertaxi sieht echt schnell aus. Wir verabreden einen Ausflug zum Gletscher, für den ich auf der Nis Randers  einen ganzen Tag bräuchte. Nur für die Hinfahrt. Er meint, in anderthalb Stunden sind wir da. Er startet die Motoren und legt den Hebel fast auf den Tisch. Das Eis vor der Hafeneinfahrt umfährt er geschickt, über kleine Eisbrocken braust er einfach drüber hinweg. Es rummst und kracht mehr als einmal im Boot. Das Kunststoffboot ist extra für Eisfahrten verstärkt worden, erklärt Aspen, als er meinen besorgten Blick sieht. Als wir eisfrei sind, gibt er Vollgas. Die karge Landschaft zieht schnell an uns vorbei. Er macht mich unterwegs auf Sehenswürdigkeiten, wie zum Beispiel einen Wasserfall aufmerksam und während ich noch überlege, ob ein Stopp lohnenswert wäre, sind wir schon daran vorbei. Auf dem Rückweg vielleicht, sage ich. Er lacht, ruft „Speeeed“ und scheint die schnelle Fahrt sichtlich zu genießen. Motorbootfahrer eben.

 

 

Marschfahrt fünfundzwanzig, in der Spitze siebenunddreißig bis vierzig Knoten macht sein Boot. Während der Fahrt erklärt er mir Vieles über das Leben hier, über die Menschen das Eis und die Tierwelt. Ich erfahre, dass zurzeit Robbensaison ist und wenn wir ganz viel Glück hätten, würden wir eine sehen. Da musste ich an unsere Anreise denken und die Mengen an Robben, die wir sahen. Ganze Schulen tummelten sich auf dem Meer zwischen den Eisbergen. Dorthin kann Aspen mit seinem Motorboot wegen der Wellen jedoch nicht gelangen.  

 

 

Als wir um eine Landzunge fuhren sah ich die Gletscherzunge. Sie war gewaltig. Aspen, der den Gletscher gut kannte, lachte und meinte, die wird noch viel größer, wir wären noch fünfzehn Kilometer entfernt.

 

 

Das Trümmerfeld der Eisbrocken vor dem Gletscher umfuhr Aspen im weiten Bogen, bis wir ganz nahe an der Gletscherkante waren. Als er die Motoren ausschaltete und wir in dem völlig unbewegten Wasser bei strahlendem Sonnenschein trieben, hörte man das ständige Zerplatzen der Luftbläschen in den Eisstücken. Und ich hörte den Gletscher. In kurzen Intervallen gab er Geräusch von sich, die entstehen, wenn er voran getrieben wird. Von der Ferne erschien es zunächst, als ob er unbewegt da liegt, aber er war in ständiger Bewegung. Wir waren so nah, dass es nicht knackte, sondern krachte. Es grummelte nicht, es donnerte. Es waren Geräusche wie in einem nahen Gewitter. Immer wieder stürzten Eisbrocken von den Spitzen herab, um aus mehr als einhundert Metern Höhe auf das Wasser zu krachen.

 

 

Als der Gletscher kalbte, erschrak selbst der sonst so coole Aspen ein wenig. Begleitet von einer Kakophonie löste sich ein großes Stück von der Gletscherkante und donnerte auf das Wasser. Ein neuer Eisberg wurde geboren. Dem Aufprall folgte eine Flutwelle, die langsam und wie in Zeitlupe auf uns zurollte. Das Boot wurde sanft angehoben, als die Welle unter uns hinweg rollte. „Die Welle wird auf der anderen Seite der Bucht brechen“, erklärte er. Dort, wo das Wasser allmählich flacher wird, erzeugen die Wellen von Kalbungen bis zu zehn Meter hohe Flutwellen. Das ist es auch, was Eisberge oder Gletscherkanten so gefährlich macht.

 

19:09 • 69°13,3N / 051°05,0W
Ilulissat • Grönland
12 °C • 0 Bft • 2818 Meilen gesamt

Logbuch am 14.07.13

In der Arktis, am Ende der Welt

Ilulissat, auch Qaasuitsup Kommunia (Polarkommune), liegt in der Arktis, rund 300 Kilometer nördlich des Polarkreises. Hier wurde auch der weltberühmte Polarforscher Knut Rasmussen geboren. Es ist die größte Stadt in der größten Kommune der Welt und das auf der größten Insel der Welt. Ilulissat ist Grönlands drittgrößte Stadt. Auf 4500 Einwohner kommen rund 2300 Schlittenhunde, die man am Tag und in der Nacht, wenn man denn im arktischen Sommer irgendeine Uhrzeit als Nacht bezeichnen möchte, in ständig wiederkehrenden Intervallen bellen und aufheulen hören kann. Die Einwohner Ilulissats sind Besuchern gegenüber freundlich und zuvorkommend. Anders als im Süden Grönlands leben die Menschen hier von der Verarbeitung von Fisch und Krabben und, je nach Saison, der Jagd auf Robben und Rentiere sowie den Touristen, die größtenteils in Kreuzfahrtschiffen angekarrt werden, damit sie die spektakuläre Natur – Mitternachtssonne, Polarlichter, Eisberge und kalbende Gletscher – erleben können. Ilulissat ist zum Symbol der globalen Erwärmung avanciert, ungeachtet, dass es im gesamten Norden Auswirkungen der Klimaprobleme zu spüren gibt.
Am Wochenende gilt ein Alkoholverkaufsverbot: Samstags ab 13:00 Uhr und sonntags ganztags gibt es nicht einmal ein Bier im Supermarkt. Die Preise für Alkohol in Bars oder Restaurants sind so hoch, dass man gern auf Wasser umsteigt. Betrunkene, die sich kaum noch auf den Beinen halten können, wie ich sie im Süden Grönlands erlebt habe, sind mir hier auf den Wegen noch nicht begegnet.

 

 

Meine innere Uhr ist schon von der Zeit auf See durcheinander, allein die Telefonate mit meinen Lieben in der Heimat sind ein Fix im Tag. Die nicht untergehende Sonne gibt dann dem Zeitgefühl den Rest. Um zwei Uhr morgens streife ich hellwach durch die Gegend, auf der Suche nach guten Fotomotiven. Mir begegnen Kinder im Alter von vielleicht zehn bis zwölf Jahren, die auf ihren Fahrrädern über die Schotterstraßen fahren.

 

Es ist friedlich und beschaulich hier am Ende der Welt. Heute ist Sonntag, die Leute gehen in die Kirche, anschließend trifft man sich zum Plausch oder geht im Sonnenschein spazieren.

 

 

Direkt vor der Stadt Ilulissat treiben gewaltige Eisberge vorbei, die von dem benachbarten Gletscher stammen und vor mehr als einem Jahr abgebrochen sind. Der Gletscher ist der größter der nördlichen Hemisphäre. Mit einer Fließgeschwindigkeit von fast fünfzig Metern pro Tag ist er einer der schnellsten der Welt und der schnellste Grönlands. Die hier entstehenden Eisberge haben oft eine Größe von mehr als einhundert Metern. Große Eisberge haben eine Masse von über einer Million Tonnen. Man nimmt an, dass der Eisberg, auf den die Titanik gelaufen ist, von dem Ilulissat-Gletscher stammt.

 

 

Logbuch am 13.07.13

Weckerklingeln um fünf Uhr morgens. Hab ich überhaupt geschlafen? Schnell noch einen Kaffee und dann raus in den Regen mit dem Gepäck. Janek ruft mir ein Taxi, aber nach den Fragen seines Gesprächspartners zu urteilen, gehe ich mal lieber davon aus, dass ich besser den Daumen raus halte und einen Autofahrer bitte oder so lange mit Geld erpresse, bis er mich zum rund drei Kilometer entfernten Flughafen fährt. Doch das Taxi kam und ich war pünktlich am Flughafen.

 

Der Flieger steigt auf und ich erhaschte nur einen kurzen Blick auf das am Steg liegende Schiff, dann waren wir in den dichten Wolken verschwunden. Kurze Flugzeit, ich war überrascht. Nach nicht einmal einer Stunde steigen ich, Maskottchen Maximilian und die rund vierzig Passagiere in Kangerlussuaq, wohl einem Vorort von Ilulissat, aus. In der Gepäckabfertigung unter dem kleinen Terminal wartete ich auf meinen Seesack, der als Gepäck aufgegeben wurde. Ich konnte durch die Glasscheiben im Warteraum sehen, wie die Maschine entladen wurde, mein blauer Seesack war aber nicht dabei. Auch das kleine Förderband lief nicht an. Ich ging nach oben zum Schalter und fragte nach. Wo ich herkomme, fragte die Dame. Aus Nuuk, sagte ich. Wo ich hinmöchte, fragte sie. Hierher, sagte ich. Das Gepäck kommt gleich, sagte sie, nachdem sie ins Funkgerät etwas gesprochen hatte. Ich wieder nach unten. Ich sah durch die Scheiben, dass die Gepäckluken des Fliegers geschlossen wurden und die Motoren der Maschinen wieder anliefen. Ich schnell wieder nach oben. Halten sie den Flieger an, da ist noch mein Gepäck drin, sagte ich. Sie sprach ins Funkgerät, antwortete irgendetwas, konnte sie nicht verstehen, weil ständig Durchsagen gemacht wurden. Sie fragte noch einmal wohin ich möchte. Na hierher, nach Ilulissat, sagte ich. Wir sind aber in Kangerlussuaq, sagte sie. Dann wieder die Durchsagen: Mr or Mrs Määnschoolt, please come to Gate A. Ich bin zu früh ausgestiegen, Kangerlussuaq ist kein Vorort, sondern der internationale Flughafen von Grönland. Die Maschine wartete schon seit einer Viertelstunde auf mich. Mit rotem Kopf rannte ich über das Rollfeld, stieg Entschuldigungen murmelnd ein und nahm Platz. Ich wusste ja nicht, dass wir eine Zwischenlandung haben werden. Nach noch einmal einer Stunde Flugzeit waren wir in Ilulissat angekommen.

 

9:00 Uhr Ortszeit. Taxi zum Hostel/Jugendherberge. Einfach aber gut. Kleines Zimmer mit Bett, Tisch, Stuhl, Schrank, Spiegel. Klo und Dusche auf dem Gang, Gemeinschaftsküche zur Selbstverpflegung. Sonnenschein, blauer Himmel. Internationale Gäste, lockere Stimmung. Mir gefällt’s.

 

Schon vom Flieger habe ich durch die Fenster das Eis vor der Hafeneinfahrt der Stadt gesehen. Es türmte sich kilometerweit ins Meer hinaus. Gut, dass wir nicht her gesegelt sind, hier wäre für uns mit dem Segelschiff kein Durchkommen gewesen. Eine Einheimische sagte mir, dass das Eis vor der Stadt schon seit Wochen die Zufahrt behindert und auch die Schiffe, die im Hafen liegen, warten auf einen Windwechsel, der das Eis forttreibt. Das sind die Folgen der Erderwärmung, sagt sie. Sie lässt die Gletscher deutlich schneller abschmelzen und produzieren dadurch immer mehr Eisberge, die ins Meer hinaustreiben und bis zum Horizont reichen. Im Hintergrund auf dem Foto unten ist das Treibeis gut zu sehen.

 

Sogar im geschäftigen Hafen sehe ich große Eisstücke, die dort hineingetrieben sind. Zwei Segler mit Stahlrümpfen liegen dort vor Anker. Ich verabrede eine Tour zu den Eisbergen mit einem eisgängigen Motorboot für die Nacht und schaue mir in der Zwischenzeit die Stadt an.
Durch puren Zufall entdecke ich bei meiner Wanderung durch die Stadt einen großen roten Postkasten mit einem großen roten Schlitten davor.

 

Ich habe ihn gefunden, den Briefkasten von Weihnachtsmann. Ich wusste, dass es ihn gibt! Und er ist wirklich groß, viel großer als ich dachte.

 

In ihm liegen tausende Briefe von Kindern aus aller Welt. Durch eine Glasscheibe kann man hineinsehen und einige Absender erkennen. Da sind buntbemalte Briefe von Kindern aus Schweden, aus Norwegen, aus Australien, aus Shanghai/China, aus den USA und natürlich auch aus Deutschland (liebe Paula W. aus Berlin, dein Brief ist angekommen). Die Adresse lautet auf den meisten Briefen: Santa Claus, Nuuk, Greenland. Aber nicht nur Briefe werden dem Weihnachtsmann geschickt, es liegen auch viele Schnuller in dem Kasten. Meine Kinder kennen die Schnullerfee, die irgendwann kommt und den Nuckel gegen ein Geschenk austauscht, wenn sie dazu bereit sind, ihn unter das Kopfkissen zu legen um darauf einzuschlafen. Aber ihn dem Weihnachtsmann zu schicken, ist auch eine schöne Idee.

Im Schein der Mitternachtssonne ging es dann in die mystische Welt der Eisberge. Die See lag spiegelglatt vor uns. Eisberge bestehen hauptsächlich aus Weißem Eis, das heißt, sie haben bubbles, kleine Luftbläschen eingeschlossen, die ständig zerplatzen. Darum ist es nie ganz ruhig im Eis. Einige von diesen Riesen grummeln zeitweise vor sich hin, wenn sie Spannungen abbauen. Teilweise werden Eisberge auch vom Schwarzen Eis durchzogen. Diese haben keine Luftblasen, weil diese bei ihrer Entstehung im Gletscher durch hohen Druck entwichen sind. Vor diesem Eis muss man sich auf See in acht nehmen, man kann sie nicht sehen, denn es nimmt die Farbe des Wassers an – und das ist meistens schwarz, daher der Name.

 

Wenn Eisberge zerbrechen oder Teile von ihnen ins Meer stürzen, entstehen Wellen, die für kleinere Boote gefährlich werden können. Besonders dann, wenn diese Wellen brechen und das tun sie nur, wenn das Wasser flacher wird, also an Ufernähe. Auf See braucht man keine große Sorge haben, schon gar nicht mit einem hochseefähigen Segelschiff, wurde mir erklärt.

 

Drei Stunden lang fuhren wir durch diese ruhige Welt, in der es erstaunlicherweise nicht so kalt war wie erwartet. Ich hatte ein T-Shirt und eine Fleecejacke an. Handschuhe brauchte ich nicht.

09:32 • 69°13,3N / 051°05,0W
Ilulissat • Grönland
22 °C • 0 Bft • 2818 Meilen gesamt

Logbuch am 12.07.13

Ausgeflogen

Und der Wind kam tatsächlich und er wurde zum Sturm. Mit fast 10 Windstärken fegte der Sturm am Vormittag über das Meer, über den Fjord, über die Stadt und schließlich auch über den Hafen. Die Nis Randers zerrte und ruckte derart an den Festmachern, dass wir Sorge hatten, diese konnten reißen oder durchscheuern. Vier, im tosenden Wind ausgebrachte Leinen, verhinderten ein weiteres Einrucken. Zwei Stunden später beruhigte sich der Sturm etwas und wir konnten uns um wirklich wichtige Dinge kümmern, nämlich um den Weihnachtsmann.

Das Büro vom Santa Claus hatten wir in der Hauptstadt schnell gefunden. Dazu bedarf es nicht etwa einer speziellen detektivischen Ausbildung, nein, das steht in jedem Reiseführer: es befindet sich in einem restaurierten Kolonialhaus im Nationalmuseum, was einem Museumsdorf entspricht. Das Interieur bestand aus einem leidlich festlich geschmückten Plastik-Tannenbaum und neben gnomenhaften, lieblos dahin drapierten Weihnachtsmannpuppen mit lächerlichen Mützchen auf dem Kopf sowie Billigdruck-Kitschpostkarten zierten den Innenraum einiger Nippes, der dem echten Weihnachtsmann jedoch in keinster Weise auch nur annähernd würdig erschien. Das Büro war unbesetzt, menschenleer. Auch die Fächer in dem alten Holzschrank, in denen nach Ländern sortiert die Wunschzettel eingelegt werden, waren verwaist. Ausgeflogen.

 


Aufsteigende Panik. Eine Mitarbeiterin vom Museumsdorf bemerkte meine Unruhe und sah meinen verzweifelten Blick, bestätigte aber letzten Endes mit vielen, entschuldigenden Worten, was wir eigentlich schon längst wussten aber nicht wahr haben wollten: hier in Nuuk stehen zwar noch die kümmerlichen Reste und Überbleibsel vom Büro des Weihnachtsmannes, der berühmte Postkasten jedoch, der Postkasten in dem im November eines jeden Jahres alle aus allen Ländern dieser Welt eingegangenen Wunschzettel feierlich eingeworfen werden, dieser Postkasten ist umgezogen und in die mehr als siebenhundert Kilometer weiter im Norden gelegene Stadt Ilulissat verlegt worden.

 

 

Für mich war die Sache sofort klar: Ich brauche ein Reisebüro. Innerhalb von zwanzig Minuten hatte ich ein Flugticket nach Ilulissat in der Hand, grimmig entschlossen, den Postkasten zu finden und die mir anvertrauten Wunschzettel einzuwerfen. Nebenbei und weil ich noch ein bisschen Aufenthalt haben werde, könnte ich mir noch die Gletscher, die Eisberge, die Mitternachtssonne und ein paar andere Sachen ansehen. Ursprünglich war geplant, dass wir bis nach Ilulissat segeln, aber die Stürme auf dem Nordatlantik und das Eis in der Davisstraße haben uns zeitlich so weit zurückgeworfen, dass wir es mit dem Schiff wohl bis nach Ilulissat schaffen würden, dann aber keine Zeit mehr für Erholung und Sightseeing hätten. Also fliege ich morgen früh nach Ilulissat und Janek schaut sich Nuuk und Umgebung genauer an.

 

 

Nipisa ist der Name eines Restaurants, das direkt über der Mogelpackung von einem Büro des Weihnachtsmannes liegt. Dorthin begaben wir uns, nachdem wir die weitere Reiseroute abgesprochen hatten. Es gab ein 15-Gänge-vier-Stunden-Menü mit allem was die grönländische Küche zu bieten hat. Vom Moschusochsen zum Lachs, vom Sojaei zum Fischdrink mit Krabbeninlet bis hin zu Robbenfleisch und Wal. Ob es sich signifikant von der Kost an Bord der Nis Randers unterschieden hat? Hmja, weiß nicht, vielleicht optisch ein bisschen, aber sonst...

 

 

Und während wir dasaßen und aßen, machte uns eine Bedienung auf etwas aufmerksam: „A whale, very close“, sagte sie. Und tatsächlich konnten wir durch das Panoramafenster einen Buckelwal seine Bahn durch den Fjord ziehen sehen. Er blies ein paar Male, um sich dann mit der Fluke wedelnd in die Tiefe zu verabschieden.

 

 

Die Zutaten eines jeden Ganges wurden vom Koch persönlich erklärt und beschrieben. Die Speisekarte hatte uns der Geschäftsführer eilfertig per Google-Translator übersetzt. Die Robbe heißt in Grönland Seal. Seal heiß auf Englisch aber auch Dichtung, für zum Beispiel ein Motorenteil. Und so offerierte uns nun die übersetzte Speisekarte unter anderem „geröstete Dichtung auf Sellerie“. Ganz ehrlich: die Robbe schmeckte auch so. Das Fleisch ist tiefschwarz und der Geschmack eigen und sehr herb. Der Rest war klasse, den Wal habe ich nicht gegessen (wirklich nicht, Maria).

 

 

Den Rest des Abends, bzw. der Nacht verbrachte ich an Bord der Nis Randers mit Seesackpacken. Morgen Ilulissat.

18:40 • 64°10,8N / 051°42,1W
Nuuk • Grönland
6 °C • 10 Bft • 2818 Meilen gesamt

Logbuch am 11.07.13

 

Diese Südländer

 

 

Rot und Weiß steht für die Zugehörigkeit zu Dänemark, das Weiß für die Eisberge und das Rot für die Mitternachtssonne – das ist ihre Flagge. Sie nennen das Land, auf dem sie leben Kalaallit Nunaat, was bedeutet Land der Kalaallit. So heißt es auf Grönländisch. Auf Deutsch heißt es Grönland, Grønland auf Dänisch und Greeenland auf Nis Randers. Es ist die größte Insel der Welt und wir sind heute früh in ihrer Hauptstadt Nuuk angekommen.

 


Seit Mitternacht befanden wir uns in der Ansteuerung durch die teils hoch aufragenden vorgelagerten Inseln und Felsen. Nach mehr als sechsunddreißig Stunden Dauerregen, klarte es unter der Küste etwas auf. Zwischen den unbewohnten Inseln vor der Stadt  ging ein starker, Wirbel erzeugender Gezeitenstrom, der das Schiff mehr als einmal von seinem Weg abbringen wollte und von Hand ausgesteuert werden musste. Nach fast sechs Stunden konzentrierten Manövrierens kamen endlich die ersten Gebäude der Stadt in Sicht.

 

Und plötzlich - wir befanden uns bereits kurz vor der Einfahrt in den Hafen - hörte ich neben dem Schiff ein Schnauben. Mein erster Gedanke: ein Wal – ich kenne das Geräusch gut, wenn ein Wal bläst. Zweiter Gedanke: Blödsinn, wir sind keine zweihundert Meter von einer Großstadt entfernt, das kann nicht sein. Dritter Gedanke: jetzt guck ich einfach mal da hin, wo das Geräusch hergekommen ist. Und tatsächlich besuchte uns kurz vor der Hafeneinfahrt ein Wal.

 

Nuuk, Hauptstadt Grönlands. Hier leben rund 17.000 Einwohner der ca. 57.000 Grönländer. Es ist eine für hiesige Verhältnisse prosperierende Metropole mit alle Merkmalen urbaner Stadtentwicklung. Und obwohl ich hundemüde von der Nachtfahrt bin, schaue ich mir die Stadt an. Es gibt eine Universität mit immerhin ca. 150 Studenten, ein Schwimmbad, ein Nationalmuseum und die Landesbibliothek. Die Innenstadt unterscheidet sich kaum von Städten gleicher Größe in Deutschland. Es gibt Supermärkte und Kaufhäuser, Boutiquen und Souvenirshops, Mac-Dealer, Straßenhändler und Frischemärkte, ganz normale Passanten und Rumlungerer. Im Hafen hatte heute Morgen ein Kreuzfahrtschiff der Hurtigrouten angelegt und ihre Fracht ausgespuckt. Überall wo ich hinkam, liefen Touristen in den typischen bordeigenen blauen Uniformjacken herum. Dementsprechend hoch waren die Preise für Souvenirs. Einem netten Straßenhändler habe ich einen Tupilak aus Rentierhorn abgekauft. Er sagte 700, ich sagte 400 und er sagte ja. Er dachte wahrscheinlich: „Immer wollen sie handeln, diese Südländer.“
Aber ich bin nicht hier um Gimmicks zu erstehen, ich habe einen Auftrag. Kinder haben mir Wunschzettel übergeben, die ich in den Postkasten des Weihnachtsmannes werfen soll. Wenn man einen Brief mit der Adresse: Weihnachtsmann oder Santa Claus, Grönland aufgibt, kommt er hier in Nuuk auf Grönland an. Es gibt ein Haus – es ist das Haus des Weihnachtsmannes - vor dem der größte Tannenbaum Grönlands steht und davor wiederum ist ein großer Postkasten. Da kommen dann die Briefe, die natürlich nur in den allerseltensten Fällen keine Wunschzettel enthalten, hinein. Und weil ich das das weiß, habe ich Wunschzettel von Kindern an Bord, die mich gebeten haben, diese in den Postkasten zu werfen.
Heute musste ich erfahren, dass der Weihnachtsmann umgezogen ist, der Briefkasten ist nicht mehr hier. Er wurde nach Illulisat gebracht, in die Nähe der Disco-Insel. Das ist weiter im Norden, und noch über dem Polarkreis. Da werde ich mir was einfallen lassen müssen.

 

Festgemacht haben wir in der hiesigen Marina (roter Punkt). Die Nis Randers ist der einzige Segler im Hafen (der längste Mast im Hafen). Es geht hier im Hafen und auch in der Stadt ziemlich anonym und geschäftig zu und wenn ich ganz ehrlich sein darf: Das ist nicht so ganz meine Stadt, da habe ich mir von Grönland etwas anderes vorgestellt, das kann ich ein bisschen auch zuhause haben. Es kann aber auch sein, dass mir der Rummel einfach zu viel ist. Nach langer Zeit auf See, bin ich von den Eindrücken schnell überfordert und fühle mich an Bord am wohlsten und wohl auch am sichersten. Der Hafenmeister weist mich auf stürmisches Wetter für den morgigen Tag hin. Wir werden dann noch mindestens einen Tag hier bleiben.
Diesen Bericht schreibe ich um 15:00 Uhr Ortszeit. Draußen strahlender Sonnenschein, im Schiff sind es 15°C. In der Nacht auf See waren es noch vier Grad. Wir sind umgeben von hohen schwarzen Bergen, die teilweise noch mit Schnee bedeckt sind. Ein Einheimischer sagte mir, es wäre der erste schöne Tag seit langem.

 

Ich habe meine Schiffe schon auf viele Arten festgemacht: römisch-katholisch im Mittelmeer, an Mooringleinen und – ketten, Anker in den Sand oder an Land geworfen, an einen Baum gebunden und mit Heckanker gesichert oder mit dem Bug einfach in den Schiet am Ufer gebrummt. Aber noch nie habe ich mit vier Vorleinen mit dem Bug nach vorn an einem Steg festgemacht. Aber scheinbar geht das, denn das machen hier alle so. Morgen kommt Wind auf, da bin ich aber mal gespannt.

20:31 • 64°10,8N / 051°42,1W
Nuuk • Grönland
15 °C • 0 Bft • 2818 Meilen gesamt

Logbuch am 10.07.13

Man spürt es deutlich, wenn Eisberge in die Nähe kommen: Es wird kalt. Sie strahlen eine eisige Kälte aus, die sich über das Meer ausbreitet. Minus zehn Grad ist ein Eisberg an der Oberfläche kalt und seine Masse ist gewaltig. In der Nähe der Eisberge finden sich oft Trümmerstücke, die entweder von Abbrüchen oder von Kollisionen mit anderen Eisbergen stammen. Manche Eisberge ziehen eine regelrechte Trümmerstraße hinter sich her, die an den Schweif eines Kometen erinnert. Die Farbe der Eisberge reicht von strahlend weiß bis zum tiefdunklen Gletscherblau. An einigen Abbruchkanten, die noch keine Erosion durch Seeschlag oder Regen erfahren haben, glitzern die Flächen wie mit funkelnden Kristallen überzogen.

Die Eisberge sind Abbrüche von Gletscherkanten. Das Wasser, aus denen sie entstanden sind, ist vor hunderten, bei manchen vor tausenden Jahren gefroren. Einige von den Eisbergen, die wir hier sehen, brauchen mehrere Jahre zum Abschmelzen.

Feiner Nieselregen fällt ununterbrochen. Es regnet jetzt seit achtundvierzig Stunden ohne Unterlass. Wir motoren durch völlige Flaute. Heute liegen zusätzlich dichte Nebelfelder auf der öligen See. Manchmal ist die Sicht durch den Nebel so begrenzt, dass man hochkonzentriert Ausschau halten muss. Das Radar läuft zwar mit, aber es zeigt uns nur die Eisberge und eben nicht die growlers an; die müssen wir mit den Augen suchen und manchen von Hand gesteuert ausweichen. Ein Blich aufs GPS: noch 82 Meilen zur Ansteuerung von Nuuk. Morgen sind wir in der Hauptstadt  

22:23 • 62°45,2N / 050°49,7W
Davis Strait • Grönland
8 °C • 0 Bft • 2732 Meilen gesamt

Logbuch am 09.07.13

Durcheinander

Drei Sachen heute: Ausschau gehen, essen, schlafen. Na gut, vielleicht noch Eisbergen und growlern ausweichen. Sonst nichts.  Mein Mitsegler und ich sind - wahrscheinlich durch den Landaufenthalt - zeitlich so durcheinander gekommen, dass ich versehentlich die Nachtwache schon am frühen Nachmittag begann und er sich hinlegte. Es war schon Mitternacht, ehe ich unseren Irrtum bemerkte. Nun muss ich aber um 2:00 Uhr in den Bugkorb zum Ausschau halten – das schaff ich nicht, da schlaf ich vorne ein. Also wecke ich ihn und wir verabreden, dass ich jetzt noch kurz schlafe und er die Wache bis um 2:00 Uhr übernimmt. So weit so gut. Aufgewacht bin ich dann um 6:00 am nächsten Morgen von allein. Es war sehr gute Sicht und die See lag bei völliger Flaute topfeben da, und dann hat er mir meinen Gang zum Bugkorb erspart. Wie nett.

22:21 • 61°41,2N / 049°38,1W
Davis Strait • Grönland
8 °C • 0 Bft • 2656 Meilen gesamt

Logbuch am 08.07.13

Es geht weiter

Eingekauft hatten wir gestern schon, heute noch die letzte Dinge besorgt. Im Supermarkt fand ich Neoprenhandschuhe, mit denen ich es auf See versuchen werde. Die Handschuhe, die ich bisher verwendete sind ungeeignet. Das Wetter beschert uns strömenden Regen. Auf dem Weg vom Supermarkt zum Schiff traf ich Karl Boas wieder. Er hatte noch seine Gitarre bei uns an Bord und wir sagten ihm, dass er sie im Büro der Royal Arctik Line abholen könne. Der Abschied war herzlich, wir werden per E-Mail in Kontakt bleiben.
Das letzte Segelboot, das wir sahen, war kurz bevor wir in den Pentland Firth fuhren. Das war noch in der Nordsee und ist einige Wochen her. Kurz nachdem wir die Leinen heute Vormittag loswarfen, kamen uns gleich zwei Segler entgegen: ein Norweger, dem ich zurief, wo man im Hafen gut festmachen kann und ein Schwede, die „DAX“, mit dem ich mich kurz über Funk unterhielt. Der Norweger hatte in großen Buchstaben die Wörter „North West Passage – Kodiac“ geklebt. Na, der hat ja noch Einiges vor sich. Das nächste Ziel der DAX ist Nuuk, eine Station, die auch die Nis Randers anlaufen wird. Vielleicht sieht man sich.
Wir waren nicht unglücklich darüber, dass in dem Hafen keine Segler waren. Man hängt dann doch oft zusammen auf den Booten und isoliert sich eher von den Einheimischen. 
Andererseits hätte ich schon gern gewusst, wie die beiden die Atlantiküberquerung erlebt haben. Aber das erfahren wir ja vielleicht noch.

Die Nis Randers schlängelte sich durch die Eisberge, die sich in der Bucht vor dem Hafen sammelten, hinaus auf das Meer. Die Vorhersagen prophezeiten achterliche Winde und Regen und bis auf den Wind waren die  Prognosen auch zu einhundert nassen Prozent zutreffend. Einige Versuche zu segeln glückten, andere nicht. Der Wind war durch die Nähe zum Land und den hochaufragenden Bergen an der Küste wechselhaft und böig.

Der Regen war eiskalt und fühlte sich im Gesicht an wie Sandkörner bei einem Wüstensturm. Und obwohl der Wind von vorn kam, fanden wir im Cockpit keinen Schutz vor dem Regen. Ständig musste ich Ausschau nach Eisstücken, nach den so genannten growlern halten. Bald war ich völlig durchnässt und es war kalt. Ich brauchte lange für die Entscheidung, wohin wir fahren sollten: Einlaufen in der Nacht in Julianehab (mit ° auf dem zweiten a) oder zwei Tage und drei Nächte durchfahren zu unserem eigentlichen Ziel, nach Nuuk, der Hauptstadt Grönlands.
Die Entscheidung für Nuuk bescherte mir die kälteste und nasseste Nacht der Reise.

Der Regen ließ nicht locker, im Gegenteil. Als es zu dunkel wurde, um eventuell im Wasser treibende growler rechtzeitig entdecken zu können, hockte ich mich erneut ganz vorn ins Schiff in den Bugkorb. Von dort konnte ich meinem Mitsegler dann Steuersignale mit dem Nebelhorn geben. Es regnete derart, dass meine Segelklamotten die weiße Fahne schwangen und ihren Dienst quittierten – ich war durchnässt bis auf die Knochen. Die Handschuhe versagten schon nach einigen Minuten. Sobald die Sicht etwas besser wurde, löste ich mich von der Sicherheitsleine, ging zurück ins Cockpit und fragte meinen Co-Segler, ob er sich zutraut für zwei Stunden allein weiter zu fahren. Ich musste meine Sachen loswerden und in die Koje, und zwar sofort.

22:19 • 59°32,2N / 045°24,0W
Nanortalik Bank • Grönland
4 °C • 2 Bft • 2515 Meilen gesamt

Logbuch am 07.07.13

Tradition und Inselwelt

Mir wurde von fast allen Menschen, mit denen ich in den letzten beiden Tagen sprach, nahegelegt, am Sonntagmorgen um neun Uhr an der Kirche zu sein. Dort findet zu diesem Zeitpunkt die Konfirmation statt und Einheimische tragen die traditionelle Kleidung: Robbenfellhosen, Stickereien und handgearbeitete Pektoralen aus Perlen. Die Mädchen in hübschen Kleidern, die Jungen in weißen Hemden und schwarzen Hosen.

Anschließend machten wir uns auf Wanderschaft. Vier Stunden lang erkundeten wir die Berge rings um den Ort Nanortalik, auf deren Gipfeln ein raues Klima mit schneidenden Winden herrschte.

Den Wetterbericht hatte ich bereits gestern erhalten. Morgen geht es weiter. Die Richtung ist klar: Nord

17:50 • 60°08,4N / 045°14,2W
Nanortalik • Grönland
5 °C • 1 Bft • 2469 Meilen bisher

Logbuch am 06.07.13

Fotosafari

Nach dem Ausschlafen haben wir uns getrennt: Mein Mitsegler ging auf Wanderschaft und bestieg einen Berg, um in den Nachbarfjord sehen zu können, wo die Eisberge liegen. Ich schrieb Berichte und begab  mich dazu in eine Art Aufenthaltsraum im Hotel Kap Farvel, wo ich dann auch den Bericht vom 4. Juli, dem Tag unseres Einlaufens, schrieb. Internet ist hier so teuer, wie Diesel billig ist. Stunde acht Euro, Liter neunzig Cent. Für den Abend hatten ich im Restaurant noch einmal zwei Plätze reserviert und genossen den Service.

Mein Mitsegler war nach seiner stundenlangen Wanderung und dem Essen müde, und ich brauchte keine Wanderung und eigentlich auch kein Essen um schon am frühen Abend müde zu sein. Also gingen wir um zehn Uhr ins Bett. Um elf zog ich mich wieder an, schnappte meine Kamera und machte mich auf Fotosafari. Ich konnte nicht schlafen, was ist das, so eine Art Jetlag? Schlafstörungen?

17:48 • 60°08,4N / 045°14,2W
Nanortalik • Grönland
5 °C • 1 Bft • 2469 Meilen bisher

Logbuch am 05.07.13

Nanortalik

Es wäre nicht ganz falsch, es Bewusstlosigkeit denn Schlaf zu nennen, aus der ich am Vormittag langsam erwachte. Immer noch sehr erschöpft, wurde mein Schlaf von Schlägen gegen den Rumpf gestört. Es brauchte ein paar Minuten, ehe ich richtig wach wurde. An dem Steg, an den wir uns in der letzten Nacht gelegt hatten, war eigentlich nicht genug Wassertiefe für die Nis Randers – wir sind beim Anlegen ein wenig auf den weichen Grund gelaufen. Der Tidenkalender sagte uns aber, dass Wasser würde nicht mehr weiter fallen, also blieben wir liegen. Aber woher kamen die Schläge an den Rumpf? Etwas fatalistisch drehte ich mich noch einmal um. Was sollte schon sein? Wir lagen sicher und wir waren in Grönland angekommen.
Irgendwann quälte ich mich dann aus der Koje, sah durch die Luken und entdeckte einen Stern am blauen Himmel. Die Grönländer nennen diesen Stern Sonne. Er ist sehr hell und warm. Ich erfuhr schnell, dass dies der erste Sonnentag in diesem Grönländischen Sommer war. Der Sommer kam viel zu spät und bis vor einer Woche, lag auf den umliegenden Bergen noch Schnee. Die Atlantiktiefs, so erklärte mir ein Einheimischer, sind viel zu früh und viel zu weit nach Norden in Richtung Island abgezogen, darum spielte das Wetter in diesem Jahr verrückt. Tja, wem sagt er das? Er sagte mir auch folgendes: „Die Grönländer fürchten nicht die See, sie haben nur vor den Eisbergen Angst. Denn wenn sie auseinanderbrechen oder Teile von ihnen in Meer fallen, entstehen Flutwellen (zweimal verwendete er das Wort Tsunami), die oft zwischen sechs und fünfzehn Metern Höhe.“ 
Wir erfuhren, dass wir an der örtlichen Tankstelle für Boote angelegt hatten – na, so ein Zufall. Ständig legten kleinere Boote an um Diesel zu bunkern und machten sich danach auf den Weg in den Fjord um dort zu angeln. Eines dieser Boote hatte wohl auch gegen das Schiff geschlagen. Daher die Schläge am Rumpf. Wir dieselten uns sofort ein und verholten dann an die andere Hafenseite, an den Pier der Royal Arctik Line A/S. Der Manager ließ uns an der Pier liegen und die Mitarbeiter mühten sich mit einem Schlauch ab, um uns mit Frischwasser zu versorgen. Karl Boas, Mitarbeiter von Royal Arctik, zapfte für uns noch ein wenig Strom aus dem Büro ab. Und wer so nett ist, wird zum Essen eingeladen. Heute Abend um acht im Hotel Kap Farvel. Er schaut mich an, als ob er nicht recht verstanden hätte. „Realy?“, fragt er ungläubig und zurückhaltend.

Und dann flogen erst einmal unsere Sachen aus dem Schiff. Alles wurde zum Trocknen auf das Deck geschleppt. Handschuhe, Segelklamotten, Bettwäsche, Handtücher – die Sonne und der Wind trockneten alles in kurzer Zeit, unsere Laune wurde mit jeder Sonnenstunde besser.

Es folgte die Fortsetzung des Pflichtprogramms, das übliche: Diesel, Wasser, Strom hatten wir schon, es folgte Bank, Tourist Office, Sim-Karten, Abwaschen, Saubermachen, Internet-Sticks und Informationen - wo bekommt man was und wo am schnellsten und besten. Bis auf Gas haben wir alles bekommen (wir haben bis jetzt nur eine 5-Kilo-Flasche Propan verbraucht. Bei fast täglichem Brotbacken und mindestens fünf Mal Kaffee am Tag. Plus normales Kochen).

20:00 Uhr Hotel Kap Farvel. Sheep mit potatos and Erbsen und Möhren und Wein. Unser Gast, der fünfundzwanzigjährige Karl Boas erzählt von der Insel (Nanortalik ist eine Insel vor der Insel Grönland) und ihren Einwohnern: ca. 1.400 Einwohner, die Hälfte von ihnen hat keine Arbeit. Die Stadt hängt am dänischen Tropf und wird von ihm umfangreich unterstützt. Er berichtet von seinen Zukunftsplänen, seinen Eltern und von den Geistern, die ihm Rat geben und eine Stütze sind. Er war schon einmal in Berlin und stellt sich vor, irgendwann einmal in Norwegen zu leben. Von dem Alkoholproblem, das in der Stadt ganz offensichtlich besteht, braucht er uns nichts zu erzählen, das sehen wir selbst: Sturzbetrunkene, Männer und Frauen, die sich kaum noch auf den Beinen halten können, stolpern am Abend durch die Straßen, auf der Suche nach dem Letzten Drink. Neben dem Hotel wird auch eine Art Disko betrieben, die in Grunde aber nichts anderes ist als der Anlaufpunkt für Schwerstbetrunkene, um sich dort mit noch mehr Alkohol zu versorgen. Anders als in anderen Teilen der Welt, wurde die Stimmung dabei jedoch nicht aggressiv, im Gegenteil – nett und freundlich wurde sich auf die Lampe gegossen und dann noch ein kleiner Absacker. Und noch einen. Und so weiter.

Den Rest des Abends verbrachten wir an Bord. Karl spielt Gitarre und wir luden ihn zu uns an Bord ein. Er wollte seine Gitarre holen und dann an Bord nachkommen. Als wir schon dachten, er kommt nicht mehr, hörten wir Schritte auf dem Deck und Karl kam mit seiner Gitarre ins Schiff. Dazu Gesang und Mundharmonika. Ich glaube, wir waren so laut, dass man uns bis zur anderen Hafenseite gehört hat.

17:45 • 60°08,4N / 045°14,2W
Nanortalik • Grönland
3 °C • 3 Bft • 2469 Meilen bisher

Logbuch am 04.07.13

Angekommen

Und es wurde eine spannende Nacht. Immer mehr Eisberge kamen in Sicht und viele davon waren näher und größer als 000001 oder 000002. Ständig hielt ich Ausschau nach growlern, mir war sehr unwohl in diesen Gewässern. Auch dem Radardisplay erschienen immer mehr Ziele – große und kleinere, riesige und kaum erkennbare. Die Temperatur an Bord fiel auf 1,9 Grad Celsius. Wir waren jetzt mittendrin im Eisbergland und wenn ich ganz ehrlich sein soll, wurde ich von der Dichte und der Nähe der Eisberge ein wenig überrascht, denn zwischen der Sichtung von 000001 und dem dichten Eisbergfeld, in dem wir uns jetzt befanden, sind nur wenige Stunden vergangen. Als es dunkel wurde, einigten wir uns dann darauf, dass ich nach ganz vorn in den Bugkorb gehe, um mit einem Horn Signale zu geben, falls die Gefahr droht, auf einen growler zu laufen. Je nach Ton würde Janek dann nach Backbord oder Steuerbord ausweichen. Immer wieder musste ich mich zwingen, mich auf einen zehn-Meter-Bereich vor dem Schiff zu konzentrieren und versuchen nicht einzuschlafen, denn ich hatte seit vielen Stunden nicht mehr geschlafen. In dieser Nacht war es nicht nur dunkel, kalt und aufregend, nein, es war vor allem auch eines: es war brandgefährlich. Die Anspannung stand mir ins Gesicht geschrieben. Zum Glück war die See ruhig und eventuelle Hindernisse ließen sich leichter ausmachen. Als es nach drei Stunden wieder etwas heller wurde, übernahm mein Mitsegler die Wache allein und ich konnte mich für zwei Stunden hinlegen. Ich musste mich jedoch zum Schlafen zwingen, denn ich war noch immer sehr aufgeregt.

Mein Bettzeug fühlte sich an, als ob es gefroren wäre und vielleicht war es das ja auch. An Bord war es fast so kalt wie in einem Eisschrank. Als ich erwachte und meine Nase durch die Luke steckte, sagte mein Mitsegler mir zu: „Komm doch mal her und schau dir das hier an.“ Mittlerweile war es ganz hell geworden und die Sicht wurde nur durch einen leichten Dunst beeinträchtigt. In der ruhigen See trieben Eisstücke und Schollen um uns herum. Sie waren überall verteilt und unterschieden sich in ihrer Form und ihrer Farbe. Einige waren ganz flach und schneeweiß, andere ragten mit ihrer Spitze in den Himmel und waren fast durchsichtig. Alle Größen waren vorhanden: von faustgroßen Eiskugeln bis hin zu Eisstücken in Häusergröße. Einige drehten sich fortwährend in der Dünung, andere tauchten in der Dünung immer wieder unter, nur um in der nächsten Woge wieder aus der See zu schießen. Manche waren von der See rundgeschliffen, manche hatten bizarre, ausladende Formen. Der Anblick war atemberaubend.
Und wir mittendrin.

Das Eisfeld, durch das wir fuhren, wurde dichter und dichter. Immer wieder mussten wir den Autopiloten ausschalten und das Schiff von Hand durch die growlers lenken. An Sitzen im Cockpit war nicht mehr zu denken, wir mussten immer seitlich an der Spayhood vorbei oder darüber Ausschau halten. Damit waren wir auch dem eiskalten Wind ausgesetzt. Irgendwann entdeckte mein Co-Segler etwas auf der Steuerbordseite. „Sag mal, Bernd, bin ich jetzt blind oder sehe ich schlecht, oder ist das Eis dort am Horizont?“, fragte er mich. Ich schaute mit dem Fernglas an den Horizont im Osten und tatsächlich lag dort eine geschlossene Eisdecke. Wir waren an der südgrönländischen Packeisgrenze angekommen. Es kam starker Wind aus Osten auf und er trieb Eisschollen aus dem Packeis zu uns herüber. Die sowieso schon aus vielen Eisstücken bestehende See wurde noch dichter und wir konnten nur noch langsam und im Zickzack-Kurs durch das Eis fahren.

Ich steuerte das Schiff weiter im flachen Winkel auf die Küste zu. Wie schon so oft auf dieser Reise war der Himmel mit einer dichten Wolkendecke verhangen und alles war grau in grau. Es war früher Nachmittag, ich steuerte das Schiff, während mein Mitsegler in der Koje lag. Dann entdeckte ich im Osten, also dort wo die Grönländische Küste liegt, eine ungewöhnliche Wolkenwand, aber nein, das ist merkwürdig, die sieht anders aus als eine Front, das sind keine Wolken.

Ich schaute durchs Glas und ich entdeckte durch einen Wolkenschleier schemenhaft Berge. Dann brach plötzlich die Sonne durch die Wolken und beschient eine gewaltige, schwarze, teilweise schneebedeckte Bergkette. Was ich zunächst für eine Wolkenformation hielt, war Grönland. Vor mir lag die Küste Grönlands. Und bei diesem Anblick brach es dann aus mir heraus, ich stand im Cockpit und weinte und weinte kriegte mich gar nicht wieder ein. Es war ein erleichtertes Weinen, irgendetwas fiel von mir ab. Mir wurde beim Anblick – der völlig unerwartet für mich kam - wohl klar, dass wir es bald geschafft hätten, dass wir bald ankommen werden.

Auch jetzt wieder, während ich diesen Text schreibe und sechsunddreißig Stunden nach unserer Ankunft, läuft es mir bei der Erinnerung an diesen Anblick aus den Augen und tropft in die Tastatur. Ich sitze in einem kleinen Hinterzimmer im Obergeschoss des Hostels Kap Farvel. Hier komme ich ins Internet. Das Hotel hat eigentlich geschlossen, aber der Besitzer ist nett und lässt mich einfach machen. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich schneebedeckte Berge, deren Gipfel von Wolken umgeben sind. Kinder spielen zwischen den bunten Holzhäusern Fußball und fahren mit ihren Fahrrädern. Die Sonne scheint. Und ich sitz hier und kann meine Gefühle noch nicht einordnen, nicht ein bisschen.

Aber zurück zur See: Das von der Packeisgrenze vom Wind ins Meer getriebene Eis wurde etwas weniger, als der Wind nachließ. Ich konnte mich dann ganz dem Anblick der Eisberge widmen und an sie heranfahren und fotografieren und filmen. Was, wie wir später erfuhren, eine äußerst gefährliche  Angelegenheit war; aber dazu später mehr. Wir hielten uns immer wieder vor Augen, dass wir nur ein Zehntel des Eisberges sehen konnten und der Rest unter Wasser war. Sie waren riesig. Und sie waren schnell, sehr schnell sogar.


Große Eisberge werden von ausschließlich von der Strömung „angetrieben“, der Wind ficht sie nicht an. Uns aber! Bei uns ist genau umgekehrt. Der Wind kam uns entgegen und die Strömung war mit uns. Als wir dicht an den Eisberg oben im Bild heranfuhren und in den Bereich vor den Eisberg kamen, kabbelte das Wasser und obwohl wir den Motor laufen hatten, entfernten wir uns nicht von dem Eisberg, im Gegenteil, er verfolgte uns und kam sogar immer näher an uns heran. Wir sind viel zu dicht an ihn herangefahren, er war mit einer Geschwindigkeit von drei Knoten unterwegs. Ich hatte das Gefühl, dass der Riese uns regelrecht ansaugte. Erst als wir die Motordrehzahl erhöhten, wurde der Abstand zu dem Eisberg langsam größer, bis wir endlich aus dem Gefahrenbereich heraus waren. Wir waren uns einig, das machen wir nie wieder!

Ich mach`s kurz: Wir konnten wegen immer stärker werdenden Nordwinden nicht die von uns urspünglich angepeilte Stadt Qaqortoq (früher Julianehab mit ° auf dem zweitem a) anlaufen und sind mit der letzten Dämmerung in den Hafen von Nanortalik eingelaufen und haben an einem Holzsteg festgemacht. Glücklich und erschöpft fielen wir in die Kojen. Jetzt waren wir angekommen

21:03 • 60°08,4N / 045°14,2W
Nonortalik • Grönland
2 °C • 4 Bft • 2469 Meilen bisher

Logbuch am 03.07.13

Iceberg ahead

Mit der Flaute war es vergangene Nacht vorbei. Es kam rasch Wind aus Nord auf, der einem schnelleren Erreichen unseres Zieles nicht zuträglich ist, nein, eher das Gegenteil war der Fall. Die See baute schnell eine kurze, steile Welle auf, die das Schiff nicht gut schneiden konnte. Also hackten wir so gut es ging und hoch am Wind mit geringer Geschwindigkeit durch die Nacht. Wenn die See sich dem Wind angepasst hat, wird es entsprechend besser laufen.

Im Laufe des Tages ging es dann ging es Schlag auf Schlag:

14:25 Wir befinden uns auf Position 57 Grad und 58 Minuten nördlicher Breite und 42 Grad 56 Minuten westlicher Länge. Es herrscht Nordwind. Ich habe soeben bei meinem routinemäßigem Rundumblick ganz deutlich Land gerochen.

15:30 Der Wind flaut vollständig ab und wir tuckerten unter Motor in Richtung Nordwest.

21:02 Iceberg ahead! Ich sichte den ersten Eisberg, den ich durch das Fernglas im Dunst zunächst noch für den Blas von Walen halte. Er ist steuerbord voraus und noch weit entfernt, nur die Spitzen sind zu sehen. Er befindet sich hinter dem Horizont und außerhalb der Radarstrahlen. Ich schätze die Entfernung auf ca.20 Meilen und gebe ihm den Namen 000001

 

21:55 Ich sichte einen weiteren Eisberg. Sein Name soll sein: 000002

23:22 Das Schiff wird vom Westgrönländischen Strom erfasst und mit 0,5 Knoten in Richtung Norden gezogen.

00:04 Ein weiterer Eisberg und eine gewaltige Scholle kommen in Sicht.

00:31 Wir stehen auf 043°52` westlicher Länge und runden somit das Kap Farvel, die südlichste Spitze Grönlands.

01:07 Weitere Eisberge kommen an Steuerbord in Sicht

01:18 Eisige Winde vom Ostgrönlandstrom setzen ein. Das Thermometer fällt auf 4 Grad Celsius. Die gesichteten Eisberge befinden sich östlich von uns, also auf der Steuerbordseite. Sie wurden vom Ostgrönländischen Strom nach Süden geführt. Wir haben das Kap Farvel großzügig umfahren, um ihnen aus dem Weg zu gehen. Das war zwar ein kleiner Umweg, aber in dieser Gegend ist Schnibbeln keine gute Idee.

Mit der Umrundung des Grönländischen Kaps haben wir ein wichtiges Etappenziel auf dieser Reise erreicht. Der Nordatlantik wurde somit am heutigen Tage von uns überquert. Wir befinden uns jetzt auf der Westseite Grönlands und steuern den Hafen der südgrönländischen Stadt Qaqortoq (früher Julianehab mit ° auf dem zweitem a) an. Bis dahin sind es noch 167 Meilen. Ob wir in dem Hafen einlaufen können, hängt von den Eisbedingungen vor Ort ab. Der Hafen wird in manchen Jahren von Eisbergen blockiert.

03:12 Soeben habe ich den ersten Eisberg an Backbord gesichtet. Das wird wohl eine spannende Nacht werden.

15:02 • 58°35,9N / 043°57,9W
Labrador Basin • Eisbergland
4 °C • 2 Bft • 2348 Meilen bisher

Logbuch am 02.07.13

Bekalmt


Lange Dünung aus West, rollendes Boot - kaum ein Lufthauch, der Wind kommt von oben. Zur Abwechslung gibt es heute Flaute – wir sind bekalmt. Und man merkt, wir kommen langsam in Landnähe: zwei Baumstämme, ein Stück von einem Plastikeimer, ein Balken, ein Brett, Wasserpflanzen und Baumsamen trieben im Wasser (möglicherweise trieben Gegenstände dieser Art schon die ganze Zeit im Wasser, ich habee sie wegen dem schwerem Wetter nur nicht gesehen). Die  Windmaschine lief den ganzen Tag auf 1500 Touren. Aufdieseln mit Flüssigwind am Nachmittag. Greeenlandführer studieren – welchen Hafen laufen wir denn als erstes an? Meine vorläufige Entscheidung: Qaqortoq, früher Julianehab mit ° auf dem zweitem a, auf 60°43N und 046°02W

Grönland hat auf der Ost- und auf der Westseite langgezogene Küsten. An der Ostküste treiben Eisberge im so genannten Ostgrönlandstrom vom Norden der Insel in Richtung Süd bis zum Kap Farvel, ganz im Süden. Dort werden sie vom Westgrönlandstrom erfasst und an der Westküste wieder zurück in Richtung Norden geführt. In der Buffin Bay, unserem Ziel, schmelzen sie dann langsam ab. Das bedeutet für uns, dass wir ab morgen mit Eisbergen rechnen müssen. Das Radar läuft seit heute ständig im Watch-Modus, das heißt, es schaltet sich alle zehn Minuten ein, scannt die Gegend bis sechs Seemeilen (ca. zehn Kilometer) und geht nach einer Minute wieder in den stromsparenden Stand-by-Modus. Ich habe jedoch keine Erfahrung mit Eisbergen. Wie sehen die Targets auf dem Monitor des Radargerätes aus? Ab welcher Größe und Höhe erhalten wir ein Echo? Es gibt Eisberge, die so groß sind wie Belgien. Die fürchten und erwarten wir hier nicht, wir werden ja auch kaum gegen beldien fahren.
Es sind die kleinen Eisstücke, die so genannten growlers, vor denen wir uns in acht nehmen müssen. Diese growlers können so groß – pardon: klein – sein wie ein Tisch. Meter mal Meter mal Meter reicht uns schon. Schauen kaum aus dem Wasser, wiegen knapp eine Tonne und geben ungefähr so viel nach wie ein Amboss in der Schmiede. Also ab morgen gilt: verstärkt Ausschau halten. Aber nicht nur nach Eis, das gilt auch für Schiffe. Ich habe, bis auf das Plastik heut im Wasser, seit Wochen nicht den kleinsten Hinweis auf menschliches Leben entdeckt. Am Kap Farvel kann sich das ändern, denn die Schiffe – Kreuzfahrer oder Versorger - aus Island oder Festlandeuropa werden dicht unter dem Kap nach Grönland fahren.

Noch 73,9 Meilen bis wir das Kap Farvel runden

07:53 • 57°52,2N / 041°27,1W
Nordatlantik • Flautenland
7 °C • 0 Bft • 2241 Meilen bisher

Logbuch am 01.07.13

Das ist unsere Stunde

Geweckt werde ich unsanft von lauten Schlägen gegen das Schiff. Ich kenne das Geräusch, das ist das metallene Schothorn, also das Ende, an dem bei dem Vorsegel die Seile befestigt werden. Es schlägt normalerweise bei achterlichen Winden an die Stahlseile, die den Mast halten. Aber wieso achterlich, sind wir vom Kurs abgekommen? Oder hat etwa…? Ich springe aus der Koje, schaue bei dem GPS auf die Geschwindigkeitsanzeige und den Kurs. Fünf Komma acht Knoten, und zeitweise sogar fast sieben Knoten auf Kurs 289 – das ist perfekt. Mein nächster Blick führt durch die Luke nach draußen. Ich sehe meinen Mitsegler im eiskalten Regen am Ruder stehen und die Windfahne zeigt nach vorn. Das bedeutet, der Wind hat gedreht und zugenommen. Endlich!

Ich spring schnell in meine Stiefel und gurte mich an die Sicherheitsleine an. Dann befestige ich das Vorsegel am Ausbaumer, damit es nicht mehr schlägt und den Wind besser einfangen kann. Großsegel nach Backbord, Vorsegel nach Steuerbord – kein Reff, viel Bauch. Alles was wir haben, ist draußen. …und segel, wenn du segeln kannst! Schmetterlingssegeln, schnell und schneller. Der Windfahne überlasse ich das Schiff noch nicht, ich steuer lieber selbst im kalten Regen. Das hier ist jetzt unsere Stunde. Nachdem die Arbeit an den Segeln erledigt ist, fragt mein Co-Segler mich, ob ich mich wieder hinlegen möchte, meine Wache wäre ja erst in zwei Stunden. Auf gar keinen Fall, antworte ich, auf diesen Moment warte ich seit Wochen, den werde ich jetzt ganz sicher nicht verschlafen, den möchte ich erleben.

Die Winddrehung ging im Laufe des Tages immer weiter, bis es nicht mehr zum Schmetterling reichte und der Wind gleichmäßig mit drei Windstärken von schräg hinten einfiel. Ja, ist auch gut, solange der Seegang unten bleibt, soll`s mir recht sein. Hauptsache wir sind auf Kurs, und die Meilen, die wir uns ersegeln, kommen wir auch unserem Ziel näher und gehen nicht im ewigen Rumgekreuze verloren. Aber am heutigen Tag gehörte jede einzelne Meile uns allein.

07:51 • 57°02,2N / 039°17,3W
Nordatlantik • Schmetterlingsland
7 °C • 4 Bft • 2155 Meilen bisher

Logbuch am 30.06.13

Nebel

In der letzten Nacht hatte ich Janek lange schlafen lassen. Wir hatten sechs feuchte, klamme Grad Celsius im Schiff und ich hielt es für eine gute Idee, die Luken zu schließen und den Gasherd anzumachen. Ich buk Brot und kochte Kaffee. Und vielleicht ließ ich den Herd auch ein wenig länger an als nötig. Nach einiger Zeit zeigte das Bordthermometer zwölf Grad in Schiff an – und das Schwitzwasser lief die Wände, die Luken, die Decke und die elektronischen Geräte herunter. Meine Bettwäsche nimmt die Feuchtigkeit dankend auf und ist so nass, als wenn es darauf geregnet hätte. Wird langsam Zeit, dass wir vom Meer kommen und ein wenig trocknen können.
Viel Wind am Vormittag und noch immer hatten wir eine sehr grobe See. Der Wind nahm im Laufe des Tages immer mehr ab und auf den Seegang legte sich eine Dünung, die aus Nord auf uns zukam. Dadurch entstand eine unangenehme Kreuzsee, die das Schiff und uns beutelte. Janek und ich sind an diesem Tag sehr müde und schlafen viel. Vielleicht eine Stunde haben wir heute gemeinsam wach verbracht, ansonsten lag einer von uns in der Koje. Die vergangenen Tage und Wochen haben uns viel abgefordert, das zeigte sich heute. Die ersten dichten Nebelfelder legten sich über das Meer, von denen eine unangenehme Kälte ausging, die sich mit der sowieso immer vorhandenen hohen Luftfeuchtigkeit mischte.

 

Am Nachmittag kommen uns Pilotwale und Delfine besuchen. Mindestens fünfzig Tiere, die aus allen Himmelsrichtungen auf uns zukamen und kreuz und quer um das Schiff schwammen.

Noch 299 Meilen zum Kap Farvel

07:48 • 57°12,7N / 035°46,3W
Nordatlantik • Nebelland
7 °C • 3 Bft • 2031 Meilen bisher

Logbuch am 29.06.13

Der Brecher des Tages

Die dreihunderter Marke unterschritten wir um halb vier Uhr morgens bei völliger Windstille unter Motorfahrt in einer langen und sehr hohen Dünung. Kurs Westwestwestwest. Eigentlich hätte Janek mich um zwei Uhr ablösen sollen, aber da ich ihn zwei Mal während seiner Freiwache wecken musste, ließ ich ihn schlafen. Unter Motor machten wir Meilen - nicht viel aber immerhin. Bei fünf Knoten Fahrt sind das in drei Stunden fünfzehn Meilen auf direktem Weg zum Ziel.  Wir nahmen das gern an, denn bisher haben wir uns jede Meile West sehr hart erarbeiten müssen. Ich saß noch lange im Cockpit, schaute den Himmel und feierte den Atlantik. Anspruchsvolles Seestück, keine Frage, schwerer als gedacht.

 

Um sechs Uhr weckte ich Janek und ging in meine Koje. Als ich ein paar Stunden später aufwachte, hörte ich schon wieder dieses Heulen im Rigg. Blick auf den Kompass: Kurs Süd. Und draußen sieht wieder alles nach Sturm aus, das gibt es doch wohl nicht! Die See baute sich wieder auf, Brecher kamen über und und und – man kennt das ja, das ganze Programm. Sieben bis acht Windstärken, die uns den ganzen Tag lang entgegen kamen und die See durcheinander brachte. Anfangs sind wir noch etwas gröber gegenan, aber schon bald war klar, das hier würde wieder etwas länger dauern. Also trimmten wir die Segel so, dass das Schiff weicher durch die Wellen ging und so das Leben an Bord etwas entspannter wurde. Das wiederum kostete uns Geschwindigkeit und Höhe. JA, DANN IST DAS EBEN SO, DAS MACHT UNS DOCH ÜBERHAUPT NICHTS MEHR AUS, NICHT EIN BISSCHEN!

Durch die Schiffsbewegungen ist das Spülmittel in der Küche am Vormittag umgekippt und tröpfchenweise ausgelaufen. Sein Weg führte über die Spüle, über eine Schlingerkante, über eine Abstellfläche, in eine Ritze, durch eine Dichtung in den… na? Richtig, in den Kühlschrank. Wenn das kein Wink mit dem Zaunpfahl ist.

Der Salzgehalt der Luft hat ihre Sättigungsgrenze im Schiff schon längst überschritten. Überall ist ein feuchter, salziger Film im Schiff. Mit einem Putzlappen krabbelte ich auf Händen und Knien herum, um das Schmierzeug vom Boden zu wischen. Bei schwerem Seegang.
 
„Wollen wir das nicht mal in Ruhe im Hafen machen? Da haben wir dann vielleicht auch etwas… Wasser?“, fragte Janek zaghaft. Er dachte wohl, dass ich jetzt durchgedreht bin und wahrscheinlich hatte er ja auch nicht unrecht.
„Nein, nein, lass mal“, keuchte ich. „Es geht schon ganz gut so“, fügte ich hinzu und murmelte noch was vom Augiusstall und ausmisten und solche Sachen. Dann rutschte ich mit meinem Lappen durchs Schiff, bzw. wurde gerutscht. Und wie es glänzte! Wunderbar. Wie neu, schau doch mal. Zwanzig Minuten später sah es wieder genauso salzig aus wie vorher. Und trotzdem ging`s mir besser.

Seefahrer wissen: Lange bevor man das Land sieht, kann man es riechen. In unserem Fall ist es wohl eher so, dass die Grönländer uns riechen werden, lange bevor sie uns sehen können. Für uns beide ist es zurzeit der livetime-Rekord im Nichtduschen. Und dauernd trete ich auf meinen Bart. Überall liegen Haare von uns auf dem Deck und im Cockpit. Wir halten die Möglichkeit nicht für unwahrscheinlich, dass die Grönländer, sobald sie das Schiff sehen, denken, das Schiff trägt ein Fell.

 

Am Nachmittag legte ich mich noch einmal für eine Stunde hin. Geweckt wurde ich vom „Brecher des Tages“, eine außergewöhnlich hohe Welle, die uns vorn seitlich traf und große Mengen Seewasser über das Schiff ergoss. Ich erwachte von einem fulminanten Getöse, blickte nach oben zu den Lichtluken um das Spektakel zu betrachten und sah noch aus dem Augenwinkel, wie ein Rinnsal Wasser sich aus der Deckenverkleidung löste und genau auf meinen Kopf zuhielt. Ich drehte reaktionsschnell den Kopf weg und gleichzeitig zur Seite, ha, du kriegst mich nicht, ich bin schneller. Aber durch die Schiffbewegungen, machte auch der Strahl eine seitliche Bewegung und salziges, eiskaltes Wasser floss mir in den Nacken und auf das Kopfkissen. Ich fasse das mal zusammen, damit ich das hier jetzt nicht missverstehe: Nirgendwo im Schiff kommt Wasser rein. Außer mal alle paar Tage ein paar Tropfen bei einem besonders schweren Brecher, der das ganze Deck überspült. Diese paar Tropfen – insgesamt vielleicht eine halbe Tasse – sammeln sich dann unter der Deckenverkleidung und fallen dann gebündelt in einem Strahl GENAU AUF MEINEN KOPF?!

Zuhause fragt man sich, wann wir ankommen. Allein die Fragestellung impliziert die Möglichkeit, dass man davon ausgeht, dass wir überhaupt ankommen und zeigt mir gleichzeitig, dass man noch Vertrauen zu uns hat. Danke dafür, erst einmal. Leider sieht es so aus, dass wenn wir weiter so vorankommen, wie jetzt gerade, werden wir nie ankommen, jedenfalls nicht in Grönland. Mein Blick auf den Kompass zeigt mir grad 175 Grad. Das ist Süd mit ein bisschen Ost drin. Wir segeln also grad mit 1,3 Knoten zurück. Wir wären dann ungefähr ab Herbst 2013 auf den Kanarischen Inseln zu erreichen. Hilft nichts, wir müssen jetzt einfach noch alle ein bisschen geduldig sein und darauf hoffen, dass der Atlantik uns irgendwann erlaubt, auf ihm weiter in Richtung Grönland zu segeln. Wenn wir den Anker geworfen oder den Festmacher belegt haben – dann sind wir da, dann sind wir angekommen. Wir jedenfalls geben bis dahin unser Bestes.

 

Einige Wellen brechen kurz nachdem sie das Schiff passiert haben. Die Gischt wird dann vom Wind von der Wellenspitze fortgerissen und verwirbelt im Lee des Schiffes. Wenn in solchen Momenten die Sonne aus den Wolken bricht, entstehen lauter kleine Regenbogen neben dem Schiff.

Noch 362 Meilen zum Kap

13:59 • 57°27,8N / 034°52,0W
Nordatlantik • Regenbogenland
7 °C • 7-8 Bft • 1954 Meilen bisher

Logbuch am 28.06.13

Hier stimmt was nicht

 

Grauer Himmel, unruhige See - Moment mal, die Gegend kennst du doch, dachte ich, als ich heute Morgen die Nase aus der Luke steckte. Waren wir hier nicht vor ein paar Tagen schon mal oder hab ich grad ein Déjà-vu? Wir sind mehr oder weniger in der Nähe von dem Punkt angelangt, von dem uns der Sturm, nein, die Stürme zurückgeworfen haben.
Der Wind hatte in der Nacht immer weiter nachgelassen und erlaubte mir am Vormittag einen Gang zum Vorschiff, wo ich mich um die Dieselkanister und den Kugelfender kümmern konnte. Diese hatten sich im Sturm etwas gelöst und mussten zusätzlich gesichert werden. Die See war noch immer verhältnismäßig grob und trotz der Wetterberuhigung wurde es eine ziemlich nasse Angelegenheit. Schließlich drehte der Wind und nach einer Wende konnten wir einen mehr oder weniger direkten Kurs zum Kap Farvel abstecken. Weitere Windabnahme im Laufe des Tages. Wir saßen am Nachmittag mit guter Laune im Cockpit und lachten uns schlapp über unsere anfängliche „Großkreisnavigation“. Mittlerweile sind wir ja froh, wenn wir überhaupt irgendwas in Richtung West machen.

Mit dem Windgenerator habe ich mich insoweit arrangiert, als das er an Bord bleiben kann wenn er Strom liefert aber seine hysterischen Anfälle im Sturm in den Griff bekommt. Ich band ihn  in einem solchen Winkel vom Wind weg, dass er sich leise dreht und nur dann, wenn der Kurs nicht optimal zum Wind anliegt, er lauter wird. Für uns ist das der Hinweis, hey Freunde, guckt mal hin, hier stimmt was nicht.

Noch 403 Meilen zum Kap.

13:53 • 57°52,3N / 033°20,5W
Nordatlantik • Flauten-Land
9 °C • 0 Bft •

Logbuch am 27.06.13

Der dritte Sturm

Der Tag begann mit Fahrt im Schiff und Kurs grob Richtung Grönland. Man erfreut sich mittlerweile ja schon über Kleinigkeiten, Hauptsache irgendwas mit West auf dem Kompass. Wind so um 4 Windstärken. Seegang akzeptabel. Kochen war nicht unmöglich. Nudeln mit Würstchen und Ketchup und Thunfisch und Pfeffer und das scharfe rote Zeugs. Dazu frisches Brot.
Zum Essen kamen wir dann nicht mehr, der Wind nahm stetig zu, wieder pfiffen schwere Böen durch das Rigg. Segel reffen heißt in unserem Falle Höhe verlieren, heißt schlechterer Kurs. Wir ließen es daher ein paar Stunden krachen, bis es nicht mehr ging. Die Böen hielten immer länger an und auf die Böen folgen noch heftigere Böen, der Seegang wurde rauer und gröber. Um es kurz zu machen: Um 20:00Uhr, als ich mit meinem Schatz telefonierte, hatten wir acht Windstärken, um 23:00 Uhr waren es neun. Angesagt waren sieben, wer bitte macht denn da die Berichte?

 

Das ist unser dritter Sturm auf der Reise und wieder kommt er von vorn. Nun ist Sturm per se ja nichts Schlimmes – man verkleinert die Segelfläche je nach Windgeschwindigkeit und wenn nötig, wird das Tuch sogar ganz eingeholt. Nicht immer kommt der Wind direkt von vorn und wenn man sich nicht in eine Legerwallsituation (Strandungsgefahr durch Landnähe) manövriert hat und keine Wäsche draußen hat, gibt es im Prinzip nichts, was dem Genuss an diesem Spektakel Abbruch tun sollte. Das Problem ist der Seegang. Je schneller sich ein Sturm aufbaut, desto konfuser ist das Meer. In unserem Fall bedeutete das sehr grobe See in kurzer Zeit mit steilen, oft sich brechenden Wellen. Ich würde nicht behaupten, dass sie besonders hoch waren, aber einige waren sehr steil und alle paar Minuten bekam das Schiff einen Brecher ab. Diese Brecher treffen das Schiff nicht immer genau an der Breitseite, manchmal kracht es z.B. weiter vorn, am Bug. Dann wird das Schiff, wie von einer großen Hand zwei, drei Meter nach Lee geworfen. Manchmal kommen sie mittschiffs rein und brechen sich schon einige Meter bevor sie das Schiff treffen. Dann wird das ganze Schiff in einer oft nicht unangenehmen, meist ruhigen Bewegung angehoben und gleichzeitig in einer sprudelnden und rauschenden Brandung aus weißen Bläschen seitlich versetzt. Kommt der Brecher aber hinten rein, werden wir meist nass. Das ist an Bord bei der Mannschaft dann nicht sehr beliebt, im Gegenteil. Hin und wieder beobachte ich, wie zwei Wellen im spitzen Winkel aufeinander zu rollen. Im Moment des Zusammentreffes werden ihre Energien nach oben entladen, sodass sie sich vereint in einer einzigen Wassermasse majestätisch aus dem Wasser erheben.
Wie sagte der Dichterfürst: „Und wirf dich ins Meer, wo es am wildesten ist“ Das machen wir. 
Goethe liebte Reisen, ihm hätte es hier sicher gut gefallen. Ich sitze meine ganze Wache im Cockpit und schaue das Meer. Es ist kalt und es ist nass – und es ist faszinierend.

Erste kleinere Schäden am Schiff - das Relingskleid auf der Backbordseite hat bei einem überkommenden Brecher Wasser gefangen und wurde zerfetzt. Die Dieselkanister haben sich auf beiden Seiten losgeröddelt und müssen gesichert werden. Übrigens der Motor… heute Vormittag habe ich ihn getestet und er sprang wie immer sofort an. Wir sind uns nicht sicher, ob er vor einigen Tagen, als wir ihn für eine Wende benutzen wollten und er scheinbar nicht ansprang, nicht doch lief und wir es nur durch den Sturm nicht hörten und spürten.

 

 

Wir haben wieder 420 Meilen auf dem Entfernungsmesser. Wenn wir zwei Schritte voraus segeln, wirft uns der Sturm zwei wieder zurück. Es ist uns einfach nicht vergönnt, die vierhunderter-Marke zu knacken. Morgen nehmen wir einen weiteren Anlauf, irgendwann kommen wir durch.

20:52 • 58°27,4N / 032°29,7W
Nordatlantik • Traum-Land
7 °C • 9 Bft • 1792 Meilen bisher

Logbuch am 26.06.13

Nur geträumt?

Als ich heute Morgen in meiner Koje erwachte, war ich überrascht über die Ruhe, die im Schiff war. War der Sturm schon vorbei, wie lange hatte ich geschlafen? Kein Knallen, keine Brecher mehr, die überkamen. Alles war in fließender Bewegung und fühlte sich gut an. Kein Vergleich zu den bockigen Schiffsbewegungen von gestern. Hatte ich den Sturm am Ende nur geträumt? Dann drangen langsam die Windgeräusche zu mir durch, ein stetig wiederkehrendes auf- und abebbendes Heulen und Pfeifen. Nein, geträumt habe ich wohl nicht, der Sturm hatte uns noch immer im Griff. Aber warum liegt das Schiff so ruhig im Wasser?

Die Antwort erhielt ich, als ich meine Schwimmweste anzog und nach draußen sah: Wie ich staunend feststellte, befand sich die Nis Randers jetzt nicht mehr in einem Meer aus Wasser, sie war nicht mehr im Atlantik unterwegs auf dem Weg nach Grönland - sie wurde während meines Schlafes in ein Gebirge versetzt, in ein Gebirgsmassiv, bestehend aus tintig blauen Wasserbergen, auf deren Berggipfeln sich weiße Schneekuppen aus sprudelnder Gischt befanden. Die Sonne beschien einen Ozean der aus glitzernden, mit den Blautönen spielenden, riesigen Wellenbergen bestand, auf denen wir sachte an der Vorderseite angehoben und, nachdem wir die Gischtzone auf dem Kamm durchquert hatten, auf der Rückseite wieder ins Tal geführt wurden. Im Wellental nahmen der Wind und das damit verbundene Heulen ab, um sich dann langsam, beim Aufsteigen auf die Welle, zu steigern. Das alles passierte so sanft und behutsam, dass es im Inneren des Schiffes kaum zu spüren war. Was für ein Anblick! Ich beobachte hier ein grandioses Naturschauspiel aus allernächster Nähe und sitze dabei quasi in der ersten Reihe.

Bei Schätzungen über Wellenhöhen halte ich mich grundsätzlich zurück. Wie soll man das adäquat beurteilen? Ich erhielt lediglich die Information, dass es im Kern des Tiefs acht Meter hohe Wellen gab – und der Kern ist nicht weit von uns entfernt.

Diese Naturschönheit hielt leider nicht lange an. Der Wind wehte weiter aus westlichen Richtungen und legte noch ordentlich zu. Der Himmel verfinsterte sich immer wieder und brachte kalten Regen, der fast waagerecht auf uns traf. Wir hatten durchgehend acht, manchmal Mal neun und in Böen mindestens zwei Mal zehn Windstärken, gemessen an der Maststpitze. Die Wellenkämme konnten wir nicht immer im richtigen Winkel ansteuern, zwei Mal brach sich eine Welle, als wir quer zu ihr lagen. Gleichzeitig ging eine Böe über das Schiff. Die Nis Randers legte sich so weit auf die Seite und wurde zeitgleich dabei vom Wasser angehoben, dass ich fürchtete aus dem Cockpit ins Wasser geschleudert zu werden, viel gefehlt hätte da nicht mehr. Mein Mitsegler schlief grad im rechten Winkel der Leekoje und hatte davon nichts mitbekommen. Ich ging nach unten, um mich etwas zu beruhigen und sah im Bad mein Gesicht im Spiegel: Den Schreck sah man noch sehr deutlich in den Gesichtszügen. Ich weckte meinen Co-Segler und informierte ihn, dass ich die Schiebeluken zum Niedergang jetzt schließen werde, solange bis die Wellen sich wieder etwas beruhigt haben. Im Cockpit sicherte ich mich danach mit zwei Sorgleinen statt nur einer, die ich sehr kurz hielt.

Gegen Mittag entscheiden wir nach einiger Diskussion auf den anderen Bug zu gehen um mehr Süd zu machen. Mehrere Versuche eine Wende zu fahren, scheitern, wir kommen mit dem Bug nicht durch den Wind. Dann eben eine Halse, ist eh nicht viel Tuch draußen. Halse geht bei dem Seegang auch nicht, wir kommen einfach nicht rum, zu wenig Fahrt, selbst wenn wir die Wellen auf der Rückseite runterrutschen. Wir entscheiden, kurz den Motor zu Hilfe zu nehmen. Ich dreh den Schlüssel und – nichts. Er springt nicht an, sagt kein Ton. Naja, dann eben nicht, eins nach dem anderen, haben grad andere Probleme. Wir geben noch etwas Tuch raus, nehmen Fahrt auf und legen uns durch eine Halse auf den Backbordbug. Wir schauen ungläubig auf das GPS: der Wendewinkel beträgt 200 Grad (das ist ein kolossal schlechter Wert)! Ist halt Sturm und die Abdrift durch den Mast, Sprayhood, das Schiff selbst und die Segel ist groß. So kommt es nun, dass wir seit heute Mittag quasi zurücksegeln, bzw. treiben, bzw. ablaufen, bzw. beiliegen, bzw. vor Top und Takel rumtreiben. Wenn der Wind sich legt, und das Segeln wieder möglich ist, geht es weiter in Richtung Grönland


Nachtrag zum 25.06.2013

Tja, was soll ich sagen: der Wind drehte wie vorher angesagt. Er nahm zu wie angesagt. Es stürmte – wie angesagt. Viertelstündlich refften wir die Segel immer weiter bis in die Nacht hinein. Am Ende war das Vorsegel so groß wie ein Gästehandtuch, das Groß nicht viel größer. Sternenklarer Himmel, ein fantastischer Mond. Aber dann wieder Regen. Eine Wetterküche in der grobe Kost zubereitet wird. Schwere See. Der Wind brachte uns Kälte aufs Schiff, sechs Grad haben wir gemessen.

Wie`s uns geht? Naja, wir sind hier auf einem langen und beschwerlichen Marsch unterwegs, der schon für sich genommen eine Herausforderung ist. Das Ziel ist, pardon war, nur noch 400 Meilen entfernt, aber die äußeren Umstände bringen uns im Moment nicht weiter – ganz im Gegenteil, ich lese auf dem GPS grad 443 Meilen Entfernung ab. Spitze Schreie der der Begeisterung und ausgelassene Freude mit spontanen Tanz- und Gesangseinlagen sind da zurzeit nicht zu erwarten.

Was wir zurzeit essen? Schokie (für eine Tafel brauche ich viereinhalb Minuten – sie schmeckt ab der Hälfte salzig), und Tütensuppen. Und Äpfel. Und Brot (ich backe jeden Tag – das kneten beruhigt meine Nerven). Und Studentenfutter. Und Thunfisch/Mais/Majo-Pampe. Und wie gesagt, Kaffee geht immer. Als ich losfuhr, hatte ich ein paar Kilo zu viel auf der Hüfte. Das Problem hat sich jetzt wohl erledigt. Fettab- und Muskelaufbau geht hier an Bord Hand in Hand.

Am liebsten würde ich die Poppnieten vom Gestänge des Windgenerators aufbohren, um ihn hier auf 2000 Metern Wassertiefe zu versenken. Dann kann ich mich wenigstens am Geräusch und dem Anblick des Aufschlags auf die Wasseroberfläche delektieren und spare obendrein – als Zugabe gewissermaßen – noch Gewicht. Oder ich pole ihn um und schraube ihn zuhause unter die Decke, jage 220 Volt durch und verwende ihn als Ventilator. Oder besser noch, ich bändsel ihn am Heckkorb an und verwende ihn als Treibanker; dann hat er wenigstens irgendeinen Sinn. Ich meine, die Verbraucherbatterie ist fast leer und wir können das Ding nicht laufen lassen, weil Sturm ist?! Das macht doch keinen Sinn. Ich erinnere mich an die Verpackung von dem Ding. Darauf stand - neben anderen Attributen dieses Wunderwerkes der Ingenieurskunst - das Adjektiv: leise. Bitte? Leise im Verhältnis wozu? Zu einem startenden Düsenjet? Nein. Einem ausgeschlagenen Bergwerkshammer? Nein! Leise war das Ding nur in der Verpackung und vor Montage der Rotorblätter. Ich kenne nur zwei Geräusche, die nerviger sind, als ein im Sturm ausflippender, dreiflügeliger Windgenerator: ein Jetski und ein, vor einem Einkaufsladen angebundener kläffender Köter.

Kurz bevor wir aufgebrochen sind zu unserer Grönlandreise, kam ein junger Mann zu mir in die Goldschmiede. Wir unterhielten uns über Grönland, das Segeln und über den Yacht-Master-Schein, den man in England machen kann. Er schrieb mir noch eine Internetadresse auf meine Visitenkarte: sailingexpedition.org Leider weiß ich deinen Namen nicht mehr, aber falls du das hier liest, würde es mich sehr freuen, wenn du dich noch einmal kurz im Laden melden würdest. Ich habe eine Frage an dich. Janika und Jörn im Laden wissen Bescheid. 

17:42 • 58°44,2N / 031°43,9WW
Nordatlantik • Traumland
8 °C • 8-9-10 Bft • 1703 Meilen bisher

Logbuch am 25.06.13

Im Sturm

Der vor drei Tagen angekündigte Sturm hat uns nun doch noch erwischt. Schiff und Besatzung geht es gut, allerdings muss mich heute etwas kürzer fassen. Ich schreibe einen Nachtrag, wenn es etwas ruhiger geworden ist.

15:45 • 58°28,5N / 031°45,6WW
Nordatlantik • Sturmland
9 °C • 9-10 Bft • 1653 Meilen bisher

Logbuch am 24.06.13

Auf die Nase

Dem Bericht von gestern habe ich noch etwas hinzuzufügen: Nach all dem Grau der letzten Tage/Wochen/Monate/Jahre/Dekaden, brach doch tatsächlich der Himmel auf, die Sonne und der Mond kamen raus und schenkten mir endlich Abwechslung im äußeren Erscheinungsbild der Natur. Delfine und Pilotwale kamen noch vorbei und gesellten sich zu Möwe. Gleichzeitig drehte der Wind günstig, sodass das Schiff schnell und auf Kurs segeln konnte. Es wurde noch eine wunderschöne Nacht.

Vor einigen Tagen roch es seltsam, leicht angebrannt, als ich vom Inneren des Schiffes nach draußen ins Cockpit ging. Feuer an Bord, z.B. durch Kabelbrand, ist für mich fast genauso enervierend wie Wasser im Schiff. Ich ging sofort wieder nach unten und roch. Nichts. Ich ging wieder nach draußen. Es roch ganz leicht nach Angebranntem. Ich schaute mich um, vielleicht hatte ich ein Schiff in Luv übersehen. Es war nichts auszumachen. Ich hatte mich wohl geirrt. Drei Stunden später roch ich es draußen wieder. Jetzt wusste ich den Grund: Der Wind kam aus Nord, ich konnte Island riechen. Über hunderte von Kilometern drang der Geruch, wahrscheinlich von einem Vulkan, bis zu uns ans Schiff. Ich erinnere mich jetzt wieder daran, weil eben gerade wieder ein Geruch vom Wind über die Wellen zu uns getragen wurde. Es riecht zwar nicht verbrannt, aber der Geruch ist deutlich zu vernehmen. Wir haben grad starken Westwind, also aus Grönland, dazu kam der eisige Wind vor ein paar Stunden… Aber kann das denn sein, Grönland ist jetzt noch 950 Kilometer entfernt!?

Unser Kühlschrank ist zwar nicht so weit entfernt, aber dort riecht es auch. Es entfaltet sich mittlerweile ein Odeur, als hätte sich in seinen dunklen Tiefen eine Rotte geschlechtsreifer Marder entschieden, diesen als ihren Lebensmittelpunkt zu verwenden. Irgendetwas muss ausgelaufen sein. Der Seegang erlaubte es mir heute nicht dort sauber zu machen. Auf der Erlie, der Erledigungsliste, rückt der Kühlschrank damit auf Platz eins. Was nicht besonders schwierig war, denn meine Erlie wurde mit der Reinigung der Kühlbox überhaupt erst eröffnet. Tatsächlich hatten wir bis jetzt außer Wasser und Diesel, keinerlei Reparaturen oder Erledigungen, die im nächsten Hafen oder der nächsten Ankerbucht erledigt werden müssen, auf dem Zettel notiert.

Seglerisch sieht es heute nicht so gut aus. Wieder einmal drehte der Wind und fauchte uns von vorn an. Er fühlte sich ungefähr dreißig Minuten eiskalt an, bevor er wieder etwas wärmer wurde. Die Art der Welle und die Wellenhöhe ließen nur einen Wendewinkel von 140 Grad zu. Unserem Ziel Grönland kommen wir heute und morgen wohl nicht näher, im Gegenteil.

Die Telefonate in die Heimat sind zweifelsohne die Highlights des Tages. Ich freue mich schon zu Beginn der Wache auf die Stimmen meiner Liebsten. Die Verbindung mit dem Satellitentelefon ist meist sehr gut und die Kosten halten sich mit einem Euro pro Minute noch in Grenzen.

Logbuch am 23.06.13

Gute Nacht, Janek

Die neuesten Wettermeldungen erreichten uns um 18:00 Uhr Bordzeit. Seit Stunden warteten Janek und ich gespannt darauf. Unsere Gespräche drehten sich um nichts anderes als die Zugbahn und die weitere Entwicklung des Sturmtiefs, das sich gestern angekündigt hatte. Den Kurs der Nis Randers hatten wir vergangene Nacht nach langer und reiflicher Überlegung (nein, nicht Münzen werfen oder SchnickSchnackSchnuck – wir haben Knochen in einen Topf geworfen) in Richtung Süden abgesteckt, in der Hoffnung, das Tief würde nach Norden abziehen. Und so kam es dann auch, das Tief wird sich – wohl - teilweise auflösen und zieht mit seinem Kern in Richtung Island, also Nord. Zugegeben, bei der Kursbestimmung war auch ein bisschen Pokern dabei, aber hier zieht ein Tief nach dem anderen durch, da erkennt man seine Schweine allmählich am Gang. Das heißt zwar nicht, dass für uns jetzt alles bestens läuft, aber den großen Sturm haben wir - wohl - nicht mehr zu erwarten. Trotzdem überprüfte Janek heute an Deck die Befestigungen der Kajaks und der Dieselkanister. Außerdem verschloss er den Doradelüfter mit Tape. Wir haben den Verdacht, dass beim letzten Sturm Wasser durch den Lüfter in das Schiff gelangte, obwohl er bereits nach hinten gedreht war. Und wenn ich etwas hasse, dann ist es Wasser im Schiff und ich weiß nicht woher es kommt.

Gegen Mittag kam uns ein Grauwal entgegen, er konnte nicht gut sehen, denn er hatte Grauen Star. Begleitet wurde er von einem Schwarm Graugänse. Ich bot ihm Graubrot an, er lehnte ab, ihm graut davor, entgegnete er mit unerwarteter Eloquenz und fügte hinzu, wir sollen uns wegen dem Wetter keine grauen Haare wachsen lassen. 

Unser Ozean, unser Planet, unser Universum bleibt grau. Als es der Sonne am Nachmittag fast gelang durch die Wolkendecke zu dringen, konnten wir nur mit Mühe und eiserner Disziplin den Impuls unterdrücken, augenblicklich die Sektkorken knallen zu lassen.

Ich ertappe mich dabei, wie ich in Reiseführern blättere und mir Bilder vom Süden Grönlands ansehe. Auf jedem Foto erscheint eine Sonne – Wahnsinn, was man mit Photoshop alles machen kann! Doch, ich muss schon sagen, so gern ich auch auf See bin, so gaaanz langsam fang ich an mich auf einen Landgang zu freuen. Duschen, umziehen, Bude salzfrei und sauber machen und… schlafen – einfach mal einen Tag erholen. Aber das sind noch 588 Meilen, also ca. 1088 Kilometer oder rund sechs bis acht Tage oder umgerechnet zehn Mal Helgoland hin und zurück bis zum Kap.

 „Gute Nacht, Janek, schlaf gut.“

„Ja, danke, schöne Wache dir.“

„Danke auch. Ach…, Janek?“

„Hm?“

„Wenn ich nicht sehr bald an Land komme, dann kann es passieren, dass ich zum Axtmörder werde!“ „Das ist schön, Bernd, das beruhigt mich wirklich sehr.“ Es sind Aussagen wie diese, auf die mein ausgeklügeltes psychologisches Fundament an Bord fußt und immer wieder zu Höchstleistungen animiert. Klare schnörkellose Ansagen demonstrieren überlegene mentale Stärke und überzeugen schlussendlich in ihrer Einfachheit. Da gibt es nichts auszuschmücken oder hinein zu interpretieren. Janek hat jetzt die ganze Nacht Zeit darüber nachzudenken, wie er morgen den Segeltrimm optimieren kann, um das Schiff noch schneller zu machen.

Auf dem Meer ist noch immer nichts zu sehen. Manchmal, wenn ich mich unten im Bauch der Nis Randers befinde, stelle ich mir vor, wie gerade in diesem Augenblick draußen auf dem Meer massenhaft die Wale blasen und die Delfine springen – um dann genau in dem Augenblick abzutauchen, wenn ich nach oben ins Cockpit gehe um Ausschau zu halten. Selbst die Möwen haben uns verlassen. Bis auf eine, ich nenne sie Möwe, sie ist eine wahre Perle der Evolution. Unermüdlich umkreist Möwe das Heck der Nis Randers, und manchmal fliegt sie auch um das Schiff herum. Dann lässt sich ermattet auf dem Wasser nieder bis sie aus dem Blickfeld gerät, um dann in ein paar Minuten frisch und erholt wieder zu uns zu stoßen. Ich vermute stark, dass sie uns in den paar Minuten schon vergessen hat und bei jedem Anflug denkt, sie hat soeben ein neues, ein anderes Schiff entdeckt.

17:13 • 59°23,1N / 026°47W
Nordatlantik • Niemandsland
11 °C • 5 Bft • 1429 Meilen bisher

Logbuch am 22.06.13

Ein Sturm zieht auf

 

 

Unsere Wetterdaten liefern die UGRIB-Files. Ich sende die Koordinaten für das gewünschte Seegebiet zu Webmaster und Wetterfrosch Udo, der lädt die Vorhersagen aus dem Internet und schickt uns anschließend eine .grb-Datei via E-Mail an Bord, welche wir mit einem Programm auslesen können. Anhand dieser Wetterdaten, entscheiden wir kurzfristig unsere weitere Reiseroute, bzw. auf welchen Bug wir uns vorzugweise legen sollten. Diese Wetterdaten werden an Bord immer mit großer Spannung erwartet – sind sie es doch, die über den weiteren Verlauf der Reise mitentscheiden.
So weit so gut.
Die Wetterdaten für die kommenden Tage sind heute Nachmittag eingetroffen und kündigen einen schweren Sturm mit bis zu zehn Windstärken an, der uns in der Nacht von Montag zu Dienstag erreichen soll. Das Sturmgebiet ist so großflächig, dass ein Ausweichen unmöglich erscheint.

 

 

Nun ist es bis Dienstag noch etwas Zeit und manchmal ändert sich die Wetterlage. Die Vorhersagen können zutreffen oder besser werden – und sie können schlechter werden. Zur Sicherheit und um eine zweite Meinung zu bekommen, mailen wir einen Freund von Janek an, der eine meteorologische Ausbildung hat und dem zusätzliche Quellen zur Verfügung stehen. Seine Antwort erwarten wir morgen. Gedreht hat der Wind schon heute Morgen. Auf Nordwest, was ungünstig für uns ist. Warum muss ich just in diesem Augenblick an die Delfine von gestern Nacht denken?

Brot backen, gegenan hacken, lesen, Videoclips drehen, schlafen, telefonieren und Diskussionen über Wetternavigation bestimmte unser heutiges Tagesprogramm. Und so sehr wir auch Ausschau halten - noch immer keinerlei Anzeichen menschlichen Lebens auf diesem Ozean.

 

 

12:51 • 60°04,2N / 024°36,6W
Nordatlantik • Irminger Strom
10 °C • 6 Bft • 1341 Meilen bisher

Logbuch am 21.06.13

Alles gut

 

Seit wir unterwegs sind, haben sich noch weitere Mitsegler an der Spendenaktion sailing for money zu Gunsten des Kinder- und Jugendhospizes Löwenherz beteiligt. Eure Mails sind angekommen, tausend Dank dafür. Ich antworte und trage eure Namen in der Liste nach, sobald wir Internet haben.

 

Geweckt wurde ich vom Motorengeräusch. Der Wind war in den Morgenstunden eingeschlafen und erholte sich von den Anstrengungen seiner Wanderung der letzten Tage. Die See trug lediglich noch eine geringe Restdünung auf der sich die Nis Randers sanft auf und nieder bewegte. Der Windgenerator wirkte wie aus einem Stück gegossen, so als hätte er keine beweglichen Teile.  Janek hatte das schlaff am Mast hängende Großsegel nicht ganz eingeholt, um ein Rollen des Schiffes zu vermeiden.

 

Schon die alten Seefahrer sagten: Schlaf, wenn du schlafen kannst und iss, wenn du essen kannst. Ich erweitere diesen Sinnspruch und überführe ihn mit folgenden Zusatz in die Moderne: …und lade, wenn du laden kannst. iPod und iPad, noch ein iPod und das Smartphone, drei Handfunken, drei Spiegelreflex- und zwei Outdoor-Kameras, drei Laptops, ein Camcorder und das Satellitenhandy. Dazu die Empfangs- und Flugelektronik sowie der Sender vom Quadrokopter – der Flugdrohne. Alle diese Geräte benötigen Strom, der in Akkus gespeichert wird. Wir wären leichter und könnten schneller segeln, wenn wir nicht die ganzen Ladegeräte mitschleppen müssten. Jetzt in der Flaute bietet sich eine gute Gelegenheit zum Laden der Geräte.

 

 

„Hunger.“

„Hallo, guten Morgen. Heut ist so ein schöner Tag, das Grau scheint heller zu werden! Hast du gut geschlafen?“

„Hunger!“

 

Fünf Pfund Kartoffeln, ein großes Glas Rotkohl, eine Packung Pfeffer-Sahnesoße, vier Eier, zwei Zwiebeln, und zwölf Würstchen. Dazu Gurken aus dem Glas. Nicht, dass jemand auf die Idee kommt, da wäre auch nur irgendwas von übrig geblieben. Anschließend Schokolade, Cola und Nüsse. Iss, wenn du essen kannst.

 

 

Der Wind, der uns hier um die Nase weht ist hier entstanden, geboren in den Tiefdruckgebieten des Nordatlantiks, Zugbahn meist Ost. Diesen Wind hat noch kein Baum, kein Deich, keine Berge, Wälder oder Häuser gebremst. Er hat noch nie etwas anderes gesehen als Wasser, Wellen und Wolken, manchmal die Sonne und den Himmel, selten Wale und Tümmler und mit ziemlicher Sicherheit noch kein Schiff, erst recht keinen Segler. Er muss denken, dieser Planet besteht fast ausschließlich aus den Farben Grau, Grauweiß, Dunkelgrau, Blassgrau  und Hellgrau  in seinen Spielarten bleiernes Grau, fahles Grau und ergrautes Grau.

 

Ein Nachtrag: Vor einigen Tagen machte ich Sturmvideos und bemerkte, dass die Wirkung auf den Bildern verfehlt wurde. Ich schaute mir heute noch einmal die Clips an und muss meine Meinung ändern. Es lag wohl daran, dass ich im Sturm einen direkten Vergleich hatte, zwischen Wirklichkeit und den Aufnahmen. Jetzt, mit etwas Abstand und ruhiger See, sieht das alles etwas anders aus. Ich stelle ein Video bei Gelegenheit ins Netz und verlinke.

 

 

Gegen Mitternacht kommen Delfine ans Schiff und begleiten es sogar bei kleineren Kursänderungen fast zwei Stunden lang. Die ganze Zeit über bleiben sie in meinem Blickfeld, spielen mit der Heckwelle und wie es scheint, auch mit der Schleppangel. Sie lächeln und schauen mich verschmitzt an mit ihren klugen Augen und manchmal scheint es, als zwinkerten sie mir zu. Es gibt Leute, die immer mal wieder behaupten, Delfine am Schiff wären kein gutes Omen und ein untrügliches Anzeichen für schlechtes Wetter. Als Unheilsbringer würden sie ungünstige Winde bescheren oder – was noch schlimmer ist  - eine Flaute herauf beschwören. Darüber kann ich ja nur lachen, so ein Unsinn. Die Tierchen sind einfach nur süß, schaut doch mal, wie putzig sie durch die Wellen gleiten. Sicher, den letzten Sturm hatten wir kurz nachdem wir die Delfinschulen sahen aber heute segelt es sich hier ganz ausgezeichnet. Also über Bord mit dem Aberglauben, wir haben fünf Knoten im Boot, sind satt und auf Kurs. Noch 708 Meilen bis zum Kap Farvel. Alles ist gut.

18:41 • 60°35,2N / 022°02,6W
Nordatlantik • Iceland Basin
9 °C • 0-4 Bft • 1255 Meilen bisher

Logbuch am 20.06.13

Küss die Kinder

 

Viereinhalb Stunden nachdem ich den Bericht „Nachtwache“ schrieb, drehte der Wind, schlief ein und hinterließ uns eine konfuse See, in der es nichts mehr zu segeln gab. Ein paar Stunden später frischte es wieder auf und blies erst mit vier, dann mit fünf Windstärken. Dazu kamen Böen. Windrichtung: auf die Nase. Hast du die Wahl zwischen Pest und Cholera, und fängst an zu überlegen, bekommst du meist beides. Auf welche Backe sollten wir uns legen: Backbordbug in Richtung Süd, um wieder auf den 60ten zurück zu kehren oder Steuerbord um noch weiter nach Nord zu gehen? Die Entscheidung wurde uns von dem Seegang abgenommen. Er war so heftig, dass hoch am Wind segeln gar nicht möglich war. Wir entschieden uns für Süd weil das zu den Vorhersagen der nächsten Tage das wahrscheinlich geringere Übel sein wird und versuchten etwas Fahrt im Schiff zu behalten, um bis zur nächsten Windrichtungsänderung, die für morgen angesagt ist, wenigstens die Position einigermaßen zu halten.

 

 

Es gibt Dinge am Schiff, die würde ich gern geändert haben. Z.B. im Klo. Nach der Toilette möchte ich gern die Hände waschen. Ach, geht ja nicht, ich muss ja erst die Druckwasserpumpe einschalten (hab ich vergessen). Der Pumpenschalter befindet sich am Kartentisch. Also antröllern, Tür aufmachen, am Rahmen festhalten, zum Kartentisch hangeln und mit einem langen Arm den Schalter betätigen. In dem Moment kippt das Schiff auf den anderen Bug, die Klotür schlägt zu, auf den Daumen, ich zieh die Hand weg, verlier den Halt, werde seitlich durch das Schiff auf den Herd geworfen auf dem glücklicherweise nichts kochte. Ergebnis: dicker blauer Daumen und schmerzende Hüfte. Also ich hätte gern eine Fußpumpe für Süßwasser im Klo und eine Sicherung für die Tür. Weitere Änderungen wären: Die Kardanik am Herd (ENO) reicht nicht aus um damit auf See zu gehen und die Topfhalter mit Plastikschrauben sind Kinderspielzeug. Der Fäkalientank müsste einen direkten Auslass (Abzweigung) ins Meer haben. Das sind aber alles Kleinigkeiten, im Großen und Ganzen kann man mit dem Schiff als Fahrtensegler sehr zufrieden sein. Es ist ein gelungener Kompromiss zwischen Komfort und Schnelligkeit, Sicherheit und Höhe am Wind. Rollgroß und Rollvorsegel sind bei allen Bedingungen und Kursen (auch im Sturm) von einer Person leicht zu bedienen. Kurz, wenn man sich manche Dinge für seine eigenen Bedürfnisse um- und einbaut, ist dieses Schiff ein gutes.

 

„Der Gesprächspartner ist zurzeit nicht zu erreichen, bitte versuchen sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal.“ Wann denn, im September? Das habe ich gestern schon gehört! Schön, wenn man ein Satellitentelefon an Bord hat. Nicht so schön, wenn man sich auf ein Gespräch mit der Liebsten freut und dann eine ganz andere Frauenstimme hört. Ah, grad bekomme ich eine E-Mail von einem Freund, es gab ein Gewitter bei Oldenburg – Telefon und Internet funktionieren nicht. Dann eben auf diesem Wege: Schatz, es geht uns gut (das mit dem Sturm war stellenweise völlig übertrieben dargestellt und der Daumen ist nicht wirklich dick. Die Wellen waren auch nicht fünfzig Meter hoch, sondern lang!). Wir zanken nicht rum und sind immer angeleint. Ich versuch`s einfach weiter mit dem Telefon. Küss die Kinder von mir, volim te, mein Engel, ich denk an dich.

 

Kein Fisch, kein Schiff, kein Wal, kein Flipper, keine Möwe. Dafür Grau in allen erdenklichen Nuancen. 

 

07:46 • 61°04,0N / 019°04,8W
Nordatlantik • Iceland Basin
10 °C • 5-6 Bft • 1148 Meilen gesamt

Logbuch am 19.06.13

Sturm dritter Akt oder Auf Nachtwache

 

Im Prinzip habe ich dem Bericht von gestern nichts hinzuzufügen, außer, dass der Wind im Laufe des Tages manchmal auf 7 bis 8 Windstärken herunter ging. Die eingeschlagene Wellentaktik bescherte uns eine verhältnismäßig ruhige Fahrt (sofern man davon sprechen kann; wahrscheinlich haben wir uns nur schon dran gewöhnt) und wir sind sehr froh darüber, dass das Schiff, obwohl wir unseren Kurs dem Wind und dem Seegang anpassen müssen, nicht so völlig vom Generalkurs abkommt. Es regnete heute viel und lange, seit Tagen sehen wir nur grau. Sturmvögel begleiten unsere Fahrt. Sie fliegen in atemberaubenden Manövern um das Heck der Nis Randers, wohl in der Hoffnung, für sie würde etwas abfallen. Scheinbar enttäuscht lassen sie sich nach einiger Zeit auf den Wellen nieder, nur um kurz darauf einen neuen Anlauf zu nehmen. Wir schlafen viel heute, ich fühle mich frisch und ausgeruht. Gegessen haben wir auch endlich: Bockwurst aus dem Glas mit Senf. Diesen Bericht schreibe ich um Mitternacht, draußen ist es so hell wie heute Nachmittag. Richtig dunkel wird es heute nicht mehr werden. Janek schläft gerade, Wachablösung ist um 02:00 Uhr morgens. Er macht dann Wache bis ich aufwache, meist so zwischen sechs und sieben Uhr. Draußen ziehen grad wieder kräftige Böen ums Schiff, der Windgenerator faucht und brummt. Wir hatten ihn zeitweise aus dem Wind gebunden, weil die Batterien voll waren und das Gezische nervte. Während ich schreibe, hat das Radargerät die Schiffswache für mich übernommen, es warnt akustisch bei einem Kontakt. Seit wir auf dem Atlantik sind, haben wir noch kein einziges Schiff gesehen. Trotzdem mache ich ca. jede viertel Stunde einen Rundumblick. Durch die Wellenhöhe muss man immer den richtigen Augenblick abpassen, damit der Blick über die Wellen geht, aber auch dann kann man durch den Regen nicht weit sehen. Gesteuert und auf Kurs gehalten wird die Nis Randers von der Windfahnensteuerung. Seitdem wir das Windblatt etwas unkonventionell modifiziert haben, arbeitet sie derart zuverlässig, dass wir selbst das Ruder gar nicht mehr in die Hand nehmen. Sie steuert einfach besser. Lediglich bei den plötzlich einsetzenden Böen lässt sie das Schiff kurz etwas anluven. Im Schiff sind es jetzt 10 Grad, draußen 9 Grad Celsius. Die Werte liegen oft gleich, weil die meiste Zeit der Niedergang geöffnet ist. Nur wenn ich Kaffee koche, klettert der Wert im Inneren des Schiffes durch die Gasflamme auf dem Herd leicht an.

 

 

Das Foto oben wurde gestern aufgenommen und zeigt unsere ungefähre bisherige Fahrtroute und Position. Wir befinden uns jetzt südlich von Island und haben noch 872 Meilen bis zur Südspitze Grönlands vor uns. Unter normalen Bedingungen würden wir für diese Strecke acht bis neun Tage benötigen. Jetzt wieder schwere Böen draußen, die Windanzeige springt auf 34 Knoten, Windstärke 9. Jetzt noch ein Brecher übers Deck, ja so ist es gut, das ist dann auch wieder sauber. Wo war ich stehen geblieben, richtig, beim Foto. Hier kann man gut erkennen, dass wir den 60ten Breitengrad schon überschritten haben. Wegen der Großkreisnavigation werden wir noch weiter nördlich fahren, um dann später auf den 60ten zurückzukehren. Heute habe ich versucht die stürmische See zu filmen. Ich wollte sehen, ob man auf bewegten Bildern die Wellenhöhe besser wiedergeben kann als auf Fotos. Dort gelingt es einfach nicht, einen gewaltigen Wellenberg, der auf einen zurollt adäquat abzulichten. Es ist wie beim Skifahren, man erkennt auf den Fotos meistens nicht wie steil die Abfahrt gewesen ist, die man sich endlich getraut hat, hinunter zu fahren. Jetzt wieder starke Böen, hört das mal auf?  Das Filmen blieb vorerst nur bei einem Versuch. Überall flog Salzwasser herum, man muss nur kurz die Nase rausstrecken, dann ist man voll davon. Nicht so gut für empfindliche Kameras. Dazu kommen die Schiffsbewegungen und damit fehlt oft der sichere Stand – Unfallgefahr. Ich montierte schließlich die GoPro, eine so genannte Helmkamera, im wasserdichten Gehäuse an die Sprayhood und ließ sie laufen. Gute Aufnahmen, dachte ich. Da, ein Brecher! Jetzt kommt Wasser über! Das Schiff rollt wie verrückt, tolle Aufnahmen! Ständig wischte ich über die Linse um sie vom Salzwasser zu befreien. Nach ein paar Minuten baute ich die Kamera wieder ab, zog den Chip und freute mich auf den Film, den wir uns im Computer ansahen. Das Ergebnis war ernüchternd, es sah aus, als ob wir bei einem leichten Lüftchen Kaffee trinkender Weise über das Steinhuder Meer dümpelt würden. Wer das sieht, glaubt uns niemals, was wir hier erleben – wieder Böen, wieder Deckswäsche, ein Blick auf`s Radar, Regengebiet von Backbord im Anmarsch -  ich geh grad den Niedergang für einen Rundumblick nach oben. In dem Moment, wo ich den Kopf rausstrecke, sehe ich eine Wasserwand an Backbord sich aufbauen, höher als die Sprayhood und vielleicht noch einen Meter von Schiff entfernt. Ich sehe nichts als grünes Wasser, DAS wäre ein Foto gewesen, wo ist die Kamera, wenn man sie braucht!? Bevor ich meine Befürchtungen in Gedanken formen kann, wird das Schiff getroffen, angehoben und am Heck herum in den Wind gerissen. Angeluvt, in den Wind geschossen, die Segel und die Schoten schlagen wie doll. Ich seh der Welle nach, kann kaum glauben, dass sie durchzieht und kein Wasser eingestiegen ist und warte auf die nächste Welle (meist kommen zwei bis drei besonders hohe hintereinander, Janek nennt sie Die drei Schwestern). Die Welle zieht tatsächlich durch und es kommt keine weitere. Vielleicht war sie die letzte der Drei Schwestern, vielleicht war sie auch ganz allein unterwegs. Ich schau nach unten, um Janek, der sicher aufgewacht ist von dem Schlag, Entwarnung zu geben, aber er schläft noch. Im Schiff hat man es wohl nicht so gemerkt und er liegt auf der bequemen Leekoje im Salon. Während ich dies schreibe – es ist jetzt 01:41 Uhr, die Regenfront, die ich vorhin auf dem Radar sah, zieht grad durch und schüttet Süßwasser über das Schiff -  brenne ich die Fotos und Filme, die bisher auf der Reise entstanden sind, auf DVD. So, kurz vor zwei, jetzt werde ich noch die Schiffsinnentemperatur etwas ansteigen lassen, mich mit dem Kaffee nach draußen ins Cockpit setzen, den Ausblick genießen um anschließend meinen Mitsegler mit den Worten zu wecken: „Janek, aufwachen. ´s ist Nachtwache.“

07:51 • 61°28,6N / 016°51,7W
Nordatlantik • Iceland Basin
9 °C • 8-9 Bft • 1067 Meilen gesamt

Logbuch am 18.06.13

Sturm zweiter Akt

 

 

Arktis unter Segeln - Sturmfahrt ins Eis. So könnte der Titel eines Berichtes über diese Etappe der Expedition Greeenland 2013 lauten. Langsam aber sicher kletterten im Laufe des Tages die Daten der Windanzeige wieder nach oben, bis sie die Spitze bei 43 Knoten oder 80kmh oder Windstärke 9 erreicht hat. In den Unwetterzellen, die uns mittlerweile im 90-Minuten-Takt treffen, steigen die Werte noch höher, auf knapp 10 Windstärken. Wir segeln immer noch gegenan, erstaunlich bei diesem Wind und der geringen Segelfläche. Die Wellenlängen und deren Form lassen dies zu, wir haben 2500 Meter Wasser unter dem Kiel. Die Geschwindigkeit der Nis Randers haben wir so angepasst, dass sie die Wellenberge gerade noch erklimmen kann, aber an ihrer Spitze nicht mit dem Bug ins Tal fällt um dort unter entnervenden Geräuschen aufzukrachen, sondern eher ins Wellental hinein zu gleiten. Das macht die Zeit und den Aufenthalt an Bord erträglicher. Bisweilen sind wir zu schnell und manchmal treffen wir nicht den richtigen Winkel. Dann schießen wir über den Wellenkamm hinaus und fallen über dem Kamm. Hin und wieder brechen die Wellen just in dem Moment, wo das Schiff den Scheitel nehmen möchte und wird mit einer Menge Wasser und wirklich sehr lauten Geräuschen zurückgeworfen. Im Schiff fühlt sich das an, als ob man gegen eine Fahrwassertonne gefahren wäre. Abfallen ist die Folge und Fahrt aufnehmen um einen neuen Versuch zu starten. Das hier ist grad nichts für schwache Nerven. Janek hat das Schiff verglichen mit einem Schuhkarton, der kräftig geschüttelt wird. In ihm befinden sich Schrauben und Muttern und wir mittendrin. Wir schlafen jetzt etwas, aber nicht gut und lange. Warm Essen können wir später, kochen ist zu gefährlich, der kardanisch aufgehängte Herd ist schon längst an seiner Grenze. Der Toilettengang ist filmreif. In diesem Bericht vertippe ich mich bei jedem Wort mindestens einmal. Überall, auch im Schiff, ist es schmierig und rutschig von der Gischt und vom fliegenden Salzwasser. Den anvisierten Kurs können wir bei der Wellentaktik nicht gut halten. Wir fahren weiter nördlich, auf Island zu, um dort die Rückseite des Tiefs noch ausnutzen zu können. Trotz allem: Das Meer hier ist faszinierend und die Wellen wunderschön. Und so ein Sturm dauert ja auch nicht ewig.

 

15:05 • 60°41,2N / 014°23,3W
Nordatlantik •
12 °C • 9 • 979 Meilen gesamt

Logbuch am 17.06.13

Sturm

 

Der Tag begann mit Nordost, dann kurze Windstille, der eine Winddrehung um 180 Grad auf Südwest folgte. Ganz langsam setzte sich dieser Wind stärker durch, bis er vier bis fünf Windstärken erreicht hatte. Der Himmel, das Meer – mit wenigen Ausnahmen seit Tagen eine Symphonie in Grau in allen möglichen Schattierungen. Gegen Mittag setzte ein warmer, feuchter Wind ein, über dessen Intensität wir uns wunderten und der sich langsam immer weiter verstärkte. Die Wettervorhersagen, die wir noch zwei Stunden vorher von Udo per E-Mail erhalten haben, sagten vier Windstärken voraus. Ich telefonierte um 20:30 Uhr noch mit meinem Schatz und konnte von guten Bedingungen und einer schnellen Reise berichten. Kurz danach ging`s los: Innerhalb kürzester Zeit mussten wir bei mittlerweile starkem Wind die Segelfläche verkleinern. Sicher nur eine Unwetterzelle, dachten wir und warteten auf das Abebben. Bald war klar, dass hier nichts abebben würde, im Gegenteil, der Wind nahm immer mehr zu. Die See, die noch von dem Wind von vor der Winddrehung beeinflusst war, folgte nun mehr und mehr den neuen Einflüssen, sodass sie uns eine wirre Kreuzsee bescherte. Gegen Mitternacht kämpften wir die Nis Randers durch einen Sturm mit grober See und sich brechenden Wellen. Die Segel mussten wir, bis auf einen kleinen Fetzen als Vorsegel, bergen. Irgendwann setzte peitschender Regen ein und mit ihm erhofften wir wenigstens eine Dämpfung des Seegangs. Aber das Schiff hüpfte weiter auf den Wellen, die unterdessen eine beträchtliche Höhe angenommen hatten. Heulen im Rigg, Krachen im Schiff beim Aufschlagen der Wellen an den Rumpf, das Brechen der Wellenkämme und weiße Gischt erfüllten die Nacht. Zweimal stieg Wasser ein. An Schlaf war nicht zu denken. Ganz allmählich verschwand die Kreuzsee um langen, gewaltigen Wellenbergen Platz zu machen, die wir im schrägen Winkel erklommen, um auf ihrer Rückseite mit hoher Geschwindigkeit wieder ins Wellental zu gelangen.
Zehn Stunden später war der Spuk urplötzlich vorbei. Von einer Sekunde zur anderen erstarb jeglicher Wind und hinterließ ein kleines Boot in grober See. Segel konnten wir nicht setzen, weil sie am Mast geschlagen hätten. Also warteten wir, bis wieder Wind aufkam. Seitdem sind sieben Stunden vergangen und wir segeln in einem wunderschönen Ozean bei sechs Windstärken und betrachten die Wellenberge. Zum Frühstück Kartoffelchips und Erdnussflips, Kaffee geht immer. Wir sind müde.

Flaute, Sturm, Regen, Dünung, Delfine, Wale, Sonne – der Atlantik bietet uns viel in kurzer Zeit.

 

Noch tausend Meilen bis Grönland

20:00 • 59°53,2N / 011°44,7W
Nordatlantik • Sturmland
13 °C • 9 • 881 Meilen gesamt

Logbuch am 16.06.13

Segler sind so

 

Warum kippen Segler morgens gern mal einen Schluck Olivenöl ins Klo und abends einen Tropfen Alkohol ins Wasser? Warum legen Segler einen Pfennig/Cent unter den Mast und wieso pfeifen sie nicht an Bord? Warum haben Segler immer den „top-speed“ oder den perfekt anliegenden Kurs – aber niemals beides gleichzeitig? Und warum versuchen Segler die Zeit auf See, die nach ihrem Bekunden so wunderschön ist, mit allen Mitteln durch möglichst hohe Durchschnittsgeschwindigkeiten zu verkürzen? Warum sind Segler immer müde, immer hungrig und immer durstig? Segler sind einfach so.

 

Da bläst er! Komm doch mal her, Wal, ich tu dir nichts. Ich werde dir bestimmt keine Harpune in deine Lungen treiben, die sich dann beim Abtauchen durch den Wasserdruck zusammendrücken und dir jede Kraft zum Kämpfen oder zur Flucht rauben. Ich werde dich nur mit den Augen anfassen. Ich möchte dich nicht aus Tradition oder zu Forschungszwecken essen, ich mag Nudeln.

 

 

Am Vormittag ziehen Delfinschulen vorbei, große schwarze Tiere, die, von uns völlig unbeeindruckt, souverän ihrer Wege auf der immer länger werdenden Atlantikdünung ziehen.

 

Wir haben kein Rezept für Möwe an Bord und nach Nordsee-Hornhecht mit blauer Gräten-Soße stand uns bislang nicht der Sinn. Also blieb die Schleppangel bisher binnenbords. Und selbst hier im Atlantik geb ich die Angel noch nicht frei, es sind noch Möwen da. Man kann es nicht immer vermeiden, die Möwen gehen an den Köder oder fliegen durch die Leine und schlagen so in den Haken. Auch mir ist es schon zweimal passiert: Einmal im Mittelmeer, da ist der Vogel beim Einholen der Leine allein frei gekommen und vor zwei Jahren in der Irischen See. Die Möwe mussten wir vom Haken erlösen, der sich in ihre Schnabel verfangen hatte. Als sie frei war, ließ ich sie los. „Flieg, flieg, Vögelchen, flieg.“ Sie sah mich an, hackte mir in den Finger und flog schreiend von dannen. Undankbares Vieh.

Einer der Möwen, die uns heute besuchten, hing ein langes Stück Angelschnur aus dem Schnabel und zog es im Flug hinter sich her.

 

 

Für mich ist Pinnegehen, bzw. auf diesem Schiff Rudergehen, eine schlimme Strafe, ich liebe Segeln aber steuern geht gar nicht. Ich bin unzufrieden mit der Windfahnensteuerung. Sie arbeitet unzuverlässig und eiert herum. Seit Tagen suchen wir den Fehler für das ungenaue Steuerverhalten. Um halb vier morgens fanden wir das Problem: Durch Verwirbelungen, verursacht von der Sprayhood und das an der Reling gelaschte Beiboot, konnte die Windfahne nicht richtig angeströmt werden. Ein provisorisch aufgeklebter Karton behob das Problem.

16:28 • 59°09,4N / 008°12,3W
Nordatlantik • Wal- und Delfin-Land
12 °C • 4 • 761 Meilen gesamt

Logbuch am 15.06.13

Du bist

 

Mit deinen zehn Kilometer Breite und zwanzig Kilometern Länge, bist du zwar nicht besonders groß, aber du bist eine der wichtigsten Verbindungen zwischen der Nordsee und dem Nordatlantik. Durch dich fließen mit jeder Ebbe und mit jeder Flut gewaltige Wassermassen. Deine Gezeitenströme erreichen bei Springzeit 12 Knoten, sogar von 16 Knoten wurde schon berichtet. In dir entstehen die Eddies (Stromwirbel), Overfalls (Brecher), Races und Tide Rips. Die Menschen meiden dich, weil du schon viele ihrer Schiffe verschlungen hast. An deinen Ufern gedeiht wenig, und wenn, dann nur hartes Gewächs. Vor Jahren stand ich schon einmal vor deiner Tür, aber ich war nicht gut vorbereitet und musste wieder gehen. Du bist schon ewig hier und wirst es lange nach mir sein. Du bist berühmt und gefürchtet, du bist Mythos und du bist Legende - du bist der Pentland Firth.

 

Bereits zwei Meilen vor dem Firth zieht uns die Strömung in die Meerenge. Bei fünf Windstärken fahren wir unter Segeln durch graues Wasser hinein. Den Motor lassen wir mitlaufen, wer weiß, was uns erwartet. Drei Knoten Strom plus die Fahrt durchs Wasser, das beschert uns eine schnelle Durchfahrt. Die Steilküsten an den Ufern bestehen aus rotem Fels, an den Hängen saftiges Grün. Vereinzelt Häuser, die verlassen mit geschwärzten Fenstern von einer vergangenen Zeit zeugen. Kurz vor dem Ende des Firth kippt der Strom fast ohne Stillwasser. Plötzlich haben wir zwei, dann sehr schnell drei Knoten Strom gegenan. Sofort setzen Stromkabbelungen ein, die wir jedoch schon von weitem erkennen und umfahren können. Auf kürzesten Weg suchen wir freies Wasser und fahren anschließend im kalten Regen und schneidenden Wind in Richtung Westen. Das eine Abenteuer liegt gerade hinter uns, da können wir dem neuen schon einen Namen geben: Der Nordatlantische Ozean

 

 

Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine Gerade. Wenn ich mich also im Osten auf dem 60ten nördlichen Breitengrad befinde und ich möchte auf dem kürzesten Weg nach Westen, zu einem Ziel, welches sich ebenfalls auf dem 60ten nördlichen Breitengrad befindet, brauche ich nur diesem Breitengrad in Richtung West, also Kurs 270° folgen, richtig? Ja, das stimmt, aber nur wenn wir auf einer Scheibe leben würden. Aber da der Planet Erde eher einer Kugel gleicht, fährt man einen Umweg, wenn man sein Ziel direkt ansteuert. In unserem Fall folgen wir der Großkreisnavigation und hier führt der kürzeste Weg zunächst weiter in den Norden mit einem Kurs von fast 290° in Richtung Island um dann später, kurz vor Greeenland, auf 260° abzufallen.

 

 

Gestern erhielten wir eine E-Mail von der Luna, die wir auf Helgoland getroffen hatten. In der Nähe des Pentland Firth ist ein Segelboot gesunken - zwei Menschen in der Rettungsinsel, zwei im Wasser.

 

Noch 1278 Meilen, das sind etwa 2366 Kilometer, bis zum Kap Farvel, der Südspitze Grönlands. Wir werden von nun an wochenlang auf dem Atlantik unterwegs sein. Es gibt passendere Augenblicke um Zahnschmerzen zu bekommen.

 

 

16:24 • 58°51,7N / 004°45,4W
Nordatlantik • Schottland/Hebriden
12 °C • 4-5 • 646 Meilen gesamt

Logbuch am 14.06.13

Gut für uns

 

Was auf See unüberwindbar und schwierig erscheint, löst sich oft schnell wieder auf, nachdem man in einem Hafen festgemacht hat und an Land gegangen ist. Die Reise geht weiter wie geplant.

 

 

Aber bevor die Nis Randers wieder ablegt, fallen noch ein paar Aufgaben an: Hafenmeister bezahlen, Diesel und Wasser auffüllen, Wanten prüfen, spannen und sichern, Wetterdaten anfordern, Radarkabel im Mast fixieren, Wellendichtung schmieren, Dieselkanister auf Deck zusätzlich sichern und das Schiffsinnere seefest machen.

 

16:00Uhr Leinen los. Draußen 6-7 Windstärken aus Süd = gut für uns. Unter Vorsegel lassen wir uns ziehen, vorbei an Fischerbojen, die vor der Küste ausgebracht und erst sehr spät zu erkennen sind. Scheue Papageientaucher, die Perky Puffins, die schwer zu fotografieren sind, weil sie einem das Hinterteil zuwenden und abtauchen, bevor sie in Kameranähe sind, begleiten unsere Fahrt.
Es ist der wärmste Tag auf See bisher. Die Sonne macht gute Laune und beschenkt uns mit einem spektakulären Untergang gegen Mitternacht. Bevor die Sonne um 5:00Uhr Bordzeit wieder aufgeht, ist es nicht mehr richtig dunkel geworden.

 

 

Morgen Vormittag erreichen wir den Pentland Firth

20:11 • 58°17,13N / 002°33,3W
Nordsee • Schottland
17 °C • 6-7 Bft • 559 Meilen gesamt

Logbuch am 13.06.13

Peterhead/Schottland

 

Die See hat viele Gesichter. Mal grob und rau, mal dunkel und bedrohlich. Manchmal trägt sie brechende Wellen und weiße Gischt, dann wieder ist sie ruhig und kalm. Sie ist selten unberechenbar und niemals unfair. Das Meer vor Schottland an diesem Morgen trägt eine ölige Oberfläche bei völliger Windstille. Er ist immer wieder erstaunlich, wie schnell sich Wassermassen beruhigen können. Die Sonne quält sich mühsam durch die dunklen Wolken, die sich auf der Wasseroberfläche spiegeln und im Horizont ineinander verschwimmen.

Bei der Ansteuerung Peterheads setze ich die gelbe Q-Flagge(die alles-gesund-und-munter-an-Bord-und-wir-möchten-gern-Einklarieren-Flagge) unter die Saling und rufen auf UKW Kanal 14 den Hafenmeister, der uns die Einfahrgenehmigung erteilt.

Nette Marina. Gordon, der Junge vom Büro weist mich ein und verlegt sogar höchstpersönlich das Stromkabel! „Wenn die Länge nicht ausreicht, hole noch eben eine Verlängerung“, sagt er in seinem breiten schottischen Akzent. Das habe ich zuvor noch nirgends erlebt.

 

Peterhead war im Vorfeld der Planung nie als direktes Etappenziel vorgesehen. Die Nis Randers läuft diesen Hafen an, nicht nur weil wir unsicher im einwandfreien Funktionieren der Motorwelle waren (das Problem hatte sich mittlerweile erledigt), sondern weil es meinem Mitsegler nicht gut geht. Er ist als Seemann zwar Wellen und Seegang gewöhnt, aber die Schiffsbewegungen auf der Nis Randers unterscheiden sich erheblich von denen eines riesigen Rohöltankers, an dem man in dreißig Metern Höhe auf der Brücke steht.  

Somit wird Peterhead, dieser kleine Hafen im Norden Schottlands mit den freundlichen Mitarbeitern, am Eingang zum Kaledonischen Kanal, zu einem ersten Wendepunkt dieser Reise. Zurzeit kann ich noch nicht mit letzter Sicherheit sagen wie diese Expedition weitergehen wird.

 

22:45 • 57°29,7N / 001°47,4W
Peterhead • Schottland
16 °C • 498 Meilen gesamt •

Logbuch am 12.06.13

Der große Junge und das Meer

 

Heute war einfach alles gut. Erst wäscht kräftiger Regen das Deck sauber, dann Südwind Stärke sechs bei bewegter See. Das hat gerollt, das hat schnell gemacht und das hat Spaß gemacht.

Wir sind jetzt weit draußen auf der Nordsee, das Meer nimmt mehr und mehr ozeanblaue Farbe an und bekommt, trotz der „geringen“ Wassertiefe von nur einhundert Metern, diese einzigartige Atlantikdünung, in der man manchmal das Gefühl hat, das Meer würde atmen.

Dann endlich kommt die Sonne raus und sie ist kräftig. Klamotten runter und auslüften und ausschütteln (ich habe Unterwäsche in einem Outdoor-Shop in Oldenburg gekauft. „NoStink“ war das verkaufsfördernde Attribut, welches den Absatz steigern und, in vier Farben auf die Verpackung gedruckt, desperate Käufer wie mich anlocken und überzeugen sollte. Ich zog es aus dem Regal, schnüffelte unauffällig daran – und wirklich, es roch nicht schlecht. Heute, nach mehreren Tagen am Körper, sah, pardon, roch, das ganze schon anders aus.

„Das kannst du locker vier, fünf Tage ungewaschen tragen, kein Problem. Dann schüttelst du das einfach aus und alles ist wieder, hm, fresh“, meinte der nette, junge Verkäufer in dem Shop. „Ab einer Woche Tragezeit wird’s dann aber eher ein bisschen kriminell“, schob er hinterher. Bei dem angegebenen Zeitfenster und der maximalen Einwirkzeit von Körperdüften dachte ich mir meinen Teil, lächelte freundlich, ging zur Kasse, unterdrückte mit eiserner Willensstärke einen Aufschrei und zückte, ohne mit der Wimper zu zucken, die EC-Karte. Ich musste mit Karte zahlen, weil ich hatte ja nur 500 Euro in bar dabei. So fühlt sich das also an, wenn Kunden bei mir im Laden zahlen müssen. Nein, ganz so teuer war`s zwar nicht, aber die Preise für Spezialbekleidung im Outdoor-Bereich kommen nah an die meiner Pretiosen in der Goldschmiede heran; nur das die poliert in Vitrinen liegen und oft billiger sind), Muff raus und Lebensfreude rein lassen. Der große Junge und das Meer, zwei alte Freunde sehen sich wieder. Das Leben ist toll, mir geht’s super.

Janek nicht so.

 

Und dann passierte es. Es passierte das, was früher oder später immer auf See passiert: ich verliere das Zeitgefühl. Um Geschehnisse in den Zusammenhang zu bekommen und chronologisch einzuordnen, die zwischen den vergangenen drei bis fünf Stunden geschehen sind, brauche ich mein Tagebuch, welches ich handschriftlich führe. Welcher Wochentag heute ist, kann ich beim besten Willen nicht sagen und das Datum nur, weil es auf meiner Uhr steht. Sind wir wirklich erst drei Tage unterwegs, seit wir in Helgoland abgelegt haben – das kann nicht sein, das fühlt sich viel, viel länger an.

Wir segel in die Nacht, auf die Küste Schottlands zu. Dieses Foto zum Sonnenuntergang schoss ich dreißig Minuten vor Mitternacht, richtig dunkel wurde es nicht mehr in dieser Nacht.

 

22:32 • 55°59,8N / 000°57,3E
Nordsee • Großbritannien
13 °C • 358 Meilen gesamt •

Logbuch am 11.06.13

Gut für den Magen


 

Nachtwache sternenklar. Noch immer mittendurch und vorbei an Gasfeldern. Zu wenig Wind aus der falschen Richtung. ETA vom GPS: 99:59h, das ist Vollausschlag. Kann mich nicht freihalten von einer gewaltigen Plattform, die bereits viele Meilen vorher in Sicht kam und die ich erst für einen Fischer gehalten habe, weil sie an einer Seite grün beleuchtet ist.

Starte den Motor um 2:30 Uhr morgens und gebe nach der Warmlaufphase Vollgas um eine möglich Verunreinigung und der Wellenschmierung "herauszuwaschen" - die Hoffnung stirbt zuletzt. Nach zehn Minuten Vollgasfahrt auf ruhiger See (die Bohrplattform haben wir mittlerweile passiert), nehme ich das Gas zurück und warte auf das Heulen der Welle.

Und warte.

Und warte.

Dann erkläre ich die Wellendichtung ein zweites Mal für funktionstüchtig (aber nur vorläufig - man wird vorsichtiger) und gehe um 3:30 Uhr auf die Koje. Janek übernimmt die Wache. Der Kurs hoch am Wind, Vorsegel raus, Motor schnurrt und der Autopilot weiß, wo`s langgeht. Bei Fahrtenseglern heißt das übrigens nicht "Fahren unter Motor", sondern läuft unter dem Kürzel: "Wlnkdbulddsm" (Wir laden nur kurz die Batterien und lassen dabei die Schraube mitlaufen) Wir schlafen beide abwechselnd auf der Koje im Salon. Dort ist der angenehmste Platz bei Seegang und ich kann in voller Seglerausrüstung...naja, ruhen.

 

Als Fahrtensegler ist mir ein seinen Bestimmungszweck erfüllender Kühlschrank an Bord unbekannt. Er dient allenfalls als Abstellraum, als Lagerfläche für dies und das. Woher soll denn auch die Energie auf Dauer kommen? Janek kann das kaum glauben, dafür gibt es doch die Batterien und der Windgenerator läuft und überhaupt. Ja, stimmt, aber die Funke ist auch an, die Navilichter, das Radio läuft, hin und wieder Salonlicht, dann wird das Handy und der iPod geladen und dann noch die ganze Zeit der Kühlschrank? Das wird nichts werden, kann man leicht ausrechnen aber wir können es ausprobieren, wer weiß und ich lerne gern dazu.

Sämtliche Beleutung an Bord der Nis Randers ist auf energiesparende LED`s umgestellt. Trotzdem, um 5:00 Uhr piete das GPS Poweralarm - ab jetzt muss wohl der Joghurt etwas wärmer genossen werden. Ist ja auch besser für den Magen.

 

Meine Wachen verbringe ich mit Kurs abstecken, Navigieren, Windfahne ausrichten, Taklinge an Tampen setzen, Saubermachen, übergelaufenes Wasser vom Klo aufnehmen, Kochen und Abwaschen, Berichte schreiben und fotografieren. Es ist schön, der Bordalltag auf See. Ab und zu kommt die Sonne raus und an die niedrigen Temperaturen und die Feuchtigkeit habe ich mich gewöhnt.

 

Dann kam er endlich und er hörte nicht mehr auf. Wind aus NNO. Die Richtung ist zwar nicht ideal aber Hauptsache es bläst. Damit kann man arbeiten, damit kann man was anfangen.

19:49 • 55°10N / 004°06E
Nordsee • Niederlande
13 °C • • 250 Meilen bisher

Logbuch am 10.06.13

Modelfrühstück und Affenkotlett


 

Ich liege im Halbschlaf im Salon und versuche die Augen zuzubekommen. Es ist sehr dunkel, es ist sehr kalt, es ist sehr feucht und sehr klamm und es hupt.

Diese Heulboje klingt wie eine Kuh, denke ich und schlummer weiter. Es hupt wieder. Heulbojen werden von den auf- und absteigenden Wellen angetrieben und hupen und heulen so vor dich hin. Plötzlich kommt Janek aus dem Cockpit zu mir nach unten, greift das Handfunkgerät und geht wieder nach oben. Da ruft jemand, ich höre Stimmen! Ich nach oben, Rundumblick. Direkt neben uns und viel zu nahe ein... tja, ich würde mal Seelenverkäufer sagen. Ein Motorboot, wie ich sie aus dem Pazifik kenne. Name "Bounty 2" Heimathafen Panama. An die Seite hat jemand GUARD gepinselt.

 

Das Schiff

 

Über Funk ruft eine Männerstimme ganz aufgeregt die Nis Randers. "Nis Randers, what are you doing here?"

Also mal ganz ehrlich, soll man auf sowas antworten, ich meine, wonach siehts denn aus?

"This is a rectrictet area und ihr dürft überhaupt nicht hier sein. Warum seid ihr hier, warum?"

Zugegeben, wir haben die letzte Tonne vom gefühlt fünften Windpark, mit denen mittlerweile die ganze südliche Nordsee gepflastert ist, etwas geschnitten. Aber sich so aufzuregen ist nicht nötig; oh mein Gott, und jetzt ist er sich nicht zu blöde, sich komplett der Lächerlichkeit preiszugeben, kommt aus seinem Kabuff und droht uns mit den Fäusten, das ist doch jetzt wirklich ein bisschen peinlich.
Wir entschuldigen uns über Funk und die Reise geht mit 5 Knoten auf Kurs 290 Grad weiter. Danach Modelfrühstück und Affenkotlett - Kaffee, Zigarette und eine Banane, die Frucht der Stunde.
Den Tag über kombinieren wir unser Wissen. Janaek kommt vom Regattasegeln, ich bin der Langzeit- und Blauwassersegler. Er schnell, ich sicher und gemütlich. Das Ziel ist, schnell, sicher und gemütlich zu segeln. Also zuppeln wir an den Fallen und Schoten, ändern den Kurs, kneifen und knipsen, versuchen die Welle auszufahren und Druck ins Schiff zu bekommen. Schaffen wir auch, kommen eigentlich ganz gut voran, aber der Kurs geht dabei vor die Hunde. Naja, dann kreuzen wir halt weiter.

 

Am Nachmittag koche ich etwas für uns. Janek ist schon den ganzen Tag über sehr ruhig, er wird doch nicht krank werden?

 

Bis zu unserem nächsten Etappenziuel Peterhaed, sind es noch über dreihundert Meilen und wenn der Wind sich nicht dreht, werden wir für diese, verhältnismäßig kurze Distanz vier bis fünf Tage brauchen

 

In der Nacht Bohr- und Gasinseln, die so groß wie Städte sind. Sternenhimmel und Satelliten, so hell und klar, wie man sie nur in Gebieten ohne Lichtverschmutzung sehen kann.

19:12 • 54°30,9N / 005°13,4E
Nordsee • Deutschland
13 °C • • Meilen gesamt 202

Logbuch am 09.06.13

Losgemacht

 

Hafenmeister bezahlen, Wasser fassen, Treibstoff bunkern, Kanister mit einhundert Litern Flüssigwind an der Reling laschen.

Beim Anlegen an der Zapfsäule spricht mich eine Frau an:

"Hallo, ist Bernd auch da?"

Ich überlege, ob und woher ich sie kenne. Keinen Schimmer, nie gesehen.

"Ich bin Bernd", sage ich.

"Hallo, ich bin Astrit von der "Luna", kannst du dich erinnern?"

Und ob ich mich erinnerte!

Die Luna hat uns bis in die Karibik hinein bei der Weltumsegelung begleitet. Immer wieder mal haben wir uns mit der Besatzung locker getroffen und uns gegenseitig vor Anker liegend an Bord besucht. Das ist zehn Jahre her. Welch eine Freude, sie zu sehen. Und welch ein Zufall! Die Welt ist wirklich klein. Wir verabredeten eine Funkfrequenz, auf der wir uns am Nachmittag, wenn die Luna mit Ziel Kirkwall/Orkneys ausgelaufen ist, unterhalten wollten.

 

Um 15:00 Uhr legen wir dann endlich ab, tuckern langsam an den stolzen Seebäderschiffen , die zwischen Düne und Helgoland ankern, vorbei. Eines von ihnen, die "Lady von Büsum" wird Janeks Freundin Katrin aufnehmen und zurück in ihren Heimathafen zu fahren.

 

 

 

Nördlich von Helgoland entsteht ein riesiger Windpark, under constuktion. Lange bevor wir in die Nähe dieses Gebietes kommen, fängt uns der freundliche Funkruf eines Guard-Vessels ab. Er fragt nach unserem Ziel und gibt uns die erforderlichen Koordinaten, um den Windpark schnellstmöglich zu umschiffen. Segeln geht noch nicht, Wind kommt von vorn. Unter Motor fahren wir in Richtung Nordwest, als nach ca. zwei Stunden Fahrt (wir hatten gerade den Windpark passiert),das Heulen an der Welle wieder einsetzte, welches wir schon bei der Ausfahrt aus dem Fischereihafen hörten. Motor aus, Segel hoch, kreuzen. Warum auch nicht, sind ja ein Segelboot und Wind in Stärke drei war auch vorhanden.

Die Welle, die Motor und Schiffsschraube miteinander verbindet, befindet sich unter Janeks Koje. Um an sie zu gelangen, muss ein großer Teil seiner Klamotten und eine Matratze aus der Achterkajüte entfernt werden. Also an die Arbeit. Die Welle selbst war nicht warm dieses Mal, nur das Wasser, welches ich aus der Stopfbuchse drückte, fühlte sich warm an. Was ist das nur? Warum gibt es keine Schmierung. Ich demontiere den Zuführschlauch - frei, das Wasser läuft.

Ich bau alles wieder zusammen, überlegen könnnen wir später, Zeit haben wir dazu jetzt genug. Ca. 400 Meilen bis zur Nordspitze Englands, bzw Schottland liegen vor uns. Wir rechnen mit vier bis sechs Tagen, je nach Windrichtung und -stärke auch etwas mehr.

In der Nacht wird es kalt, wir frieren. Während im Rest Deutschland der Sommer ausbricht, haben wir klamme Feuchtigkeit und 10°C an Bord.

15:50 • 54°25N / 007°19O
Nordsee • Deutschland
13 °C • • Meilen gesamt 112

Logbuch am 08.06.13

Eine besondere Stimmung


    Die "Buden" im Unterland


    Der Guanofelsen

Die ganze Zeit, während wir im Zuge der Vorbereitungen Arbeiten am Expeditionsschiff Nis Randers gemeinsam zu erledigen hatten, lief das Radio, fröhliche Musik flutete das Schiff. Wenn der Sender nicht Vernünftiges zu bieten hatte, drehten wir weiter, bis wieder gute Musik kam.
Heute nicht, heute blieb das Radio aus. Wir unterhielten uns auch nicht so viel wie sonst, wir waren eher still. Janeks Freundin Katrin kam mit der „Lady von Büsum“ nach Helgoland um noch einmal Tschüss zu sagen. Ich ging gemütlich um die Insel spazieren und legte mich am frühen Nachmittag für ein paar Stunden schlafen. Es war ruhig auf dem Schiff, anders als sonst. Ich kenne diese Stimmung an Bord von meinen früheren Reisen, diese besondere Stimmung, in der jeder konzentriert, ruhig uns in sich gekehrt ist.

Wir legen morgen Mittag ab, Kurs Nordwest.

 
     Care-Paket von der Liebsten

Zwei Bücher, ein Fotoalbum, Talismane, Süßigkeiten, Instant-Kaffeepulver, Schokoküsse, ein Tagebuch und meinen geliebten Gewürzstreuer mit dem scharfen roten Zeugs drin. „Öffne den Karton erst, wenn du uns vermisst“, sagte Andrea, als sie ihn mir kurz vor der Abfahrt übergeben hatte. Ich sagte: „Danke, Schatz. Du bist lieb“ und dachte, dieser Karton ist aber sehr groß und sehr schwer und nicht völlig ungeeignet für einen Umzugswagen, aber nicht so sehr für ein Segelboot, wo`s auf Gewicht ankommt. Jetzt, wo ich ihn gemäß seiner Bestimmung und in Erfüllung der Bedingungen geöffnet habe, sage ich „Danke, Schatz, du bist lieb“ und denke, das ist mein Schatz, der so lieb zu mir ist.


    Das aktuelle Sat-Bild vom Packeis vor Ost-und Westgrönland

Ab morgen übernimmt Udo Biedermann, mein treuer Freund, der schon die Website der Weltumsegelung so souverän übernommen hat, das Einstellen der Tagesberichte. Wir versorgen ihn mit Texten und Bildern über das Satellitentelefon.

Gelaufene Meilen heute: 1,4

00:04 • 54°10 / 7°53
Helgoland • Deutschland
14,5 °C • 3-4 Beaufort • Erster im Päckchen

Logbuch am 07.06.13

Welkoam iip Lun

Piraten und Lotsen, Störtebecker und Ausbooten, Sansibar und Börteboote, Butter, Kaffee, Schnaps und Zigaretten, Café Krebs und Die Bunte Kuh, der Big Bang und die Düne und gerne immer wieder mal die falsche Windrichtung. Dazu die Lange Anna, im Päckchen liegen und Anlegegeschrei, DWD und AWI, Fischbrötchen an den Hummerbuden und – natürlich – Knieper, die Scheren der Krebse. Ein Kilo pro Person macht satt, dazu Büchsenbier den Hammer und die Wasserpumpenzange aus dem Werkzeugkasten und ab an den Steg - bon appètit.



Man kann sich Helgoland schönreden, keine Frage. Aber wir sind hier um zu bunkern - Diesel, Wasser und Getränke. Und wir warten auf das richtige Wetter für den Absprung in Richtung Nord, bzw. Nordwest. Zurzeit haben wir 5-6 Windstärken aus eben der Richtung in die wir möchten, das heißt warten und das Beste draus machen. Diesel bekommen wir an der Tanke, Wasser bei der Spundwand gegenüber aber das Wetter…hmm. Shipchandler Walter von Sailors-Helgoland, der uns die Getränke frei Bord ans Schiff liefert, meint, dass wir uns noch auf ein paar Tage Inselimpressionen einstellen können, Windänderung nicht in Sicht.

Thema Geld: In Grönland zählt die dänische Krone. Im Prinzip. Nach meiner Erfahrung ist der Euro neben dem Dollar in der Welt sehr gefragt. Dazu kommen die Visa-Karte, Master-Card, die Maestro-Karte und die nicht zu unterschätzende Währung Tauschwaren. Müsste reichen.
Janek und ich rechnen ab. In der Zeit der Vorbereitung haben wir Ausrüstungsgegenstände für den anderen mit gekauft und die großen Einkäufe hat oft einer allein bezahlt. Das haben wir heute auseinander getüdelt.

WhatsApp und Mobil-Phone hält ständigen Kontakt zu unseren Liebsten daheim. Gespräche, getauschte Bilder und Videos schaffen Nähe in der -noch nicht so großen - Ferne.

17:08 • 54°10 / 7°53
Helgoland Südhafen Ostmole • D
15 °C • 5-6 •

Logbuch am 06.06.13

Ablegen und Ankommen

Ablegen in Bremerhaven um kurz vor Mitternacht. Die große Doppelschleuse vom Fischereihafen öffnet exklusiv für die Nis Randers. Raus auf die Weser. Der Strom setzt ein, ablaufendes Wasser, sechs Stunden Ebbe. Nach ca. zehn Minuten Fahrt in der stockdunklen Wesermündung ertönte aus dem Schiff ein lautes metallisches Heulen, das der Besatzung den Schreck in die Augen trieb. Mein erster Gedanke: wir haben etwas in der Schraube. Gas zurück, Blick zurück ins Heckwasser, Licht über die Kopflampe, wir schleppen nichts hinterher.  Zweiter Gedanke: … mir fiel nichts ein, was diese Geräusch verursachen könnte. Dann war das Geräusch wieder vorbei. Was war das? Wieder Gas geben. Geräusch kommt wieder, viel zu laut um es zu ignorieren. Wir müssen runter von der Weser, raus aus der Strömung, hier ist es gefährlich. Wir fahren unter Heulen ein in die Schleusenvorkammer der Neuen Schleuse Bremerhaven und machen an der Spundwand fest. Unsere Überlegungen gingen von Getriebeschaden über Wellenschaden zu Stopfbuchse. Stopfbuchse, das ist es! Das Wellenlager ist wassergeschmiert und wohl trockengefallen beim Kranen.  Die Welle fühlte sich in Höhe der Buchse heiß an, hier lag das Problem. Durch leichten Druck auf die Gummimembran entwich heiße Luft bis Seewasser austrat. Nach einem Probelauf in den Festmachern an der Spundwand erklärten wir das Problem dreißig Minuten später für gelöst. Die Welle und die Büchse kühlten sich wieder ab. Die Fahrt ging weiter.

Hohe Weg Rinne, Leuchttum Roter Sand. Auf den Weg nach Helgoland hacken wir bei drei bis vier Windstärken gegenan durch die Nacht. Löwe Maximilian, unser Maskottchen von Kinderhospiz, sitzt vorn allein und verlassen an der Bugreling und schluckt kaltes salziges Nordseewasser. Das geht so nicht, tolle Aussicht hin oder her, ich kann mir das nicht lange mit angucken, schnappe die Schere und befreie ihn von seiner exponierten Position. Komm mal her, mein Kleiner, du bist nicht alleine, setz dich mal hier zu uns ins Cockpit unter die Sprayhood und mach es dir bequem. Wir passen auf dich auf.

 

Die ganze Nacht durchgefahren. In Helgoland angekommen schlafen wir bis in den Nachmittag hinein. Janek, der noch nie auf Helgoland war, entdeckt die Insel, während ich Berichte schreibe.



Die Überlebensanzüge werden in den Momenten benötigt, in denen keine Zeit zur Verfügung steht. Das Anziehen dieser Anzüge muss geübt werden. Das haben wir heute am Steg getan. Anziehen, sicher fühlen, ins Wasser springen, trocken und warm bleiben.

Janeks Bericht:

Angekommen

Nein, nicht in Grönland aber an Bord.
Ankommen an Bord ist genauso wichtig - wo steht die Zahnbürste, wo die Schuhe, alles findet seinen Platz, manchmal auch ungewollt mit Hilfe einer kräftigen Welle.

Auch wir sind endlich auf dem Wege des Ankommens.
Die letzten Wochen waren zäh, zwischen jedem Einkauf und gesetztem Häkchen an der To-Do-Liste wurden Tage gezählt, jedes Tschüss an der Tür eines der letzten, für alle kräftezehrendes Warten auf den 2 Juni, den Tag der Abfahrt.

Ablegen, wow, so viele Menschen und Interessierte, was für ein Abschied und wieder ein weiteres Ankommen an Bord. Unsere kleine Reise geht eben doch nicht in die dänische Südsee sondern ins Eismeer, nochmal: ins EISMEER!

Wir sind alleine, Bordroutine in unserer Zweisamkeit hält Einzug. Zweisamkeit ohne Probezeit, vorsichtiges Abtasten, Aufgaben verteilen, kennenlernen im Kerzenschein oder ganz einfach zum Team werden. Jeder Tag ist spannend, was denkst du darüber, wie schmeckt dir das – Ja, es schmeckt!

Der erste Schlag nach Helgoland war schön, zwar unter Maschine aber Hauptsache abgelegt und nicht mehr im direkten Einzugsbereich des Zuhauses. Nicht, dass es Zuhause nicht schön wäre aber das Warten auf den Abschied war gerade für unsere Liebsten fast unerträglich.

Jetzt können wir uns unserer Sache widmen, denn für den großen Einkauf ist es zu spät und vergessene Dinge bleiben vergessen. Ein befreiendes Gefühl, die Last, der Stress der letzten Wochen fällt und neue Gefühle fluten das Deck, wie wird es werden, Sehnsucht, Vermissen, wird alles gut gehen?

Erst jetzt bin ich bereit für eine lange Zeit Tschüss zu sagen, denn jetzt sind wir unterwegs, alles ist fertig, wir genießen den neuen Abschnitt unserer Reise und keine "haben wir etwas vergessen"-Gedanken belasten die Vorfreude auf das Abenteuer. Ich bin unabgelenkt um mich verabschieden zu können.

 Meilen heute 51

23:48 • 54°10,58N / 7°53,73E
Helgoland • Deutschland
16 °C • 3-4 Wind aus Nord •

Logbuch am 05.06.13

Jede Meile Zählt

Wir hatten die Leinen schon in der Hand um auszulaufen. Karsten vom Nachbarschiff bietet sein Hilfe an, sagt Tschüss und fragt, wo`s denn hingeht.
„Nach Hooksiel zum Kranen, wir müssen das Unterwasserschiff inspizieren, gucken, ob alles in Ordnung ist.“
Die Nis Randers liegt seit drei Jahren im Wasser, im Sommer unterwegs, im Winter eingefroren im Eis. Wer weiß, wie`s untenrum aussieht bei ihr, vielleicht hat sie ja einen Bart.
„Warum so umständlich, wenn ihr den Bewuchs entfernen wollt, fahrt doch einfach hier um die Ecke zur Fa. Inselmann, die kranen hier jeden Tag ein paar Mal. Ist im Fischereihafen, wartet kurz, ich ruf da mal an und melde euch an.“

Dann eben Planänderung. Zehn Minuten später waren wir unterwegs um vor der großen Doppelschleuse auf Einlass zu warten.

Im Fischereihafen entdeckten wir die „Alex“, die Alexander von Humboldt an einer Pier und bei dem Anblick blutete uns das Herz. Der einst stolze und gepflegte Dreimaster mit den grünen Fernseh-Werbung-Segeln gammelt und rostet dort vor sich hin. Dem Schiff fehlen entscheidende Klassenzertifikate um wieder auf Fahrt zu gehen und ob sie diese je wieder bekommen wird, ist fraglich.

 

Kurz nach dem Anlegen am Schwimmsteg kommt Erik mit seinem Kran und nimmt das Schiff aus dem Wasser.Gespannte Blicke, was erwartet uns? Sind die Borddurchlässe in Ordnung, haben wir Seepocken, Muscheln, Schäden am Rumpf oder gibt es gar Austern zum Dinner?

 

Erik verdient sein Geld unter anderem mit dem Kranen und dem Reinigen von Unterwasserschiffen. In diesem Fall allerdings ist mit der Nis Randers kein Staat zu machen. „Komm, den Zossen schmeißen wir gleich wieder rein“, entschieden wir gemeinsam, als das Tageslicht uns den sonst nur Kiemenatmern zugänglichen Teil des Schiffes offenbarte. Der Rumpf war sauber und ohne Bewuchs. Keine Schäden an Schraube oder Logge, nur ein Stück Tampen, der sich locker um die Schraube gewickelt hatte und sich leicht entfernen ließ. Alles gut.

Vorsegel anschlagen, Groß testen, Mast aufentern und Radarkabel schirmen war das Tagesprogramm für den Nachmittag.

Anschließend  ausruhen, telefonieren, versuchen ein wenig Schlaf zu finden. Um Mitternacht ist das Auslaufen in Richtung Helgoland geplant.

Meilen heute: 1, aber jede Meile zählt

Logbuch am 04.06.13

Schwarzbrot mit Mandeln, Dosenfleisch vom toten Rind aus Brasilien und Prollbier aus Hamburg. Lieblos verpackt und eingewickelt in Altpapier und Alufolie, eingetütet in einen fadenscheinigen Jutesack und unfachmännisch mit einem alten Schnürsenkel an die Reling der Nis Randers gebändselt. So fanden wir unsere „Reise-Notfallration“ heute Morgen vor, die uns Segler ans Schiff gebunden haben.  Verständlicherweise haben sie sich danach aus dem Staub gemacht. Keine Schokolade, keine Kekse oder Kuchen und nur 2 (in Worten: zwei) Bier! Also bitte, wir sind weder Hungerleider noch Kostverächter.
Nein, im Ernst: Danke, das war echt nett von euch und auch über den Brief haben wir uns sehr gefreut. Das Bier ist übrigens schon weg - war `n Notfall.
Aber Moment mal, haben die mein Schiff angefasst? Die zeig ich an!

Ich wusste, da war noch was. Heute fiel mir ein, was ich zu Hause vergessen habe. Blöd nur, wenn man kein Auto mehr hat. Bitte, fahr mich hin, lieber Taximann und mach’s nicht zu teuer. Bei der Gelegenheit auch gleich den Regler vom Windgenerator umgetauscht. Ich hatte keine Quittung bei, aber die Leute bei AWN waren unkompliziert und hilfsbereit. Andrea und Mathilda begleiteten mich zurück nach Bremerhaven Und weil ein Auto so schon bequem ist, haben wir auch gleich noch Getränke eingekauft.

Heute erledigt: Kajaks gelascht, Beiboot U96 gelascht, Windgenerator-Regler eingebaut (funktioniert genau so wenig wie der alte, mach ich was falsch?) und elektronische Seekarten gespeichert. Janek hat das Bodenbrett im Cockpit nachgearbeitet, Schapps sinnvoll gepackt und ein bisschen sauber gemacht.

Der Wind hat abgenommen und gedreht, morgen Mittag können wir mit der Ebbe raus.

Gesegelte Meilen heute: 0

Logbuch am 03.06.13

Willkommen an Bord

Nicht, dass uns das Geräusch schon jetzt auf die Nerven geht, nein. Noch nicht. Es ist halt ein nicht zu unterschätzender Unterschied, ob ein an Bord befindlicher Windgenerator bei Windstärke 6 auf deinem Nachbarboot faucht und zischt oder ob er auf deinem eigenen Schiff Windkraft in kostbare elektrische Energie umwandelt um sie in die Zellen der Batterie zu leiten, wo sie bis auf Abruf gespeichert werden. Was dort unerträglich erscheint, ist hier durchaus nicht unangenehm, im Gegenteil, das stört doch nicht wirklich jemanden, oder?
Am Steg brauchen wir den Quirl nicht, also schalten wir die Motorbremse ein, die man bei Nichtgebrauch, Wartungsarbeiten und/oder zu lauten Windgeräuschen an den Propellern am Regler betätigen kann, bzw. betätigen können sollte.
Kann man bei uns aber nicht, das Gerät ist defekt. Ich bau den Elektrokasten auseinander und klopfe vorsichtig gegen das verbaute Relais (und nein, ich habe nicht darauf geschlagen). Jetzt funktionierte die Bremse. Aber nur einmal. Danach sprang der Generator nicht mehr an. Morgen Umtausch in Bremen. Das Wetter lässt das zu, wir kommen eh noch nicht weg.

Den Tag verbringen Janek und ich mit puzzeln, wie man das Arbeiten am Boot im Hafen nennt. Das heißt, Janek hat gearbeitet - ich hab meine Sachen eingeräumt, E-Mails beantwortet und Berichte geschrieben.

Gaby Letzing vom Kinderhospiz hat ihn uns als Maskottchen übergeben und wir haben für ihn einen Ehrenplatz bereitgehalten. Zwar wird er ganz vorn im Bugkorb die Welle als erster abbekommen, aber dafür hat er auch die beste Aussicht von uns allen und er sieht das Land als Erster - ein taffer kleiner Löwe mit viel Herz mit dem schönen Namen Maximillian Löwenherz. Willkommen an Bord, kleiner Freund, wir wünschen dir eine schöne Reise.

 

23:10 • Wie gestern / "
Bremerhaven • D
16 °C • bis 20 Knoten •

Logbuch am 02.06.13

Abgelegt

In der Nacht von Samstag zu Sonntag konnte ich nicht schlafen. Haben wir an alles gedacht? Nein, bestimmt nicht, aber was haben wir vergessen? Egal jetzt, dann müssen wir eben ohne es auskommen, nachkaufen oder organisieren.
Wir wollten uns um neun am Boot treffen aber ich war unruhig und schon um sieben da. Ich brachte meine Klamotten und Fotosachen den Steg runter an den Liegeplatz der Nis Randers. Als dann alles vor dem Schiff lag, fragte ich mich, wie das da noch alles reinpassen soll.
Es passte zwar, bzw. es ging hinein, einsortieren müssen wir aber später. Jetzt erstmal ablegen.

Alle sind gekommen. Familie, Freunde und Bekannte, die z.T. große Wege in Kauf genommen haben um uns zu verabschieden und Glück zu wünschen. Care-Pakete von beträchtlicher Größe wurden übergeben und Maria hat mir noch ein Gedicht an Bord geschrieben.

Wir konnten es am Sonntag nicht so deutlich sagen, der Abschied war einfach zu überwältigend, darum sagen wir es hier und jetzt: Danke. Danke fürs Kommen, für die Geschenke und für die Glückwünsche. Ein großes Dankeschön aber auch an die "Mitmacher", die Spender, die sich nach der Berichterstattung in den Medien bei uns gemeldet haben um sich an dem Spendensegeln für das Löwenherz-Hospiz zu beteiligen. Übrigens kann man auch nach dem Start jederzeit bei der Spendenaktion einsteigen. Einfach E-Mail an info@mansholt.de Betreff Löwenherz und Name hinterlassen. Bitte kurz mitteilen, wenn ihr auf der Website nicht genannt werden möchtet. Wir mailen euch dann nach der Reise an und teilen die gesegelten Meilen mit. Jeder entscheidet dann selbst, wieviel pro Meile er geben möchte. Kann man ruhig mitmachen, ist eine gute Sache.

Kurz nach zwölf abgelegt. Die Oldenburger Eisenbahnbrücke öffnete ohne Funkanruf und auch an der Hubbrücke in Huntebrück und der Eisenbahnbrücke in Elsfleth hatten wir keine Wartezeit. Auf der Weser dann auf die Nase. NNW 5-7 Wind gegen Strom. Unter Motor gegenan gehackt. Heute würden wir nicht auf die Nordsee rauskommen. Kalt wars unterwegs. Nach sechs Stunden Fahrt legten wir in Bremerhaven im Neuen Hafen an.

Die Wettervorhersagen für die nächsten Tage sagen Wind aus der gleichen Richtung mit der gleichen Stärke voraus. Das gibt uns Luft um liegengebliebene Sachen am Steg liegend zu erledigen und Überflüssiges, wie z.B. die FlipFlops, die ein Besucher bei uns an Bord vergessen hat, auszusortieren.


Der Kompass deutet schon den Generalkurs: Nord

 

Am Samstag, also nur wenige Stunden vor der Abfahrt, hatten wir die Idee, am Schiffsrumpf noch die Tour und die Website mit Klebebuchstaben anzubringen, also "Grönland 2013" und "www.WirHauenAb.de". Weil wir aber überwiegend im Ausland unterwegs sein werden, dachten wir, es wäre schlau dies zu internationalisieren und aus Grönland Greenland zu machen. Gedacht, gemacht.
"Das mach ich euch schön in weiß, Arial bold. Könnt ihr in `ner Stunde rausholen, Rechnung schick ich dir in den Laden.", sagt der Ladeninhaber, der uns den Auftrag abgenommen hat.

Am Sonntagmorgen um 10:30Uhr, kurz vor dem Start, klebten wir hastig die Buchstaben an den Rumpf. Ausmessen, soll ja schön mittig sitzen, und gerade solls auch sein, ja, so ist`s gut, jetzt ran damit.
Mit drei Mann waren wir in Gange, einen Schritt zurückgetreten und das Werk bewundert, toll. Und die Zuschauer alle Ahh und Ohh, sieht super aus.


Die Nis Randers in Bremerhaven

Sieht wirklich gut aus der Aufkleber und so professionell. Einfach Klasse. Für die zweite Bugseite hatten wir dann keine Zeit mehr, das wollten wir dann später irgendwann machen.

Heute morgen dann die E-Mail von Matthias: Alles Gute auch von mir, aber wenn ihr die zweite Bugseite beklebt, dann macht euch nicht so viel Arbeit, lasst bei Greeenland doch einfach mal ein E weg.

Ich habee mir diee Mail nun schon dreei Mal durchgeeleeseen, abeer ich kapieer eeinfach nicht, was eer uns damit sageen will.

Zum Glück war die Schrift nicht auf der Seite, wo unsere Leute zum Verabschieden standen und Fotos machten. Wie peinlich wäre das denn gewesen!?

Meilen bis heute: 31,65 (es zählen übrigens auch die Meilen unter Motor ;-))

23:11 • 53°32,9N / 008°34,2O
Bremerhaven • Deutschland
18 °C • bis 28,2 Knoten • Marina Neuer Hafen

Logbuch am 01.06.13

Die letzten Stunden

Lokaltermin ALDI und REAL, Oldenburg Etzhorn. Wir hatten vier 1-Euro-Stücke für die Einkaufswagen, einen leeren Wagen, einen leeren Anhänger, eine leere Schubkarre und drei Stunden Zeit. Die Einkaufsliste hatte Janek auf seinem Tab dabei. Magst du dies, ißt du das gern? Edelslamie? Klar gern und für die Nachtwache Cashew-Kerne. Wieviel? Zwei mal. Zwei Dosen? Zwei Paletten!

630 Euro nur bei ALDI. Der Plan war, für eineinhalb Monate einzukaufen. Gutes Essen ist wichtig, Goodies halten die Moral hoch und bringen ganz einfach Lebensfreude. Falls wir heute nicht alles richtig gemacht haben, ist es ja auch so schlimm nicht. Es gibt noch Einkaufsmöglichkeiten auf Helgoland, auf Island und in Nuuk, der Hauptstadt von Grönland. Aber nördlich von dort wird es knapp werden mit der guten Versorgung. Mal abgesehen von Fisch.
Schnell noch zu REAL und zum Baumarkt wegen der Gasflaschen, so das wars. Alles auf den Anhänger und hoffen, dass es nicht regnet.

Das Verstauen der Lebensmittel auf dem Schiff wird von einem NDR-Kamerateam begleitet. Immer wieder kleine Arbeitsstopps wegen Fragen und Interviews. Aber die Leute sind nett wir machen mit. Der Kameramann ist selbst Segler und war schon viel unterwegs.

Morgen legen wir ab und ich muss noch Klamotten packen.


Mathilda, Maria und Mike mit dem Kassenbon vom ALDI

Logbuch am 31.05.13

Farewell

Steht man im Cockpit und schaut nach vorn, kann man nicht sehen, was vor dem Schiff passiert, denn man sieht man auf den blauen Stoff der Sprayhood. Man muss sich bücken, um durch die Fensterfolie zu sehen, oder auf Zehenspitzen stehen, um oben drüber zu schauen. Die Sprayhood macht so keinen Sinn und an Sachen wie diesen merkt man, dass Schiffe dieser Art in der Halle verkauft werden. Janek und ich fertigen uns also ein Bodenbrett, um hinter dem Steuerrad höher stehen zu können. Nicht schön aber günstig, effektiv und schnell.
Den Rest des Tages verbringe ich in der Goldschmiede und erledige letzte Aufträge und delegiere.

Später testen Janek und ich die Verbindung mit den Sat-Handy und dem Computer. Die geforderten Eiskarten sowie Wetter/Winddaten werden nach der ersten Anfrage geliefert, die Verbindung steht. Wie teuer dieser Service sein wird, konnten wir noch nicht feststellen.

Abends Bratwurst und Brot, Bier und Wein und Gitarre am Lagerfeuer. Farewell-Party mal ganz spontan.  

Logbuch am 29.05.13

Endspurt

In vier Tagen geht es los.
AWN und SVB in HB = km auf der BAB. Gleichzeitig UPS und DHL in OL, GPS und SAT aus dem ALL, VISA von der LZO und ONSATMAIL eingerichtet über den TEAMVIEWER von SHIPSHOP. LED`s, SIKA, Trockie, Sprayhood, Oel- und Fuelfilter, Impeller, Sailing-Boots, Fleece-Body, Neo-Cap, Spare-Parts-Kits für den YANMAR und Compie einrichten wg. Mails und Navis-Progs, Mails und Interviews mit Radio-Bremen-4 - es wird speziell, es geht dem Ende zu. Es fehlen noch einige Medikamente vom DOC und der Großeinkauf bei REAL am Samstag.

 
Mathilda hilft beim Einrichten des Sat-Handys.

In der Goldschmiede werden Anfertigungen und Reparaturen abgeholt, mit dem Hinweis, "Wir wünschen ihnen wirklich viel Glück und Erfolg, aber - nichts für ungut- wer weiß, ob sie wieder zurückkehren". Das lass ich hier mal unkommentiert.

Währendessen wird an Bord gearbeitet. Janek hat keine Probleme damit, die Deckenverkleidungen komplett zu demontieren um Kabel für das Radar und den Windgenerator zu verlegen. Was zunächst auf den Fotos wild aussieht, wird am Ende gut werden.

 

Das tägliche Arbeitspensum zur Zeit beinhaltet gleichzeitig ein Schlafentzugs-Training für die Tage auf See.

01:10 • /
Oldenburger Stadthafen •
15 °C • Windstille und Sonne • Wetter zum Kajaken

Logbuch am 24.05.13

Das Wichtigste zuerst: Das Banana-Boat kommt mit!
Die Entscheidung ist eigentlich schon vor einigen Tagen gefallen, aber sie ist jedoch erst jetzt so richtig bei mir angekommen. Das Banana-Boat, alias Mördermuschel, alias B-Boat, alias B-Boot, alias U96 wird uns nach Grönland begleiten. Ich liebe dieses Beiboot! Es ist das beste, was man sich als Langzeitsegler wünschen kann. Es erfüllt nämlich einen entscheidenen Punkt im Leben eines Langzeitseglers: es lebt eine lange Zeit. Zugegeben, meinem fehlt es zur Zeit an Dollen und Riemen - die sind irgendwo auf diesem Planeten verloren gegangen, aber das kann man besorgen oder nachbestellen.

An Bord eines Segelschiffes benötigt man neben einem Schiff auch Segel und Taue, die diese am Schiff halten und in die richtige Position bringen.


Deja Vu. Vor neun Jahren bereits stattete uns die Oldenburger Tau-und Netzwerkfabrik Kremmin großzügig mit Tauwerk fürs Schiff und Netzen zum Fischfang aus. Inhaber Dr. Hannes Kremmin ist auch bei meiner jetzigen Unternehmung Sponsor und versorgt uns nach einem Rundgang in seiner Fabrik mit Tauwerk.

Den Rest des Tages verbringen Janek und ich mit der Installation des Windgenerators. Insgesamt fast vierzig Meter Kabel verlegen Janek und ich, bis das Kraftwerk am Heck montiert und zum Probelauf bereit ist. Alle Kabel richtig gepolt und der Regler montiert - wir sind gespannt auf den Probelauf. Doch dann - Windstille.

 

Logbuch am 23.05.13

Wer etwas Besonderes erleben will, der muss auch etwas Besonders leisten. Soweit so gut und auch nachvollziehbar. Ist aber dann der Umkehrschluss: Wer Besonderes leistet, wird der dann auch mit etwas Besonderem belohnt? Hm, ob das wohl immer jedem vergönnt ist?

Gestern: Zwei Stunden im Mast gehangen um das Radar anzubringen. Janek sichert mich am Seil und gibt Werkzeug an. Den Rest des Tages damit verbracht, das Signalkabel und das Stromkabel zu verlegen. Janek ist findig, geduldig, aufmerksam, zuvorkommend und sehr freundlich - es macht viel Spaß mit ihm das Schiff fertig zu machen. Mir ist bewußt, dass es auch anders laufen könnte.

Zehn Tage bis zum Ablegen. Ich bin sehr aufgeregt und denke ständig daran etwas zu vergessen oder nicht mehr rechtzeitig erledigen zu können. Pendle zwischen Haus, Laden und Boot. Wenn noch etwas bestellt werden muss, dann jetzt. Das Finanzamt will was wissen, ich brauche noch Winter-Klamotten, das Sat-Handy ist noch nicht da, die Speicherchips sind noch voll mit alten Daten und die Sprayhood muss nachgenäht werden. Sonst noch was?

Logbuch am 20.05.13

Janeks Logbucheintag:

Die erste Woche an Bord war eine tolle Abwechslung und irgendwie auch ein inoffizieller Startschuss für unsere Reise.

Einige festsitzende Sorgen in diversen Abflüssen, konnten wir, wenn auch mühsam, lösen und können uns nun, bereichert an Erfahrung, der eigentlichen Reiseplanung widmen.

In Kiel habe ich gestern die ersten Seekarten gekauft und, zusammen mit den Revierhandbüchern, können wir nun die Reiseziele konkretisieren und erstmals auf eine Karte bringen. Auf dem Übersegler "Westgrönland" habe ich die mittlere Eisgrenze eingezeichnet und No Go Areas markiert und gehe nun von Süd nach Nord die Handbücher durch, immer auf der Suche nach vielversprechenden Revieren, Buchten, verlassenen Siedlungen oder eben auch nur Häfen für den Notfall.

Und, es sind viele Fjorde und verlassene Siedlungen, die immer mit Wörtern wie 'beeindruckend' oder 'spektakulär' beschrieben sind.

Wir werden uns also oft entscheiden müssen, wo wollen wir hin und was wollen wir sehen, denn die Fjorde, Inseln und  Möglichkeiten erscheinen jetzt schon auf der Karte endlos.

Ab Montag bin ich wieder für die gesamte Woche an Bord. Wir werden uns mit dem zu installierenden Radar und der Windanlage beschäftigen, kleinere Probleme beheben und gemeinsam die Bücher durchstöbern.

Isomatten, Frischwasserpumpe und immer noch mehr Segel: Bernd und Mark bringen Zeugs an Bord.
Leinenkontrolle bei Niedrigwaser - alles gut, das Schiff bewegt sich locker im Schlick.
Die Frischwasserpumpe ist innerhalb von zehn Minuten montiert. Probelauf. Pumpt.
Und pumpt. Klar, dauert etwas länger, weil das gesamte Schlauchsystem ja gefüllt werden muss.
Es pumpt immer noch, hm, ist das normal? Wird wohl, der Boiler will ja auch gefüllt sein.
Es pumpt immer noch. Ne, das ist nicht normal. Oder doch?
Ich klapp den Niedergang nach oben, Motorraumkontrolle. Voll Wasser, na klar, Geschmacksprobe, Süßwasser (was hatte ich denn wohl erwartet in der Hunte?). Dann fällt mir das Ablassventil am Boiler ein, welches ich über den Winter geöffnet hatte, damit kein Schaden durch Eisbildung eintritt. Der Boiler befindet sich im Heck unter Janeks Sachen, unter Matratzen, unter Brettern, also neben der Mastspitze der am schwersten zu erreichende Punkt am Schiff.
Davon die Laune verderben lassen? Kein bisschen.

Logbuch am 16.05.13

Im Heimathafen

Leinen los um neun, durch die Schleuse am Neuen Hafen in Bremerhaven um halb zehn. Zehn Minuten später schwimmt die Nis Randers auf der Weser bergauf in Richtung Süd. Nein, das ist nicht die falsche Richtung, wir nehmen nur Anlauf. Das Schiff wird verholt über Weser und Hunte nach Oldenburg, unserem Heimat- und Ausrüstungshafen, sowie Startpunkt der Grönlandexpedition am 2. Juni. Es ist die erste gemeinsame Fahrt von Janek und mir, alles läuft gut und nach Plan. Naja, fast alles: Ruder im Fahrwasser durch versehentliches Betätigen des Autopiloten blockiert; in der Hunte dann: "Du, ich glaub` ich hab mich verfahren", hm, war die Brücke eigentlich schon immer hier oder ist die neu?; einem Angler über die Leinen gefahren; ein Binnenschiff gerammt (`tschuldigung Cetera); kurz vor dem Steg des Oldenburger Yachtclubs auf Grund gelaufen und nach allen Regeln der Kunst das Gesicht in der Sonne verbrannt. Warten auf Hochwasser an der Spundwand und schnell noch mit dem Fahrrad zum Zahnarzttermin. Um 19:00Uhr liegen wir am Steg, ich bin so fertig, dass ich kaum noch die Fender richtig festmachen kann, warum hält der Webleinensteg an der Aluschiene nicht?

Während ich nach Hause fahre, hält Janek in dieser Nacht Leinenwache an Bord. Um 3:45 Uhr ist Niedrigwasser und wir haben nicht genug Wasser unter dem Kiel, werden also bei Niedrigwasser aufsitzen. Aber der Hafengrund besteht aus weichem Schlick, der Kiel gräbt sich ein, das Schiff sitzt gerade und die Leinen passen.

01:25 • /
Im Oldenburger Stadthafen •
15 °C • •

Logbuch am 15.05.13

Ein Scheißtag

Ein Fäkalientank an Bord eines Schiffes ist im Prinzip eine feine Sache. Du musst nicht mitten in der Nacht oder früh am Morgen zum Hafenklo rennen, sondern erledigst dein Geschäft direkt an Bord, zündest ggfs. ein Streichholz an, pumpst dir zum Spülen ein wenig Wasser aus dem Hafenbecken und übergibst die ganze Chose dem 90-Liter-Tank um mit ihm entweder auf Hoher See über den Ablasshahn die Fische zu füttern oder ihn bei der nächsten Entsorgungsstation mit einem Absaugschnorchel absaugen zu lassen.
Keine Chemie, keine zusätzlich versauten Hafenbecken und fette Fische. Was will man mehr? Ist simpel, klingt gut, ist gut.
Nein, es wäre gut, wenn alles so läuft wie beschrieben. Wenn der oben beschriebene Kreislauf jedoch durch z.B. unvorhergesehene Ereignisse unterbrochen wird, bricht das System zusammen. Diese könnten beispielsweise sein: Man öffnet fröhlich vor sich hin pfeifend auf See den Ablasshahn und nichts fließt hindurch. Oder man sucht eine Entsorgungsstation, die Lust hat, ihren Rüssel in den Tank zu stecken um ihn abzusaugen, aber man findet keine, bzw. man findet schon welche, aber bei denen ist seit Jahren das Gerät "defekt".

Die NIS RANDERS liegt seit der letzten Saison mit einem vollen Tank Scheiße im Wasser. Keine Absaugstation, kein Abfließen durch den Ablasshahn. Im Winter hatten wir bis zu -20°C und der Tank und meine Fantasie beulte sich schon etwas aus.

Janek und ich fanden, dass es eine gute Idee wäre, vor dem Auslaufen in ferne Länder für einen freien Ablauf zu sorgen. Irgend etwas saß vor dem Ablassventil und verstopfte ihn. Das musste weg. Also machten wir uns an die Arbeit. Erst mit Druckwasserpumpen, gerümpften Nasen und spitzen Fingern; später mit hochgekrempelten Ärmeln und an Besenstielen mit Kabelbindern und Tape befestigten Gabeln der Bordküche, an denen wir die Zinken zu einer Art Haken verbogen. Wir gaben uns ganz dem Problem hin, tauchen ganz tief in die Materie ein bis schließlich Janek auf die Idee kam, mit der Handykamera in das Reinigungsloch zu fotografieren und ran zu zoomen. Dort sah er etwas Merkwürdiges, das für mich allerdings aussah wie alles andere in dem Tank: schon mal gegessen. Für ihn jedoch war die Sache klar zu erkennen:
"Das ist eine Gartenspritze", rief er aus.
"Eine was? Zeig noch mal her." Ich erkannte nichts in der braunen Soße.
"Da ist eine Gardena-Gartenspritze drin", wiederholte er. "Die schwimmt auf und wir können sie von oben rausnehmen, wenn wir den Tank jetzt ganz voll machen", schlug er vor.
"Ich muss aber grad nicht. Du?"
Wir füllten den Tank mit Wasser und entnahmen das Teil. Es musste sich durch seine Form immer wieder vor den Abfluss gelegt haben. Wie sie dort reinkam? Wahrscheinlich ist einem Vorbesitzer beim Ausspritzen des Tanks die Spitze abgefallen und ist seither dort drinnen. Das würde auch erklären, warum es immer mal wieder Probleme beim Ablassen gab.

Den Rest des Tages feierte ich den Erfolg unter der Dusche.

PS Bei dieser Reparatur konnten wir nicht immer ganz vermeiden, dass geringe Mengen stickstoffhaltiger, überriechender, halbfester Flüssigkeit natürlichen Ursprungs ins Hafenbecken gelangte. Da es jedoch in Bremerhaven keine Entsorgungstation gibt und mit jeder Tide einen Austausch mit Nordseewasser im Hafenbecken gibt, hielten wir unser Vorgehen für nicht unangemessen. Die Spritze kommt in den Sondermüll.

Logbuch am 14.05.13

Es ist Leben an Bord

Um 15:00 Uhr trifft Janek in Bremerhaven am Schiff ein. Er wird ab heute an Bord wohnen. Ich bin etwas früher angekommen um aufzuräumen. Janeks Auto ist mit persönlicher Ausrüstung beladen - wir müssen ein paar Mal laufen um alles an Bord zu bekommen. Seine Bücherkiste gehen wir als erstes durch, interessiert dich dies?, hast du das schon gelesen?, vielleicht, ja, nein, weg damit.
Nach dem Füllen der Süßwassertanks stellen wir fest, dass die Pumpe für die Frischwasserversorgung defekt ist. Die machte schon länger Zicken und da ich das Reparieren von Pumpen schon vor Jahren aufgegeben habe, fotografierte ich das Typenschild und bestelle eine neue.

Wir gehen die to-do-list durch und streichen und erweitern um den einen oder anderen Punkt, räumen auf und quatschen.
Und wir checken uns ab. Denn im Grunde wissen wir nur das von einander, was wir dem anderen von uns erzählt haben; was wir möchten, was der andere über uns weiß. Einen wir-segeln-mal-zusammen-und-lernen-uns-dabei-ein-wenig-besser-kennen-Treff im Oktober letzten Jahres konnten wir wegen eines Sturmes nicht antreten.
Bis jetzt stimmt die Chemie zwischen uns und ordentlich segeln und uns gründlich kennen lernen werden wir ja auch bald.

Logbuch am 06.05.13

Er ist schwer und er ist wasserundurchlässig. In 24 Stunden verliert er weniger als 5% seiner Auftriebskraft. Er ist teuer, er ist knallrot und er ist verdammt warm.
Der Insulated Immerions Suit oder Der marine Überlebensanzug. Er soll verhindern, dass sich die menschliche Körpertemperatur allzu schnell mit der des ihn umgebenen Wassers angleicht, sprich, er soll dich möglichst warm halten, wenn du in den Bach gegangen bist und zwar so lange wie irgend möglich (Absenkung der mittleren Körpertemperatur weniger als 2°C nach sechs Stunden im 0°C bis 2°C kaltem Wasser).

Es ist der wämste Tag im Jahr und es ist mittags. Ich stehe im Garten in der prallen Sonne und pelle mich in siebeneinhalb Kilo Neopren um die Funktionsfähigkeit des Anzuges und die Anzuggröße zu testen. Ich benötige zwei Minuten und Mikes helfende Hände um ihn anzutröllern. Weitere dreißig Sekunden später ist der Anzug, ganz entgegen seiner ursprünglichen Bestimmung, von innen mit Salzwasser benetzter als er es von außen vermutlich je sein wird. Er hält wirklich sehr, sehr WARM!



Der Anzug ist für den Notfall gedacht, für Situationen im Zusammenhang mit drohenden Schiffsverlust und/oder Abbergung durch Hubschrauber oder helfenden Schiffen.
Ich habe den Anzug getestet. Die Größe stimmt, die Farbe steht mir. Ich möchte ihn nie wieder tragen müssen.

Das gute alte Banana-Boat mit der Besegelung. Der treue Petroleum-Druckkocher der mir zur Begrüßung einen Schluck Kerosin über die Hand gießt. Der Bootshaken mit der praktischen Halterung für Karabinerhaken. Die Zeisinge, denen ich im Pazifik Taklinge aufgesetzt habe und die Fischreuse von der Oldenburger Tau-und Netzwerkfabrik Kremmin. Das Werkzeug, die Riemen, die Harpune, die Ersatzteile, das Nähzeug, der Kompass, der Sextant, die Seekarten.
Seit mittlerweile ein paar Jahren schon waren diese Ausrüstungsgegenstände nach der Weltumsegelung bei einem guten Freund auf dem Dachboden eingelagert. Jetzt, nachdem der Umzug ins neue Haus hinter uns liegt, habe ich selbst ausreichend Platz für das Geraffel und eingeschworene Weggefährten können Wiedersehen feiern. Einiges von dem Material wird uns auf der Nis Randers auch nach Grönland begleiten.

17:47 • /
Oldenburg •
24 °C • Blauer Himmel, Sonnenschein •

Logbuch am 11.04.13


Janek nutzt jede Gelegenheit zum Üben. Das Gute am kajaken auf Eis ist, man fällt nicht ins Wasser.

Radar anbauen und Solarzellen installieren, Windgenerator anbauen und Systemcheck durchführen, verstopften Fäkalientank vom Inhalt befreien, Ersatzteile und Proviantliste, Flaggenzertifikat und Waffenschein, Pyrozeugs und Unterwasserschiff, Seile und Blöcke besorgen, Teppichboden rausreißen und Wände streichen, Laminatverlegen und ... Halt!, das letzte ist privat. Am 1. April bekamen wir die Schlüssel zum neuen Haus, Anfang Mai ziehen wir ein. Bei freier Auswahl hätten wir den Termin gern anders gelegt.

11:36 • /
Oldenburg •
10 °C • Erst Nebel, später Regen •

Logbuch am 26.03.13

 

Zustand fast neuwertig, mit vier Meter achtzig zwar grenzwertig lang aber mit nur sechzehn Kilo auch unschlagbar leicht. Carbonfasern und das Finish in Gletscherblau - Janek schickte mir den Link zu dem Angebot bei ebay-Kleinanzeigen per E-Mail: "Zwei Kajaks zum Preis von einem! Standort Oldenburg."

Angerufen, hingefahren, gekauft.

Zur Probefahrt dann an die Hunte
"Hast Du `ne Schwimmweste?"
"Ich habe sechs - aber in Bremerhaven auf der Nis Randers"

Also oben ohne aufs Wasser. Janek hat wenigstens einen Trockenanzug bei. Er hatte schon, wie berichtet, ein paar 25-Grad-Wassertemperatur-im-Schwimmbecken-plus Neoprenanzug-Trainingsstunden im Kajak hinter sich gebracht und weiß wie kippelig die Dinger sein können. Leider erzählte er mir das; ich muss nicht immer alles wissen.



Ich machs kurz: Minusgrade und dickflüssiges Wasser aber die Kajaks sind klasse. Sie sind leicht, schnell und bequem. 150 Kilogramm Zuladung und wendig durch Ruderanlage. In diesen Untersätzen wollen Janek und ich Fjorde, Eisberge und Gletscherkanten in Grönland erkunden.
Unsere Sorge gilt jetzt der sicheren Lagerung an Bord der Nis Randers. Die Kajaks sollen vorn an der Reling gesichert werden, so die vorläufige Planung. Ausgemessen hatten wir vor einiger Zeit vier Meter fünfzig Platz für Beiboote. Unsere haben jetzt 4,80 Meter. Das wird mal knapp werden! Außerdem dräut die Gefahr überkommender Wellen auf See, denn bei allen Vorteilen dieser schnittigen Beiboote: sie machen einen sehr zerbrechlichen Eindruch auf uns.

11:59 • /
Oldenburg •
- 2 °C • Eisiger Ostwind •

Logbuch am 05.03.13

Alles neu!

Der Segler Matthias Jung von der Werbeagentur Jung mailte mich vor knapp acht Wochen an und fragte, ob er mir vielleicht beim Aufbau einer neuen Website unter die Arme greifen könnte/dürfte. Anschließend hatten wir ein längeres Telefonat und ich betone hier an dieser Stelle ausdrücklich, dass er NICHT gesagt hat, dass meine Website Scheiße aussieht, nein, das hat er nicht gesagt.
Jedenfalls nicht so.
Aber er hatte ja recht, mir gefiel sie auch nicht. Ich selbst war schon mittendrin im Umbau und kam einfach nicht weiter mit den CSS`s und den DIV-Containern und vor allen Dingen mit der Video-Wiedergabe in allen Browsern.


Ich sage Tschüss zur alten Website, gewöhne mich an die neue und fülle sie mit Leben. Danke nochmals an die Werbagentur Jung

Wir suchen noch immer Kajaks. Die Marke Prijon kommt dabei immer mehr in die engere Wahl. Bei mir ist es das Yukon Expedition. Große Zuladung, relativ kippsicher und dabei noch einigermaßen schnell. Bin gespannt, was mich am Ende in Grönland an Land trägt. Denn da gibt es ja noch das gute, alte Banana-Boat in der Garage...

Heute Morgen wieder Eis gekratzt, es war diesig, trüb, kalt und ungemütlich. Ich mag nicht mehr, das erste Mal im Leben bin ich Wintermüde, des Winters müde. Der Januar 2013 war der Monat mit den wenigsten Sonnenstunden seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Ich merk das, ich brauch` Vitamin D.
Ob bei diesen Befindlichkeiten Grönland die geeignete Destination für einen längeren Aufenthalt ist? Ja, das ist sie! Denn jenseits des Polarkreises geht die Sonne im Sommer bekanntlich niemals unter.

12:43 • 53°11'21.06N / 008°12'07.02E
Oldenburg • Deutschland
Luft 4 °C • 3 Bft aus NNO • Welle 0,5

Logbuch am 01.03.13

Tagesbericht von Janek:

Wie schwer kann Kajak fahren sein?

Nicht schwer, zumindest dachte ich es…

Letzte Woche habe ich den Selbstversuch gewagt und zwar bei einem Kentertraining des FPF (Flensburg, Paddelfreunde e.V.) in einer Schwimmhalle Schleswigs.

Den FPF hatte ich vor einem Monat via e-mail angesprochen und gleich multiple Antworten bekommen, denn einfach ein Boot kaufen und dieses aufs Deck der Nis Randers laschen, das wollte ich nicht.

Also, auf nach Flensburg, Hallo gesagt und im Konvoi nach Schleswig gefahren. Dort wurden vier Kajaks in die Halle verbracht, wohlgemerkt nur die Kajaks, die Paddel brauchten wir vorerst nicht.
Der Neoprenanzug wurde angezogen und plötzlich sah ich mich in einer Situation, die mir grundlegendes Unbehagen bereitet – das „im und unter Wasser sein“. 

Dabei war der Anfang harmlos, unsere kleine Truppe startete mit der Übung „Einsteigen“ und ich war überrascht, die kleinen Boote sind wirklich kippelig!
Nachdem ich dann eingestiegen war und eine Einweisung bekommen hatte, kam dann auch gleich das befürchtete Kommando „ und jetzt umkippen“.
Ich und kentern? Dabei bin ich doch der klassische Badeleiterbenutzer und tauchen liegt mir erst recht nicht, Wasser in den Augen ist „worst case“.  Kurz gesagt: Ich bin verdammt wasserscheu.
Und überhaupt „Umkippen“, das heißt ja kopfüber in einem gekenterten Boot hängen, warum hat mir das eigentlich keiner vorher gesagt!?
Aber genau das war ja das Ziel, die Scheu zu verlieren, den Umgang mit einem Kajak zu erlernen und die grundlegende Praxis zu verinnerlichen.
Nach einem kleinen Kampf mit mir selbst hatte ich dann schnell die erste „Taufe“ hinter mir
und nach der zweiten hat es sogar Spaß gemacht – mehr davon! Kentern ohne Spritzdecke, Kentern mit Spritzdecke – ich war dabei über und unter Wasser!

Erlernte Grundlagen dieses 2- stündigen Badevergnügens waren:

- Kentern in allen Varianten

- Eigenrettung nach der Kenterung

- Fremdrettung, wenn einer von zweien gekentert ist

- Das Einsteigen an einer vorerst benutzerfreundlichen Schwimmbeckenkante

- Das Lenzen des Bootes im Team

Und was ist mit dem großen Thema "Eskimorolle"…?

Ich habe sie gesehen, aber nach Aussage der  Trainer bedarf es Monate der Übung, um sie sicher zu beherrschen, schade, für Grönland begnügen wir uns also mit den Grundlagen.

Nach diesem Abend war jedenfalls folgendes klar, ich möchte auch an den letzten beiden Kenter-Trainingstagen teilhaben, um dann im Frühjah mehr Erfahrung auf der Ostsee zu sammeln. Denn: Paddeln an sich kann jeder schnell, aber intuitiv richtig zu reagieren in genau dem Moment, in dem alles schief geht, da braucht es doch ein wenig mehr Übung. Vor allem, wenn man wie wir in der Abgeschiedenheit Grönlands der Natur ganz nah sein will.

Danke für das tolle Training!

www.paddelfreunde.de

10:50 • /
Flensburg • Deutschland
Luft 4 °C • Windstärke 6 aus Nord • Wellenhöhe 0,5

Logbuch am 26.02.13

 

Seh` ich so aus?

Am 3.Mai 2000 vergrub der Amerikaner Dave Ulmer einen schwarzen, wasserdicht verschlossenen Plastikeimer in den er zuvor eine Banknote, ein paar CD`s, eine Steinschleuder, ein Buch und eine Büchse mit Bohnen legte. Anschließend ging er wieder nach Hause, setzte er sich vor seinen Computer und veröffentlichte die Position des Eimers mit Längen- und Breitengraden im Internet und rief zur Suche auf. Er wollte die Genauigkeit von Hand-GPS-Geräten testen und sehen, ob irgendjemand diesen vergrabenen "Schatz" findet.

Er wurde gefunden.

 

Heute, dreizehn Jahre später, sind auf der gesamten Welt knapp zwei Millionen solcher "Schätze", so genannte Caches versteckt, allein in Deutschland fast 300.000. Die meisten von ihnen sind viel kleiner als der Prototyp, teilweise sind sie sogar winzig - die Nanos. Die Position der Caches werden veröffentlicht auf www.geocaching.com Man meldet sich an, sucht sich einen Cache in der Nähe, schnappt sich sein GPS-Handy und begibt sich auf Schatzsuche.


In den Caches befindet sich ein Logbuch, in dem man seinen Namen und das Datum einträgt. Manchmal sind auch Tauschobjekte enthalten. Die Cache sind so zahlreich unter uns, das ich schon einmal einen Cache gefunden habe, den ich gar nicht suchte. Oder Mike, der vor zwei Jahren in Schottland am Loch Ness am Ufer nach etwas suchte, dass er ins Wasser werfen kann und plötzlich ein aufklappbares Aststück in der Hand hielt in dem ein "Coin", eine Cache-Münze versteckt war.

 

 

Was das alles soll? Es macht Spaß. Und man kommt raus, sitzt nicht vor dem Fernseher. Und man setzt sich mit Technik auseinander. Und man löst Rätsel. Und es kostet nichts. Und man lernt eine Menge, denn viele Cache enthalten informative Hinweise über die Gegend. Und man lernt Leute kennen - die anderen Sucher nämlich, die in der Nähe eines Caches mal auf ihr Handy glotzen, mal in Baumritzen fassen, mal in Hecken krabbeln, mal auf Bäume klettern. Aber bitte unauffällig, denn unbeteiligte Passanten, die so genannten "Muggels" sollen von der Suche und dem Cache nichts mitbekommen.

Ich bin auf dieses Hobby erst 2008 gestoßen, also nach der Weltumsegelung und ich habe schon so oft gedacht, wie genial es wohl gewesen wäre, wenn ich damals schon davon gewusst hätte. Wir waren ja an vielen Plätzen die auf der geocaching-Karte noch weiße Flecken sind und die wir mit eigenen Caches hätten ausfüllen können.

Das ist diesmal anders. Jetzt weiß ich das alles vorher. Auf Grönland sind zur Zeit nur einundachtzig Caches versteckt.

Noch.



Mike, Maria und ich haben am Wochenende unseren ersten Test-Cache, den GC4646T auf 53°06.141N und 008°10.231E versteckt. Name "Am Feldweg", Owner "gottzilla".

Viel Spaß beim Suchen.

 

______________________________

 

Heute kam die Rechnung vom 23. Dezember letzten Jahres - der Fehlalarm an Bord. 135 Euro. Ich soll aber noch nicht zahlen, ich habe noch zehn Tage Zeit um mich eventuell ein bisschen aufzuregen, erst dann kommt die Rechnung mit den Überweisungsdetails.

Auf dem Rückweg von Bremerhaven nach Oldenburg wurde ich damals dann auch noch auf der Landstraße geblitzt, angebliches Beweisfoto anbei.

Aber mal ganz ehrlich: Das bin ich nicht, so seh` ich nicht aus.

 

Logbuch am 19.02.13

 

Der Termin steht

Der Termin für`s Ablegen steht. Am Sonntag, den 2.06.2013 um 12:00Uhr legen wir im Oldenburger Stadthafen am Stau ab.

Bis dahin sind es nur noch knapp dreieinhalb Monate...

 

Nuuk (früher Godthåb) ist nicht nur die im Westen gelegene Hauptstadt Grönlands, sondern auch die Heimat des Weihnachtsmannes, wie jeder weiß. Hier wohnt er, hier hat er sein Haus. Hier bastelt er das ganze Jahr über die Geschenke und verpackt sie mehr oder weniger kreativ. Ich habe meinen Wunschzettel schon längst geschrieben und werde ihn höchstpersönlich am Haus vom Weihnachtsmann einwerfen, sicher ist sicher.

Es ist noch etwas Platz an Bord, und wer möchte, kann uns seinen Wunschzettel mit auf die Reise geben. Wir werden dafür sorgen, dass er ankommt.

 

 

Eerdmans Yachtversicherung hat mir zugesagt, das Schiff für den Grönlandtörn zu versichern. Eine der Bedingungen war, dass nur in den Ankerbuchten Versicherungsschutz besteht, die im "Pilot" als solche gekennzeichnet sind. Diesen, von der Versicherung vorgeschlagene Führer, halte ich heute in Händen. "Faroe, Iceland and Greenland" von Willy Ker, ISBN 0852887655, 120 Seiten, davon 40 Seiten über Westgrönland. Ausgewiesene Ankerbuchten musste ich zwar mit der Lupe suchen aber was solls, wir müssen uns ja nicht immer dran halten.

 

Faroe, Iceland and Greenland von Willy Ker, ISBN 0852887655

"Faroe, Iceland and Greenland" von Willy Ker, ISBN 0852887655, 124 Seiten

16:23 • 53°08´27.68"N / 008°12´42.67"E
Oldenburg • Deutschland
-2 °C • 0 • 10

Logbuch am 19.02.13

Wiedereinstieg

 

"Würdest Du es noch einmal machen?" und "Wo waren die schönsten Plätze?" waren neben "Was würdest Du heute anders machen?" die am meisten gestellten Fragen nach der zweijährigen Weltumsegelung 2004/2006.
Frage eins und zwei waren leicht zu beantworten: "Ja" und "Auf See". Die Antwort auf die Frage, was ich heute anders machen würde, hat sich erst im Laufe der Zeit konkretisiert. Dafür lässt sie sich heute, mit dem nötigen Abstand, um so klarer artikulieren: Ich würde bei der Planung im Vorfeld einer Weltumsegelung mehr Zeit für den Wiedereinstieg in das "Leben danach" investieren.

 

 

Dunkle Wolken über Spiekeroog

Wir hatten uns damals zwei Jahre lang intensiv auf das neue Leben auf See vorbereitet und sind davon ausgegangen, unterwegs einen schöneren und lebenswerteren Platz als Oldenburg zu finden, wo wir dann leben und arbeiten wollten. Wir konnten uns einfach nicht vorstellen, dass es keinen schöneren Ort auf diesem Planeten geben soll, als der, an dem wir rein zufälligerweise geboren und aufgewachsen sind. Konsequenterweise hatten wir in der Zeit der Vorbereitung alle Brücken abgebaut, den Hausrat verkauft und die Werkzeuge der Goldschmiede im Schiff verstaut. Euphorisch machten wir uns auf den Weg, entdeckten mit großen Kinderaugen einen wunderbaren Ort nach dem anderen, gerieten ständig in immer neue, zum Teil lebensbedrohende Abenteuer, sind toll gesegelt, wurden durchgeschüttelt und dümpelten in Flauten. Nach zwei Jahren auf See machten wir schließlich wieder im Heimathafen fest. Alle Erwartungen wurden bis dahin erfüllt und zum größten Teil übertroffen.
Aber schon früh, noch vor der Atlantiküberquerung, hatten wir festgestellt, dass wir keinen schöneren Platz zum Leben finden werden, als der Ort, an dem wir geboren und aufgewachsen sind. Stichwörter wie Freunde, Familie, Heimatverbundenheit usw. spielen da eine große Rolle. Ein wenig naiv gewesen damals? Ja! Aber das war auch gut so. Denn wenn wir gewusst hätten, was im Anschluss der Reise auf uns zukommt, wären wir vielleicht gar nicht erst los gefahren, bzw. wären nicht losgekommen. Nicht falsch verstehen: die Zeit auf See war klasse und ich möchte sie nicht missen, aber der Wiederaufbau des neuen/alten Lebens war der anstrengendste und arbeitsintensivste Abschnitt meines Lebens. Dadurch war auch kein Raum für die Verarbeitung der erlebten Eindrücke. Diesem Teil würde ich heute mehr Aufmerksamkeit einräumen.
Diese Erfahrung, dieses Wissen kann aber auch eine Belastung sein. Und zwar im Vorfeld einer Reise. Grönland ist zwar keine Weltumsegelung, die Goldschmiedesachen bleiben Zuhause und ich werde sicher wieder heimkehren, aber bei all den Vorbereitungen spielt heute auch die Wiederkehr eine große Rolle: Der Laden muss weiter geführt werden - einfach alles besenrein verlassen und weg geht diesmal nicht. Ich habe sehr wohlhabende Segler in fernen Ländern getroffen, die sich an den schönsten Plätzen der Welt um Flugtickets kümmern mussten, weil sie in der Heimat nach dem Rechten (Firma/Haus/Häuser) schauen mussten. Der Kopf war nicht frei. Ich hoffe, dass ich das nicht erleben muss.

Diesen Bericht schreibe ich um fünf Uhr morgens. Ich bin in der Werkstatt vom grad neu renovierten Laden, nebenbei läuft der Ausbrennofen, der Auftragskasten ist voll, die Kunden warten auf ihren Schmuck. Nachher Termine beim Bootsbauer und Vorbereitungen für eine Schmuckmesse in München am Wochenende treffen.

Mich beschleicht doch nicht grad das Gefühl, dass ich die Arbeit, die ich damals nach der Reise hatte, jetzt vor der Reise habe!?

 

Der neu renovierte Laden

 

Apropos Wiedereinstieg: Gestern rief mein Mitsegler Janek an. Er hatte sein erstes Vereins-Kajak-Training in einem Schwimmbad. Geübt wurden Ein-, Aus- und Wiedereinstieg ins Kajak. Er erklärte mir kurz, dass es, obwohl das Wasser im Becken wärmer als null Grad war, wohl nicht ganz ausreichend sei, eine Eskimorolle nur zur Hälfte zu beherrschen.

Warum nicht, drüber wird er später hier ausführlicher berichten.

 

Mit einem völlig überladenen 10-Meter-Stahlzozzen um die Welt; ins Eis mit dem fragilen Plastikboot. Warum macht man das, werde ich gefragt.

Damals war die Stahl-Nis Randers, das was wir uns gerade so leisten konnten. Moderner, länger und größer wäre finanziell einfach nicht drin gewesen.

Als ich die neue Nis Randers vor zwei Jahren kaufte, war es der Wunsch nach einem modernen, schnellen und etwas größerem Schiff. `n bisschen Komfort, bitte. Grönland war da noch gar nicht geplant. Speziell nur für diesen Törn wäre wohl ein anderes Schiff in die engere Wahl gekommen. Aber es ist wie es immer ist: das ideale Schiff gibt es nicht, wird es nie geben. Die neue Nis Randers ist schnell, komfortabel und vor allem hoch am Wind. Den Bug werden wir noch verstärken und den fehlenden Steuerstand mit modernen, textilen Produkten der Expeditionsausrüstungsindustrie ersetzen, sprich, wir ziehen uns extrem dick an.

 

16:23 • 53°08´27.68"N / 008°12´42.67"E
Oldenburg • Deutschland
-2 °C • 0 • 10

Logbuch am 10.01.13

Donnerstag, 10. Januar 2013

Alarm

 

Heiligabend mittags ist Schlüsselübergabe. Der neue Laden, ein Crepes-Shop, soll bereits am 4. Januar eröffnen. Na denn. Ich jedenfalls hab´s hinter mir, einen von zwei Läden gebe ich ab. Gemeinsam mit Mike, Maria und Mark räumen wir den alten Laden.

 

Maria und Mike machen Blödsinn mit Mark

 

Draußen minus vier Grad, drinnen mollig warm. Ist wie zuhause: Knöpfchen drücken, am Drehschalter die Temperatur einstellen, DVD und Wein rein und relaxen. Ist schon toll, so eine Standheizung: schön leise und zuverlässig.

Nicht annähernd so toll ist es, wenn um Mitternacht der Dieseltank die weiße Fahne schwenkt und die Heizung ihrerseits Anspruch aufs Relaxen anmeldet und durchsetzt.

Was jetzt, Diesel muss her. Helgolands günstige Zapfsäule ist zwar nur dreißig Meilen entfernt und doch unerreichbar. Dreißig Liter aus den Reservekanistern retten uns erst einmal über die Nacht, am nächsten Tag steht Tankefahren auf dem Programm. Vier Mal mit dem Auto die Kanister füllen und an Bord schleppen. Der Tank ist jetzt wieder voll und wenn sich mein Rücken wieder erholt hat - also in ein paar Wochen - versuchen wir erneut ein weekend on board; dann mit DVD, Wein und ...Radiator.

__________________________

 

Ein Tag vor Heiligabend, eine halbe Stunde vor Mitternacht. Draußen - wie sollte es anders sein? - regnerisch, ungemütlich und kalt. Macht mir heut nichts aus, ich bin nicht an Bord, ich lieg zu Hause im Bett, warte auf den Schlaf und auf die Weihnachtsgeschenke.

Mein Handy klingelt, hm. Ich schau aufs Display. Eingehender Anruf von: ALARMANLAGE. Ein Handy an Bord ist mit Bewegungsmeldern und Kontakten gekoppelt und ruft mich an, wenn jemand an Bord ist. Schrecksekunde. Ich geh ran und höre über das Handy ins Boot: Da sind deutliche Geräusche, wie wenn jemand Sachen durchwühlt. Meine Sachen.

Ich leg auf, wähle 110. Freundliche Frauenstimme, Notruf, wie kann ich helfen?

Mansholt, moin. Ich möchte einen Einbruch auf meinem Schiff melden, der Täter ist jetzt gerade an Bord, meine Alarmanlage hat mich soeben angerufen.

"Ein Einbruch, sagen Sie, auf einem Schiff, aja. Und wo befindet sich das Schiff?"

"In Bremerhaven, Neuer Hafen, Steg C, Liegeplatz Nummer 3."

"In Bremerhaven, also?"

"Richtig, ja, in Bremerhaven..."

"Und wo dort genau?"

"Ähm, Neuer Hafen, Steg C, Liegeplatz 3. Da liegt nur ein Boot, eine Segelyacht, ein Boot mit einem Mast in der Mitte."

"Und wie ist Ihr Name?"

"Mein Name ist Mansholt, Bernd Mansholt."

"Wie schreibt man Mansholt?"

"em a en es ha o el te"

"Geboren?"

"Hören Sie, ich möchte nicht unhöflich sein, aber der Täter ist jetzt gerade an Bord. Könnten wir die Personalien nicht vielleicht später...?"

"Der Bootsname?"

"Bitte?"

"Wie ist der Name des Schiffes?"

"NIS RANDERS, aber..."

"Buchstabieren Sie bitte den Bootsnamen."

 

Ich halte Praktikumsstellen grundsätzlich für sinnvoll, richtig und wichtig. Hier können junge Leute in verschiedene Berufe schnuppern, in Ruhe reflektieren, um sich letztendlich für eine Laufbahn zu entscheiden, die zum Gemüt und zum Talent passt. Im Stillen wünschte ich meiner Gesprächspartnerin bei der Berufswahl ein gutes Händchen und eine nicht mehr allzu lange Suche.

 

Dieses (hier nur verkürzt wieder gegebene Gespräch) beende ich ohne nennenswerte Unhöflichkeiten und rufe auf dem Weg zum Auto direkt das Polizeirevier in Bremerhaven an, dessen Telefonnummer ich während des lustigen Notruf-Plausches googeln konnte. Ich informiere den Beamten - er schickt noch während unseres Gespräches Polizisten los und verspricht sich zu melden, wenn er Fragen oder Ergebnisse hat. Geht doch.

An Bord ist ein stiller Alarm. Die Aussicht, den Täter noch auf frischer Tat zu erwischen, lässt mich zügig voran kommen. Ich hätte da nämlich ein paar Fragen:

"Wolltest Du mir etwa meine Sachen wegnehmen? Wie ist Dein Name, ah, ich weiß schon und buchstabiere mal für Dich: pe e en en e er. Und: Wie kann man nur bei solch einem Wetter einbrechen gehen?"

00:30 Uhr, jetzt ist Heiligabend. Nach einer dreiviertel Stunde im Auto bin ich vor Ort. Der Einsatzleiter hatte mich schon während der Fahrt telefonisch auf den neuesten Stand gebracht und um Erlaubnis gebeten, dass seine Beamten das Schiff betreten dürfen. Erteilt.

Zehn Minuten später ruft er wieder an; ich kann nicht glauben, was er mir zu sagen hat, das kann nicht wahr sein, davon muss ich mich selbst überzeugen!

Ich parke das Auto direkt hinter dem Deich zur Weser und haste durch Wind und Wetter zur Marina. An der Stegtür tippe ich den Code in das Tastenfeld, klack, der Riegel springt auf. Es sind keine Polizisten zu sehen als ich den Fingersteg betrete, an dem die Nis Randers liegt. Ich ziehe mich vorsichtig an den Wanten hoch und betrete über die Reling das Schiff. Zuerst prüfe ich die Luken auf dem Vorschiff, dann die Salonluken - von innen verschlossen. Langsam gehe ich nach achtern zum Cockpit. Mit einer Taschenlampe inspiziere ich die Luke zum Niedergang: keine erkennbaren Schäden, hm. Ich schnappe mir eine Winschkurbel und öffne vorsichtig das Schloss an der Luke. Ich horche ins Schiff. Nichts verdächtiges, nur die Wellen, die bei dem südlichen Wind achtern unter das Heck plätschern. Ich gehe den Niedergang nach unten und blicke ins Klo, Taschenlampe in der einen, schlagbreite Kurbel in der anderen Hand. Keiner da. Das gleiche Spiel in der Heckkabine, kein Mensch da. Ich leuchte im spitzen Winkel über den Boden, ein Einbrecher hätte nasse Fußabdrücke hinterlassen. In dem Augenblick klingelt mein Handy. Wieder die Alarmanlage. Klar, ich habe sie selbst ausgelöst, als ich an Bord kam. Ich deaktiviere die Alarmanlage. Zehn Sekunden später erneutes Handyklingeln: die Polizei. Ob ich schon an Bord bin? Jepp, grad angekommen. Ob ich jemanden angetroffen habe? Nope, scheinbar kein Mensch an Bord gewesen, auch keine Einbruchsspuren.

"Hab ich Ihnen ja gesagt. Meine Leute haben ein unversehrtes Schiff vorgefunden."

"Ja, aber..."

"Ich weiß, was Sie sagen wollen, aber Fehlalarme haben wir hier alle Tage. Schöne Weihnachten noch und bis zum nächsten Mal. Ihre Personalien haben wir ja."

Und was ist mit den Geräuschen, die ich über das Bordhandy hörte? Das müssen dann wohl die Wellen gewesen sein, die unter das Heck schlugen.

Die Alarmanlage habe ich seit über einem Jahr im Einsatz und es gab bisher keine Probleme. Ich rätsel' schon seit Tagen was den Bewegungsmelder ausgelöst haben könnte. Maus? Käfer, Spinne, Ratte, Kakerlake? Vielleicht Einsamkeit oder einfach nur Lageweile?

Na toll. Und "Ihre Personalien haben wir ja" ist ja wohl das Codewort für: "ich schicke Dir jetzt mal ne fette Rechnung für den Fehlalarmeinsatz", wetten?

Um zwei war ich wieder im Bett.

 

 

13:06 • 53°08N / 008°12E
Oldenburg • Deutschland
6 °C • 0 • 4

Logbuch am 24.11.12

Samstag, 24. November 2012

Leidenschaft

 

 

"Wir schließen!" steht in großen Buchstaben vor der Goldschmiede in der Oldenburger Innenstadt. Bis zum 24. Dezember 50% Ermäßigung auf (fast) alle Schmuckstücke. Aufträge nehmen wir nicht mehr an. "Ihr macht zu? Kommst Du denn nicht wieder zurück?"

Nein, wir machen nicht zu, jedenfalls nicht ganz. Wir schließen zwar den Laden, aber nur halb. In die eine Hälfte kommt ein neues Geschäft, die andere Hälfte renovieren wir im Januar und Februar. Für die Zeit der Grönlandreise übernimmt Janika, meine Mitarbeiterin, den Laden und wenn ich wieder zurück bin, geht alles seinen gewohnten Gang.

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Kronenring aus Silber und Feingold mit Granaten im Navette-Schliff

DAS sind eigentlich nicht meine Kunden: "Kann ich den Ring auch noch zwanzig Euro billiger haben?"

"Den können Sie sogar noch viel billiger haben. Wir geben einen Laden auf und verkaufen den Schmuck zur Zeit zum halben Preis."

"Das weiß ich schon aus der Zeitung, kann ich trotzdem noch zwanzig Euro Rabatt bekommen?".

"Ähm, nein"

"Ach, bitte"

"Nein"

"Geht dann zehn Euro?"

"..."

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Mit meinem Mitsegler in Bremerhaven zum Segeln treffen und wegen Sturm den Törn wieder absagen, Arwed-Fuchs-Vortrag über eine Westgrönlandreise im hundertfünfzig Kilometer entfernten Halle, Boot winterfest machen und den Einkauf von Ersatzteilen planen, Seekarten besorgen und Route abstecken, Admiralty Sailing Directions Arctic Pilot Vol.3 lesen und immer wieder studieren, teure Kameras auf noch teurere Multicopter montieren und sie von der Feuerwehr wieder aus dem Bäumen pflücken lassen, Website neu aufsetzen und Programme lernen, Überlebensanzüge besorgen und Kajaks testen. Nebenbei Vollzeit arbeiten in der Goldschmiede, Zahnarzttermine (wenn dir dein Zahnarzt in den Mund schaut, die Lupenbrille aufsetzt und gedehnt sagt: "das ist sehr interessant" - was genau bedeutet das eigentlich?), Gesundheitscheck, Diät und strammes Fitnessprogramm und, last but not least, Familienleben.

Weniger leidenschaftliche Menschen würden diese Zeit möglicherweise als stressig empfinden.

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Es ist null Grad Celsius, über der Marina liegt dichter Nebel. An Bord ist es wunderbar gemütlich und warm. Maria, Mike und ich backen Plätzchen, es riecht nach Weihnachtszeit. Nebenbei schreibe ich diesen Tagesbericht. Von draußen nähern sich Geräusche, Motorenblubbern und Männerstimmen. Durch das Bulleye erkenne ich schemenhaft einen Segler, der sich langsam durch die dicke Suppe an unserem Liegeplatz im neuen Hafen Bremerhaven vorbeitastet. Ich geh` nach oben ins Cockpit und erkenne an der Backbordseite des Schiffes eine Holztafel in die der Name des Holzseglers geschnitzt wurde. Es ist die "Grönland". Das Schiff, das an der Ersten Deutschen Grönläandexpedition teigenommen hat.

 

Logbuch am 19.10.12

Freitag, 19. Oktober 2012

Es klickt oder  Tschüss Elsfleth

Diese Website soll ein Reise-Tagebuch und auch eine Zusammenfassung sein, damit wir uns später erinnern und die Reise und deren Vorbereitungen noch einmal Revue passieren lassen können. Wenn wir auf See und später in Grönland sind, sollen die Berichte Freunde und Familie wissen lassen: es geht uns gut und das und das haben wir heut´ erlebt. Öffentlich ist sie, damit Interessierte mitsegeln und mitreisen können und dadurch viele nette Kontakte schafft.

Dazu muss ich allerdings eines tun: Tagesberichte schreiben. Und das wurde mir in letzter Zeit zu kompliziert. Nicht das Schreiben selbst, sondern das Einstellen ins Netz. Zu viele Klicks, zu viele Links.

Ab sofort schreibe ich alles auf eine Seite von oben runter. Das geht schneller, ist übersichtlicher und mit drei Klicks ist der Bericht online. Für den Leser ändert sich nur, dass es keine RSS-Feeds mehr gibt und die Kommentare direkt ins Gästebuch geschrieben werden müssen. Es gibt größere Bilder in den Tagesberichten und weniger Werbung.

 

Bremerhaven bei Nacht

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In Elsfleth war alles gut: Es gibt einen schönen Yachthafen, nette Leute im Verein, gutes Essen bei Moni und Gerd, kurzer Anfahrtsweg von Oldenburg und in drei Stunden ist man mit dem Zossen in Bremerhaven an der Columbuskaje und ist frei für den großen Törn. Wie gesagt, alles gut - bis auf eine Kleinigkeit: Die Schleuse, die den Hafen von der Weser trennt, die klitzekleine Schleuse mit den freundlichen und hilfsbereiten Schleusenwärtern, die Schleuse, in die die Nis Randers mal grad so rein passt, die Schleuse, an der wir uns im letzten Sommer nach dem Törn "Rund England" (nachdem wir allein im Kaledonischen Kanal gefühlte 100 Schleusen unfallfrei passiert hatten) eine böse Beule in die Scheuerleiste manövriert hatten, diese Schleuse wird dieses Jahr am 15.Oktober winterfest geschlossen.
"Äh, Moment, das war im letzten Jahr aber noch nicht so, oder?"
"Das ist jedes Jahr so, das war schon immer so."
"Ja, aber da kann man doch bestimmt noch was machen!?"
"Machen, was machen?"
"Na, noch mal aufmachen... später, so Anfang November. Will noch mal raus, `n bisschen segeln"
"`n bisschen Segeln? Im November!?"
"Ja, warum denn nicht im November?"
"Na, weil die Schleuse zu ist."

Nichts zu machen, vom 15.Oktober bis irgendwann im Frühjahr ist man im Elsflether Hafen gefangen. Warum sagt das einem das denn keiner? Ach so, stand in den Vereinsstatuen. Tja, wer lesen kann ist in einer solchen Situation ganz erheblich im Vorteil. Also kurz vor Toresschluss noch schnell die Leinen los und los, mit Mike und Maria ab nach Bremerhaven. Tschüss Elsfleth, war schön, aber die Nis Randers gehört auf See. Sei's drum, bin eh kein Vereinsmeier, eck immer irgendwo an. Ist auch näher dran an der Nordsee, immer das Positive sehen. Apropos: ich hätte da noch einen schönen Hafentrailer abzugeben. Den brauche ich wohl jetzt nicht mehr...

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"Ist nicht so schlimm, dauert nur ungefähr eine Stunde und es wird etwas dick werden. Vielleicht auch blau und grün aber höchstens vier Tage. Wir schneiden das Zahnfleisch auf, bohren durch den Knochen und kappen die Wurzelspitzen mit einem Fräser. Das machen wir hier jeden Tag. Eventuell reißt die Haut zur Nasennebenhöhle, dann allerdings dürfen Sie drei Wochen die Nase nicht putzen sonst gerät Ihnen beim Trinken Flüssigkeit in die Nase, aber sonst..."

Mein ansonsten latent vor sich hinschlummernder Fluchtreflex drängt sich mehr und mehr in Vordergrund, höre den Chirurgen wie durch Watte, überlege, ob ich den Entschluss bereuen soll (eigentlich überlege ich nicht ob, sondern wie sehr ich ihn bereue) einen Komplettcheck vom Gebiss machen zu lassen der mich jetzt direkt in den zweifelhaften Genuss einer Wurzelspitzenresektion bringt. Aber besser jetzt als auf See. Gehört dazu.

Logbuch am 16.09.12

Sonntag, 16. September 2012

Mein Revier

Der Hafen von Spiekeroog als

 

Little Planet Spiekeroog

Zum 100sten Mal Helgoland, zum ersten Mal Spiekeroog. Zum x-ten Mal in Bremerhaven, Premiere auf Sylt. Vorsegel und Babystag ein bisschen und Boiler total kaputt. Vor Spiekeroog in den Schiet gebrummt und vor Anker liegend auf Wasser gewartet, bei Windstärke 7 gegenan das Boot getestet und Seekrankheit bei Mike und das erste Mal bei Maria. Das war der Segelsommer 2012, Segeln vor der Haustür. Das ist mein Revier.

Im Panorama: Der Hafen von Spiekeroog

Nach sechs Wochen zurück Zuhause hatte ich ein Problem, nein nicht eins, es waren 11.965 Probleme: Spam, der übers Gästebuch ins Postfach kam. Einfach alle zu löschen hieße auch Einträge von Lesern ins Nirwana zu schicken; also alles lesen, zumindest durchsehen und dann erst löschen. Der hochgelobte Spamihilator war nur eine geringe Hilfe, erst ein Captcha-Code brachte Abhilfe. Ich hasse diese Dinger, meist kann man die Buchstaben oder Zahlen gar nicht erkennen, die man dort eintragen soll. Ich habe einen einfachen rausgesucht, probiert es aus.

Das kann kein Mensch lesen: Beispiele für Captcha-Codes

Auf der Rückfahrt von Helgoland hörten wir über Funk ein Mayday-Ruf eines Forschungsschiffes. Ein Mann wurde vermisst, ist wohl in den Morgenstunden über Bord gegangen. Wir beteiligten uns einige Stunden an der Suchaktion bis die Suche auf einen Bereich ausgedehnt wurde, der für unseren Tiefgang nicht geeignet war. Auf See ist vieles, aber nicht immer alles schön.  Wasserschutz vor Leuchtturm

 

Spiekerooger Tied

 

Immer wieder Helgoland

 

Logbuch am 15.07.12

Sonntag, 15. Juli 2012

Grönland

 

Pelikane in Asien

Der heutigen Tagesbericht wurde von Janek geschrieben, der zur Zeit in Asien auf einem Handelsschiff unterwegs ist.
Grönland, welch ein Traum, welch ein Glück, dass ich diese Möglichkeit haben werde, dieses großartige Land erleben und erfahren zu dürfen.
Und selbst jetzt, ein halbes Jahr nach Bernd's Mitseglergesuch, bin ich jeden Tag aufs neue überrascht: mache ich das wirklich, werde ich in nicht einmal 12 Monaten nach Grönland aufbrechen?

Ganz angekommen ist der Gedanke also noch nicht, wie auch, jeden Tag kommen
neue Ideen, Sorgen und Lösungen hinzu, machen die schnelle Idee meinerseits "ach, nach Grönland segeln wäre was" überaus komplex und anspruchsvoll. Es
ist eben doch nicht "fix" gemacht und ich, als eigentlich erfahrener Segler
merke, dass ich überaus froh sein kann, auf Bernd getroffen zu sein.

Was erhoffe ich mir von dieser Reise?
Natürlich ist die Idee, ein wirklich großes Segelabenteuer zu bestreiten, nicht neu. Jeder Segler kennt diese frühen Gedanken, über den Atlantik zu segeln oder Meere jenseits des heimischen Reviers zu erkunden. Aber wie bei vielen, ist die Umsetzung ein Abenteuer der ganz besonderen Art.
Bei mir war es bis jetzt nicht anders, wenn auch ein wenig komplizierter.

Denn der Berufsseemann, welcher jeden Tag dem Meer seinen Lebensunterhalt
abringt, hat nun mal ein besonderes Verhältnis zum Medium.
Und wenn man dann alle Meere der Welt gesehen hat, dann kann auch die
schönste Sache der Welt, das Segeln, ein wenig in den Hintergrund geraten.

Ich möchte also neben den gemeinsamen Zielen mit Bernd, die Natur zu
entdecken, Eisberge zu sehen und Abenteuer zu erleben wieder zu meiner
großen Liebe zurück finden. Eine Liebe, die mich bis zum Berufsstart definierte und mein Leben bis jetzt grundlegend bestimmt hat.

Wunschziele?
Ich möchte wachrütteln und zu allererst mich selbst.
Ich lebe zu schnell, verbrauche zu viele Ressourcen, auch die der Natur, und bin wie viele meiner Generation zu kurzsichtig und wenig nachhaltig.
Ich hoffe, dass mich diese beeindruckende Natur positiv prägen, mich nachdenklicher machen wird, was die Natur und meine Umwelt betrifft und im besten Falle ein innerer Neustart wird, der mich sozusagen neue Prioritäten setzen lässt, weg vom iPhone hin zur Natur.

Warum Grönland?
Ich finde karge und raue Natur erfüllender, fühle mich wohler und gedanklich freier.
Es geht nach Grönland, der größten Insel der Welt, eines der am wenigsten
besiedelten Gebiete und das alles in Verbindung mit ewigem Eis...

Janek
MT. Max Planck, Japan

Logbuch am 03.06.12

Sonntag, 3. Juni 2012

Wo ist das Eis?

Satellitenaufnahme vom Packeis in der Baffin Bay

 

Die Erderwärmung und der Klimawandel machen's möglich: die Umrundung der Hauptinsel Spitzbergens, östlich von Grönland, stellte in den vergangenen Jahren mit dem Segelschiff kaum noch ein Problem dar. Arved Fuchs segelte bereits im Jahr 2007 bis auf 502 Seemeilen an den Nordpol heran. Janek und ich werden westlich von Grönland in der Baffin Bay in Richtung Norden segeln; das Packeis hat sich in den letzten Jahren noch weiter zurückgezogen. Doch wo ist das Eis heute, und wo wird es 2013 sein?

 

In den letzten Tagen hat sich entschieden welchen Kurs die Nis Randers im Sommer 2012 einschlagen wird, welcher Route sie folgt und wohin sie uns trägt: es wird Richtung Osten gehen, über die Nordsee, durch den Nordostseekanal nach Dänemark. Urlaub in der dänischen Südsee. Ob von dort Tagesberichte folgen ist noch nicht mit der Mannschaft abgesprochen.

Wieder Zuhause: Mike, Andrea und ich in Elsfleth

Die erste Beule tut noch weh

Rund England. Der Sommer 2011 führte uns mit der Nis Randers über die Nordsee nach Schottland in den Kaledonischen Kanal, durch den Loch Ness und den Loch sowieso in die Irische See - Mull of Kintyre and Belfast. Hier hatten wir auch unseren ersten Sturm mit der neuen Nis Randers, Windstärke neun and very rough sea. Das Schiff hielt sich ganz gut, bisschen zu zappelig auf der Welle für meinen Geschmack aber wir sind auch Langkieler gewohnt. Ich schweife ab, wollte von der Route erzählen: also wir segeln und segeln, hunderte Meilen, viele Schleusen, viele Stege; wir legen an, wir legen ab, Sturm und Flaute - alles gut. Wenn da nicht die klitzekleine Schleuse in unserem Heimathafen an der Weser gewesen wäre, keine zweihundert Meter von dem Steg entfernt auf dem unser Name steht: ablaufendes Wasser der Weser, Neerstrom vor der Schleuseneinfahrt und zu geringes Einfahrtstempo des Schiffes. Die Nis Randers wird seitlich versetzt und kracht gegen ein Leitwerk der Schleuse. Beule in der Aluschiene und gekränkte Eitelkeit der Besatzung waren die Folge. Erst einmal dran gewöhnt, denk man wie so oft: macht doch nichts, es gibt Schlimmeres.

 

Die Tagesberichte schreibe ich ab sofort in unregelmäßigen Abständen und je nach Entwicklungsstand der Vorbereitungen. Jede Woche einen Bericht ist zuviel, eh ich mich versehe, ist schon wieder eine Woche rum.

 

Aussicht auf Kälteschutzanzüge (darüber berichte ich noch), weitere Seekarten und Informationen über amtliche Genehmigungen bzgl. Landgänge in Naturschutzgebieten auf Grönland waren die Ausbeute an Informationen der letzten Tage.

Logbuch am 13.05.12

Sonntag, 13. Mai 2012

Glück

 

Blauer Himmel mit Wolken, Steg und Wiese

Vor ein paar Tagen telefonierte ich mit einem Händler für elektronische Seekarten, der, wie sich im Gespräch herausstellte, ebenfalls Segler ist. Wir unterhielten uns auch privat über dies und jenes und kamen schließlich auf die Frage was uns antreibt bei unserem Hobby.

 

Sinngemäß fragte ich ihn:

"Wieso machen wir das eigentlich alles, wir könnten es so viel bequemer haben in unserem Leben ohne die Droge Segeln. Warum setzen wir uns Gefahren aus, denen wir im Grunde ganz einfach aus dem Weg gehen könnten, ja, die erst gar nicht relevant wären, wenn wir sie nicht suchen und schließlich finden würden. Was empfinden wir, wenn uns der Wind durchs Haar streicht und wir prüfend den Kopf in den Wind drehen, um mit der Nase die Richtung zu bestimmen, aus die er kommt. Was fühlen wir bei der Überquerung eines Meeres, wenn nach einigen Tagen auf hoher See die Bordroutine sich wie ein schützender Mantel über das Schiff und die Mannschaft legt und der Besatzung Sicherheit suggeriert. Was empfinden wir bei der Planung des neuen, großartigen Törns, der, aus was für Gründen auch immer, vielleicht niemals Wirklichkeit wird; wenn wir träumen von der Überquerung eines der großen Ozeane, wir uns Freiheit und Unabhängigkeit erhoffen, all unseren Mut zur Verwirklichung dieses Traumes zusammen nehmen und ihn trotz aller Widerstände, Zweifel und auch Angst schließlich doch in die Tat umsetzen - oder wieder verwerfen um von Neuem anfangen zu planen; was treibt Dich an, Deine Freizeit und fast Dein ganzes Geld zu opfern, nur um die Winterwochenenden allein in der eiskalten Halle zu verbringen um giftige Farben zu rühren, einen Kunststoffrumpf zu pflegen und Holz zu schleifen und auf Hochglanz zu pinseln, nur damit Du im kommenden Ostseesommer ein paar Runden im Regen drehen darfst. Oder wir fahren irgendwann mal weiter raus, lernen andere Länder und Gebräuche kennen, Kulturen, von denen wir damals im Schulunterricht hörten und denen wir heute, abseits der ausgetretenen Touristenwege begegnen können. Manches von diesen Dingen ist sehr schön, Manches aber aber auch sehr anstrengend. Warum machen wir das alles?"

 

"Warum wir das alles machen?", fragte er mich zurück. "Weil wir dabei Glück empfinden."

 

 

Logbuch am 04.05.12

Freitag, 4. Mai 2012

Gefettnapft

Die MAX PLANCK in Shanghai

Hoch und trocken: Die MAX PLANCK in China

Mit Janek stehe ich per E-Mail in Verbindung, Bilder und Textdokumente teilen wir über die Dropbox. Er ist zur Zeit als Erster Offizier auf der MAX PLANCK in Asien unterwegs, bzw. wäre unterwegs, wenn der Dicke nicht in Shanghai hoch und trocken im Dock liegen würde. Ich meine das Schiff, nicht Janek. Er berichtet einerseits über Sprach- und Verständigungsschwierigkeiten, andererseits über den für Seeleute heutzutage seltenen Genuss täglichen Landgangs.

Shanghai

Vor mehr als sechs Monaten habe ich die NIS RANDERS winterfest eingemottet und am Steg dem Wetter überlassen. Sturm und Eis, Regen und Nebel, Sonne und... ja, alles mögliche hat sie überstanden. Frostschutz in den Tanks und in der Motorkühlung. Letzten Sonntag habe ich mit einem Startversuch des Dieselmotors meinen persönlichen Winter offiziell für beendet und die neue Saison für eröffnet erklärt. Im gesamten Yachthafen befanden sich außer mir und meinem Schatz noch sechs weitere Leute, die sich im Cockpit ihres Schiffes, ca. fünfundachtzig Zentimeter von dem Auspuffrohr meines Schiffes entfernt, angeregt unterhielten. Meine Freude über das sofortige Anspringen des Motors erstarb mit dem Anblick der Abgaswolke, die -natürlich- in Richtung Nachbarn zog. Die Wolke war nicht richtig hell, sie war eher dunkel. Eigentlich war sie schwarz. Geistesgegenwärtig dreh ich den Schlüssel zurück, um den Motor stoppen. Nur leider funktioniert das so nicht, man muss den Aus-Knopf drücken. Also lief der Motor noch ein paar Runden, ehe ich ihn stoppen konnte. Ja, dann haben wir heut mal ein bisschen die Nachbarn eingedieselt und mal wieder gefettnapft.

Logbuch am 27.04.12

Freitag, 27. April 2012

Warum? Darum!

 

Ein Schnappschuss an der Nordsee

Die genaue Route nach Grönland steht noch nicht fest, sicher ist nur, dass wir streckenweise mindestens eine Woche auf See sein werden, wenn wir durchsegeln und Island rechts liegen lassen, können es auch drei Wochen am Stück sein. Gesundheitlich sollte dann alles in Ordnung, bzw. die Risiken minimiert sein. In dieser Woche beginne ich mit ersten Notizen zur Bordapotheke und gewöhne mich langsam an den Gedanken zum Zahnarzt zu gehen. 

 

Warum? Darum! Ich wurde gefragt, warum diese Seite so schmal geworden ist. Tab, Pad, Minibook, Smartphone & Co. - das schlanke Design dieser Website ist den Displays von mobilen Geräten angepasst, auf denen die meisten Besucher diese Berichte lesen. Woher ich das weiß? Google sagt es mir: www.google.com/analytics/

Logbuch am 20.04.12

Freitag, 20. April 2012

Flugtag

 

Erster Test mit Luftbildkamera

Sonntag Nachmittag auf einer Wiese irgendwo vor den Toren Oldenburgs: Es ist ungemütlich, es ist kalt, es ist windig, ich habe einen Modellflieger in der Hand. Was mach ich hier bloß, kann das nicht bis warten bis es etwas wärmer geworden ist? Ich frier mir die Finger ab, während ich die Kamera mit einem Gummiband auf der Tragfläche des Flugzeuges fixiere. Es geht um die Luftaufnahmen von denen ich im letzten Bericht geschrieben habe. Heut ist Flugtag, heut wird geflogen, gefilmt und gefroren.

Trotz des ruppigen Windes geht der Flieger schnell auf Höhe und zieht seine Kreise. Die Aufnahmen gelingen, ich bin zufrieden. Es geht nur um einen Test - Handling vor Qualität. Ich stelle mir eine Szene vor, in dem ein Rundflug um einen Eisberg gelingt; es muss ja kein großer sein. Bis dahin sind jedoch noch einige Probeflüge von Nöten, denn bei dem Geschaukel werd ich schon beim Zusehen seekrank.

Diesen Bericht schreibe ich um 15:57 Uhr am Freitag Nachmittag. Vor zwanzig Minuten habe ich den Hafentrailer gekauft, den man im letzten Tagesbericht sehen kann. Es geht jetzt um den Umbau, damit der Zossen auf ihm aus dem Wasser gezogen werden kann und auch bei Sturm sicher steht.

Logbuch am 06.04.12

Karfreitag, 6. April 2012

Schön schiffich ist anders

Die Saison beginnt

Aufräumen ist angesagt

Am Anfang der Saison müssen Klamotten, Polster und Bettwäsche an Bord eines Bootes muffelig riechen. Das ist normal und man nennt das nicht etwa gammelig oder versifft,  sondern hier im Norden heißt das  dann "schön schiffich". Nicht so auf der Nis Randers: Angenehm fresh ist es im Inneren des Bootes als hätte das Schiff die vergangenen Monate nicht zeitweise eingefroren im Wasser, sondern mit offenen Luken in der Halle überwintert. Ob mir da jetzt am Riechorgan etwas abgeht? Nein, nicht wirklich.

 

 

Wenn ihr das Schiff nicht länger als vierundzwanzig Stunden unbeaufsichtigt vor Anker lasst und das auch nur an den im "Pilot" gekennzeichneten Stellen; und wenn ihr außerhalb der im "Pilot" gekennzeichneten Stellen ankert, dann nur wenn ein erfahrenes Crewmitglied das Boot einhütet; wenn ihr einen Aufpreis von 50% Prozent auf die übliche Prämie zahlt und eine Selbstbeteiligung von 1.500 Euro akzeptiert; wenn ihr damit einverstanden seid, das die Kosten für Rettung, Heben, Bergen, Wrackbeseitigung, Entsorgung und Havarie bei vollständigen Verlust des Schiffes höchstens bis zur Versicherungssumme der Yacht ersetzt wird und im Falle einer Wiederherstellung die Reparaturkosten und Ersatzleistungen nach deutschen Normen berechnet werden, dann, und nur dann.... versichern wir euch die Nis Randers für die Reise nach Grönland.

Eine Sorge weniger. Danke eerdmans-Versicherung

 

Noch einmal Danke: Ein Leser hat uns zur Vorbereitung und Durchführung der Reise die freie Auswahl aus seiner über 1600 Exemplare umfassenden Bibliothek nautischer Literatur angeboten. Nehmen wir gern an.

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Neulich bei der wöchentlichen Telefonbesprechung zwischen den zukünftigen Crewmitgliedern:

 

"Hast Du eigentlich einen Sextanten?"

"Ja, schon, kann ich aber nicht so richtig mit umgehen. Und Du?

"Ob ich kann oder ob ich hab?"

"Beides"

"Ja und nein"

"...!?"

Ich vergaß wohl, dass ich mich mit einem Nautiker unterhalte. Also einigten wir uns auf Ergänzung - ich die Hardware, Janek das know how.

Logbuch am 23.03.12

Freitag, 23. März 2012

Eis im Kopf

Mit der Nis Randers in der Irischen See

In der Irischen See: Die Windfahne steuert zuverlässig

Im Golf von Panama war es ein treibender Baumstamm, in der Außenweser eine Fahrwassertonne, vor Klein-Curacao ein Fischerboot; in der Rhone war es eine Schleusenwand, in einer Ankerbucht irgendwo vor den Kanarischen Inseln war ein dicker Stein in Weg. Wer viel fährt, bei dem rummst es auch mal. Ist ja nicht so schlimm, wenn man ein Boot aus Stahl hat. Mit der neuen Nis Randers aus Kunststoff sieht das alles ein bisschen anders aus. Kaum dass wir mal ein bisschen an das Schleusentor in Elsfleth gedetscht sind, hat sich auch schon das Plastik unter der Scheuerleiste aufgefächert. Als Janek und ich am Schiff waren, um Einzelheiten zu besprechen, einigten wir uns auf eine Metallplatte, die am Bug angebracht werden soll. Niro und/oder Alu, mal sehen. Subjektives Sicherheitsempfinden? Sicher. Beruhigt aber ungemein und verdrängt vorläufig Bilder von ins Eis dringenden Glasfaserverbundstoff, der mit der kinetischen Energie eines in Fahrt befindlichen tonnenschweren Segelschiffes in eine Eisplatte gepresst wird.

 

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An der Nis Randers ist wieder die bewährte Windfahnensteuerung Pacific von Windpilot angebracht. Neustes evolutionäres Modell mit einem Pendelruder aus Metall. Ich liebe diese Dinger! Lautlos und ohne Strom steuern sie das Schiff besser und genauer als ich es je könnte. Die Weltumsegelung hat die Anlage das Schiff bestimmt neunundneunzig Prozent der Strecke auf Kurs gehalten. Persönlich abgeholt habe ich das Gerät bei Peter Förthmann in Hamburg. Eingefahren und erprobt wurde das System im vergangenen Sommer bei einem Törn um England. Anfangs hat das profilierte Pendelruder etwas geflattert und musste extrem sorgfältig eingestellt werden, aber als das erledigt war, steuerte jemand von der Mannschaft das Schiff nur noch bei der Ansteuerung.

Zehn Stunden nach Ausfahrt aus dem Kaledonischen Kanal hatten wir Sturm auf der Irischen See. Dort ergaben sich zwei Situationen, in denen wir den Wind-Autopiloten auskuppeln mussten: das Schiff drehte sich auf der Welle in den Wind und lief aus dem Ruder. Langkieler haben doch so ihre Vorteile...

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things-needed-list:

 

Radargerät, Versicherung fürs Gebiet, Kajaks, Signalpistolen, Überlebensanzüge, Drachen für Kamera und Kajak, zusätzliche Batterien, Solarzellen, Windgenerator, Ersatzteile Motor und Schiff, Medizinkoffer...

 

to-do-list:

 

Radar anbauen, Plotter reparieren, Seekarten komplettieren, Verlängerung der Sprayhood, Handfunken wasserfest, Spinnaker checken und evtl. zusätzliche Ausrüstung anschaffen, Beleuchtung komplett auf LED umstellen, Infos über Naturreservate und Sperrzonen...

 

Falls jemand Informationen, Tipps und Tricks zu o.a. Problemen hat: info@mansholt.de

 

Noch vierzehn Monate bis zum Start nach Grönland und ich hab schon jetzt nichts als Eis im Kopf.

Logbuch am 13.03.12

Dienstag, 13. März 2012

Aus ICH wird WIR

In der Magellanstrasse: Janek Plathe

Er segelt von Kindesbeinen an, liebt den Norden, fotografiert und schreibt. Er ist Staatlich geprüfter Nautiker und absolvierte eine Ausbildung zum Schiffsmechaniker. Er istJanek Plathe siebenundzwanzig Jahre und... Man spricht Dänisch! Mein erster Gedanke: Geht`s eigentlich noch? Völlig überqualifiziert, der Mann, stiehlt mir am Ende nur die Show.

Sein Name: Janek Plathe, kommt aus Flensburg und fährt als Erster Offizier zur See. Er war auf einem "Dicken", einem Berufsschiff in Golf von Mexiko unterwegs, als er das Mitseglergesuch für Grönland erhielt. Persönlich kennen gelernt haben wir uns dann Ende Februar auf der NisRanders. Er möchte im kommenden Jahr mit mir nach Grönland segeln und ich möchte im kommenden Jahr mit ihm nach Grönland segeln. Die Planungen und Vorbereitungen zur bevorstehenden Reise unternehmen wir fortan gemeinsam, aus ICH wird WIR.

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Tastatursegler

Tastatursegler bei der Arbeit

Navigationsliteratur und Internet

"Wann kommt der nächste Tagesbericht?", werd ich gefragt.

"Ich arbeite dran", sag ich.

Die Berichte hier im Blog versuche ich von jetzt an regelmäßig zu schreiben: Ab sofort und bis zur heißen Phase der Vorbereitung erscheint jeden Freitag ein aktueller Tagesbericht.

Die Vorbereitungen umfassen zur Zeit die Recherche in Nautischer Literatur, Seekarten und Gesetze. Es dreht sich vorerst grob um Waffenbesitz, Seenotsignale, Eiskarten usw. 

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Kulturmüll

"Sondeln" am Strand - Maria mit Metallsuchgerät

Zweiundzwanzig Kronenkorken aus Weißblech, eine Abreißlasche aus Alu, ein Groschen aus den 1980er Jahren, ein 2-Pfennig-Stück, ein verrosteter Nagel, ein Anhänger in Herzform aus vernickelten Gussmaterial und acht bis zehn wissbegierige Kinder, die uns eifrig begleiteten. Die Kinder und das Geld mal ausgenommen, nur Kulturmüll. Das war die Ausbeute eines Sonntagnachmittagsausfluges mit Metallsuchgeräten am Strand. Früh übt sich: Die Metallsonden werden uns an Bord nach Grönland begleiten. Digging in the dirt? ja, warum nicht, herrje, das Gold liegt direkt vor dir im Dreck, du musst es nur aufheben. Als Goldschmied und Gemmologe bekunde ich hiermit öffentlich und ausdrücklich fachliches Interesse. Im Südwesten Grönlands, bei Fiskenasset/Srafag, wurden Rubine in schleifwürdiger Qualität und sogar Diamanten gefunden. Hm, und wenn man schon mal da ist, kann man sich ja auch gleich ein bisschen nach Edelmetall umschauen.

 

Logbuch am 19.02.12

Sonntag, 19. Februar 2012

Fifty things in time live

Einer der wenigen Bäume in der Stadt

Noch immer China, noch immer Hong Kong. Ich bin geschäftlich hier, mein Auftrag lautet: Einkaufen für einen neuen online-shop, der sich mit der Edelsteinkunde, der Gemmologie beschäftigt. Ich bin auf der Suche nach gemmologischen Geräten und günstigen Konditionen. Den gestrigen Tag verbrachte ich also auf der Messe, deretwegen ich hier bin. Hong Kong Convention and Exhibition Centre (HKCEC). Hier trifft sich die Welt zum Einkaufen. Hier finden acht der größten Messen Asiens statt. Drei davon sind die größten der Welt. Ich mach's kurz, ich bin fündig geworden. Meine Einkäufe und Kontakte reichen für einen Start ins neue Business - heute war Zeit für ein bisschen Sightseeing.

7-eleven und Subway, schwerer Jetlag und Coca Cola, Indisch Curry und Tag verschlafen, im eigenen Haus verlaufen und Nacht durchgemacht, runde Füße und Hongkong-Chinesisch, viel gelacht und vor Rührung geweint, leicht angekränkelt und zu dünn angezogen, Luxus, Rolex, Prada, Cartier und Tiffany - das waren die Stichworte für heute. Die Welt ist schön, und auch manchmal schön anstrengend.

Fifty things in time life? Der Hafen von Hong Kong abends ab acht gehört für zehn Minuten dazu! Die Lichtershow der Wolkenkratzer Symphony of Lights. Wart ihr noch nicht dort, dont miss, habt ihr Kinder, führt sie dort hin! Für diesen Moment, für diese zehn Minuten ist Hong Kong für mich die schönste Insel der Welt in China.

Lichtershow der Wolkenkratzer Symphony of Lights

Als ich mir vorgestern mein Schlafloch Zimmer ansah und der Vermieter meinen kritischen Blick sah, verwies er mit großmütiger Handbewegung auf die mit Vorhängen verkleidete Außenwandöffnung, mit dem Hinweis, ich hätte von hier einen schönen Blick aufs Meer. Ich überlegte kurz, welches Meer er denn wohl meinte, könne ja wohl nur der Hafen sein, beließ es aber dabei und wir wurden uns schließlich einig. Als ich heute morgen aufwachte (16:00 Uhr Ortszeit - jetlag) wagte ich einen Blick durchs Fenster, freute mich aufs Meer und... siehe Foto unten.

Fenster mit Meerblick? Blick auf dem Fenster in den Hinterhof

Ja, so sind sie, die Hongkong-Chinesen - immer für einen kleines Späßchen zu haben. Ich jedenfalls lass den Vorhang jetzt zu.

 

Nicht ganz so lustig sind die Folterungen im Lande. Im Hafen viele Protestplakate, auf denen die Praktiken detailliert beschrieben werden; bebildert mit Originalfotos der Opfer und Beschreibungen der Tortouren und ihre Auswirkungen. Nicht, dass man das nicht schon vorher wusste, aber so nah war ich noch nie dran. Unglaublich, was Menschen Menschen antun. Ich bin Gast hier und verhalte mich entsprechend aber es gibt Sachen, die gehen gar nicht. Folter gehört dazu.

 

In ein paar Stunden schon muss ich das Zimmer räumen, vorher noch zur Messe und Geräte abholen. Der nächste Bericht handelt wieder vom Schiff und den Vorbereitungen der Reise.

Im Hafen von Hong Kong

Logbuch am 17.02.12

Freitag, 17. Februar 2012

Konfuzius sagt

Blick auf den Monitor im Flieger

Zehntausend Kilometer von Zuhause entfernt. Über Paris und Moskau am Süd Chinesischen Meer, eine der größten Metropolen dieses Planeten: Hong Kong in China "Duftender Hafen", oder auch schlicht und einfach: 中華人民共和國香港特別行政區 / 中华人民共和国香港特别行政区

 

In der Stadt findet zur Zeit die größte Messe Asiens für Edelsteine statt, hier finde ich Equipment für Edelstein- Untersuchungen und Diagnosen - Stillleben mit IPodalso Mikroskope, Refraktometer, Polariskope, Dichroskope, Konospope, Lupen und anderes. Das hoffe ich jedenfalls.

Kowloon, das blühende Leben. In diesem Stadtteil platzt alles aus den Nähten, geschäftiges Treiben, scharfes Essen, exotische Gerüche, Multi-Kulti vergleichbar mit Neu-Delhi, Mumbai und Colombo.

Ich mag so was, kann man ja mal vorbeigucken, hab ich gedacht. Also rein in den Flieger und nichts wie hin.

Zwanzig Stunden später: Wir befinden uns im zwölften Stock des Chunking Mension, Block E, 12th Floor, left hand side, E-6 Room, Tsim Sai Tsui, Cowloon, Hong Kong, China, Asien, Planet Erde, Galaxie Milchstraße, Universum. Ohne Wegbeschreibung würde ich nicht einmal aus meinem Zimmer zurück auf die Straße finden, geschweige denn hinein. Herrje, ich habe in einer zwanzig Meter langen Schlage fünfzehn Minuten am Fahrstuhl angestanden. Dann wurde ich von meinem Vermieter durch verwinkelte Flure und dunkle Treppenhäuschen geführt. Hier müssen die Designer vom Ego Shooter Half Live einmal übernachtet und schlecht geträumt haben.

Ich würde nie behaupten, dass mein Zimmer ein Witz ist, trotzdem musste ich lachen als ich es sah: in einen winzigen Raum, der die Größe von einer Mikrowellen-Tupperbox hat, haben die Architekten (in diesem Fall wohl eher Nano-Wissenschaftler) es geschafft, ein Klo, eine Dusche, einen Nachtschrank mit integrierten Kühlschrank und zwei (!) Doppelbetten zu verschachteln. New China Tetris 2.0 Bonuslevel 22, ganz große Kunst. Aber ich will nicht meckern, meine Schlafwabe ist zwar klein, aber sauber und Shahid, mein Vermieter, macht einen netten Eindruck. 100 US-Dollar will der Halsabschneider für die Nacht, hmm. Klingt erstmal viel, aber in einer Stadt, die sich seit Jahren im oberen Teil im Ranking der teuersten Städte der Welt festgebissen hat, relativiert sich die Offerte flott. Zudem gibt es W-LAN for free, Klima, TV und Aussicht auf nettes Geplauder mit Shahid an seiner "Rezeption".

Vermieter Shahid an seiner Nachttisch-Rezeption

Nach einer Minute hab ich`s mir halt schöngeredet, ich war auch müde und wollte nicht wieder raus auf die Straße. Dann plötzlich erinnerte ich mich vage an einen Spruch Konfuzius, der sinngemäß in etwa folgendes sagt: "Reisen bildet und man soll in Bewegung bleiben und wenn man in Hong Kong ist und die Stadt wegen der Messe ausgebucht, dann kann man schon mal mit einem kleinen teuren Zimmer vorlieb nehmen. Sei froh, dass du heil angekommen bist und mach das beste draus, du Hornochse. Genieß die Zeit."

Er hat ja so recht, der Gute!

 

Warum schreibe ich das auf meine Segelseite, und was bitte, hat das alles mit Grönland zu tun?

Vor meiner Weltumsegelung waren lohnenswerte Ziele für mich vor allem eines: ziemlich weit weg. Aus Bequemlichkeit, Geldmangel und irgendwelcher an den Haaren herbei gezogener Ausreden habe ich dann oft darauf verzichtet, den Weg dorthin auf mich zu nehmen. Aber ich kann euch eins sagen: Wenn mal erstmal mit Schneckengeschwindigkeit um die Erde gegondelt ist, weiß man selbst anstrengende Flugreisen wie Indien, Afrika oder jetzt China zu schätzen. Ich meine, es ist doch ein Witz: Du steigt ein in den silbernen Vogel und keine zwanzig Stunden später hast Du die halbe Welt umrundet. Ich habe damals einige Male auf Wache im Cockpit der Nis Randers im verdammten Indischen Ozean den Fliegern im Nachthimmel hinterher geschaut und mir gewünscht dort mit drin zu sitzen und an einem Whiskey zu nippen. Das hätte ich damals aber niemals zugegeben. Zusammenfassend kann man also festhalten, dass nach einer Weltumsegelung die Welt deutlich kleiner wird. Oder eben der Kopf größer.

Damit wäre dann aber noch immer nicht abschließend geklärt, warum mir bestimmte Bereiche im täglichen Leben, die mit vergleichsweise sehr kurzen Wegen verbunden sind, so schwer fallen. So kann zum Beispiel meine Freundin von einem von ihr beobachteten Vorfall berichten, an dem ich überhaupt keine Probleme damit gehabt hätte, zum Edelsteinsuchen nach Tansania zu reisen, aber es geschafft habe, zwei Tage lang zu vergessen den Müll runter zu bringen. Ich werde das Phänomen mal weiter beobachten und die Ergebnisse ggfs. posten.   

 

Ach, und übrigens nein, ich habe mich noch nicht für einen Mitsegler entscheiden können. Einfach auch deswegen, weil ich einen der Interessenten noch immer nicht getroffen und kennen gelernt habe. Entweder war er im Ausland, oder ich im Urlaub und jetzt ist er in Deutschland und ich in Hong Kong.

Wie sagt doch gleich ein altes chinesisches Sprichwort so passend: "Nu hab mal ein bisschen Geduld, am Ende wird schon alles gut werden. Rom ist schließlich auch nicht an einem Tag erbaut worden."

 

In diesem Sinne: 國香港特別行

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In letzter Zeit habe ich mich ein wenig mit Panoramafotografie und High Dynamik Range HDR-Fotos beschäftigt. Die Motive dazu bekomme ich hier in Hong Kong frei Haus geliefert. Ich stelle in den nächsten Tagen die Ergebnisse in den Fotoblog. Wer Lust hat, schaut mal rein.

Logbuch am 28.01.12

Samstag, 28. Januar 2012

C´est la vie

Es wird kalt am Steg

 

Schreibt man ein Buch, weiß man in der Regel bereits das Ende bevor man beginnt, hat zumindest den groben Verlauf, man hat einen Plan, eine brüchige Rahmenhandlung, meist schon ein Script im Kopf, den Schatten eines Nebels einer Idee, oder wenigstens eine vage Vorstellung dessen, wie der weitere Verlauf der Story sein wird. Es wird eine Geschichte zum Besten gegeben, die entweder auf Tatsachen beruht, frei erfunden oder ein Mix aus beidem ist. Wie auch immer: Es ist planbar. Sollte es wenigstens.

 

Ganz anders bei den Tagesberichten hier im Blog. Der letzte Eintrag ist grad mal zwei Tage her und ließ mich in der hellseherischen Aura einer Allwissenheit erstrahlen, was die Temperaturvorhersagen der kommenden Wochen angeht - nein, mehr noch, ich habe gewagt den Winter 2012 für nicht existent zu erklären und orakelte eine eisfreie Zeit bis zum Beginn der neuen Saison. Der Bericht verströmte die genimplantierte Selbstsicherheit eines Wetterfrosches und suggerierte den Nimbus Kachelmann zu seinen besten Zeiten.

Diesen Bericht tippe ich nun keine achtundvierzig Stunden später bei minus 5°C Außentemperatur in den Rechner mit dem Wissen um die Vorhersagen der kommenden Tage: bis minus 10° auf der nach unten offenen Temperaturskala. Morgen also ein weiters Mal zum Schiff, um zu sehen, ob nicht doch noch das ein oder andere Obstkonservenglas an Bord geblieben ist, was durch die Kälte platzen könnte. Vielen lieben Dank auch.

C´est la vie

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Mitsegler für eine Grönlandexpedition gesucht! - der Ruf wurde Heiligabend 2011 von der Nordwest-Zeitung veröffentlichet. Daraufhin haben sich einige Interessenten, mit zum Teil exzellenten maritimen Hintergrund gemeldet.

Im nächsten Tagesbericht beantworte ich Fragen, die mir im Zusammenhang mit dem Törn gestellt wurden. Mit einer Entscheidung möchte ich noch warten, bis ich alle Gespräche geführt habe.

Logbuch am 26.01.12

Donnerstag, 26. Januar 2012

"Ich hab den längsten!"

Nis Randers

 

"Woher hast du das gewusst?"

"Was meinst du?"

"Na, das mit dem Eis, woher wusstest du das?"

"Ich versteh grad nicht recht, was du meinst"

"Hier lagen im Herbst noch zweihundert Boote im Hafen. Alle sind raus, nur du hast dein Boot als einziger im Wasser gelassen. Bestimmt, weil du genau wusstest, dass es ein milder Winter wird, du Fuchs"

"Nix Fuchs, wohl eher Faultier. Ich hatte keine Zeit das Boot raus zu nehmen und außerdem habe ich keinen Bock"

"Keinen Bock!?"

"Keinen Hafenbock, keinen Trailer, auf dem die Nis Randers an Land stehen kann"

"Na denn"

 

Sturm aus Südost, Orkan aus Nord und Nordwest. Nis Randers hatte in ihrer Box am Steg schon ordentlich Wind einstecken müssen. Bisschen bange war mir schon einige Male. Hab nicht gezählt, wie oft ich schon hingefahren bin, um die Leinen zu checken und mir ein gutes Gefühl abzuholen.

 

Häufig werde ich gefragt,...

 

...warum ausgerechnet Grönland?

Ich war lange in den Tropen, schön war's dort, keine Frage. Aber manche mögens halt gern schön kalt. Ich bin so einer. Schon frühere Reisen führten mich nach Skandinavien - Norwegen, Island, Färöer, Gletscher, Eis und Schnee. War toll. Außerdem fasziniert die Landschaft, die Einsamkeit und die Abgeschiedenheit.

...wie lange werdet ihr unterwegs sein?

Grob gerechnet drei Monate. Das hängt vom Wetter ab. Wir werden verschiedene Punkte anlaufen und versuchen so weit wie möglich Richtung Nord zu segeln.

...hast du keine Angst?

Wovor?

Na, vor der See, Eisbergen, der Kälte, das raue Klima.

Nein.

Du bist von 2004 bis 2006 mit der Familie um die Welt gesegelt, die halbe Strecke allein mit Deinem Sohn Daniel. Wird er Dich auf der Expedition wieder begleiten?

Er hat andere Pläne. Wie im Leben, so beim Segeln: "Jeder macht seine eigene Reise", und so macht jeder von uns seine eigene Reise.

Und Mike und Maria?

Erstens müssen sie zur Schule und zweitens ist mir diese Reise für Kinder zu gefährlich.

Und Susanne?

Bin mir nicht sicher, ob unsere jetzigen Lebensgefährten damit einverstanden wären.

Warum steht das Tagebuch von der Weltumseglung nicht mehr online?

Das Tagebuch war außerordentlich umfangreich. Es bekommt ein neues Design und wird im Laufe des Jahres mit dem alten Text hier in die neue Website integriert.

Hast du schon Mitsegler gefunden?

Noch nicht endgültig. Es stehen noch ein, zwei Treffen aus, es gibt Gespräche und Favoriten aber noch keine endgültige Entscheidung.

Wird es nach der Expedition wieder Vorträge geben?

Auf jeden Fall! Die Bildershows, die Vorträge und das Buch geben mir die Möglichkeit das Erlebte a) zu verarbeiten und b) weiterzugeben

Logbuch am 18.01.12

Mittwoch, 18. Januar 2012

Wieder Online

Tänzerinnen in Port Moresby/Papua Neuguinea

Angekündigt war der Start des Tagebuchs bereits zum 15. Januar. Jetzt, mit drei Tagen Verspätung ist sie endlich online, und war am Ende doch ein bisschen mehr Arbeit als gedacht. Ich danke Sven für die Hilfe. Ich konnte Biedi und Udo als Dreamteam für die Hege und Pflege dieser Website gewinnen! Es hakelt und holpert noch an der ein oder anderen Stelle und alle Links sind noch nicht so ganz perfekt, aber gut: Lasset sie wachsen und gedeihen!

 

Tagesberichte wird es immer dann geben, wenn etwas wichtiges im Hinblick auf die Grönland-Expedition geschieht. Das betrifft die Planung, Entwicklung, aber auch Rückschläge. Dann, ab Sommer 2013, täglich - auch von hoher See und aus dem Eis.

 

 

 

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Das Buch zur Reise erscheint am 18. September 2014 JETZT VORBESTELLEN!